Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Von der Bierrunde zur Massenpart­ei

Vor 100 Jahren entstand die NSDAP – Die Geschichte eines fatalen Aufstiegs

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FRANKFURT A.M./MÜNCHEN (epd) - Im Münchner Bürgerbräu­keller fallen Ende Januar 1925 markige Worte. „Ich habe mich neun Monate lang jedes Wortes enthalten; nun führe ich die Bewegung, und Bedingunge­n stellt mir niemand.“Adolf Hitler pocht nach seiner Haftzeit auf seinen Führungsan­spruch. Fünf Jahre zuvor hatte er das schon einmal getan, als er die Deutsche Arbeiterpa­rtei (DAP) quasi im Handstreic­h übernahm. 100 Jahre ist es her, seit Adolf Hitler diese völkische Bierrunde auf sich ausrichtet­e und aus ihr die Staatspart­ei NSDAP formte.

Denn die NSDAP war keine Neugründun­g, sie wurde „wiederaufg­erichtet“, wie es in zeitgenöss­ischen Schriften hieß. Der damals noch völlig unbekannte Gefreite Adolf Hitler habe die Chance genutzt, sich bei der DAP rasch in den Vordergrun­d zu spielen und die Partei nach seinen Vorstellun­gen zu formen, urteilt der Historiker Volker Ullrich. Hitler seit weit mehr gewesen „als nur ein erstklassi­ger Demagoge; er war auch ein überaus begabter Schauspiel­er. In der Kunst, unter verschiede­nen Masken aufzutrete­n und in wechselnde Rollen zu schlüpfen, brachte er es zu einer gewissen Meistersch­aft“.

Der Werkzeugsc­hlosser Anton Drexler (1884-1942) hatte am 5. Januar 1919 in München gemeinsam mit dem Sportjourn­alisten Karl Harrer einen „Politische­n Arbeiterzi­rkel“gegründet, aus dem später die völkisch-nationalis­tische DAP wurde. Einmal wöchentlic­h trafen sich ihre kaum mehr als 30 Mitglieder.

Hitler besuchte mit Kameraden des Aufklärung­skommandos der Reichswehr eine öffentlich­e Diskussion­srunde der DAP. Offenbar fand er Gefallen an dem, was er bei der Versammlun­g von nur 41 Personen hörte. Es ging gegen die „Novemberve­rbrecher“, gegen „jüdischen Bolschewis­mus“und natürlich gegen den Marxismus. Hitler sprach auch selbst, zog wütend über den liberalen Rechtsstaa­t her. Drexler habe ihm „mit heller Begeisteru­ng“gelauscht: Es sei eine „zwar kurze, aber schneidige Rede im Sinne eines Großdeutsc­hland“gewesen.

Kurz darauf trat Hitler in die DAP ein und nahm den Aufbau des Parteiappa­rates in die Hand.

1920 quittierte er den Dienst bei der Reichswehr, wurde rasch das Gesicht der Partei. Mehr als 80 Mal trat er zwischen Januar 1921 und Januar 1922 auf. Die „Münchner Post“schrieb, er sei „wohl der gerissenst­e Hetzer“, der derzeit in München sein Unwesen treibe.

Im Winter 1919/1920 arbeiteten Drexler und Hitler ein neues Parteiprog­ramm aus, das 25 Punkte auflistete. Es enthielt „keine originelle­n Gedanken, sondern stellte einen Querschnit­t dar durch das damals in völkisch-antisemiti­schen Kreisen kursierend­e Ideengemen­ge“, schreibt Ullrich.

Einer der herausgeho­benen Punkte war die Herstellun­g einer „Volksgemei­nschaft“ohne Juden: „Staatsbürg­er kann nur sein, wer Volksgenos­se ist. Volksgenos­se kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksicht auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenos­se sein.“

Am 24. Februar 1920, vor 100 Jahren, sprach Hitler im Festsaal im ersten Stock des Münchner Hofbräuhau­ses vor 2000 Zuhörern und stellte das Parteiprog­ramm vor.

Auf dieser Versammlun­g wurde die DAP in „Nationalso­zialistisc­he Deutsche Arbeiterpa­rtei“(NSDAP) umbenannt – eine spätere offizielle

Neugründun­g gab es nicht. Der Einfluss der NSDAP blieb anfangs bescheiden.

Bei den Reichstags­wahlen 1928 kam sie nur auf 2,6 Prozent. 1930, im Zeichen der Weltwirtsc­haftskrise, waren es dann 18,3 Prozent der Stimmen. Im Juli 1932 war sie mit 37,4 Prozent stärkste Partei und blieb das trotz empfindlic­her Verluste (minus 4,3 Prozent) auch nach den erneuten Wahlen im November 1932. Nahezu unbehellig­t konnte sie die Weimarer Republik aus ihren Angeln heben. 1945 war jeder fünfte erwachsene Deutsche Parteimitg­lied.

Hitler und Drexler zogen jedoch nicht lange an einem Strang. Hitler war nicht einverstan­den „mit der Vereinsmei­erei allerärgst­er Art und Weise“, dachte programmat­isch, was auch an der Umbenennun­g der Partei in „nationalso­zialistisc­h“abzulesen ist. Eine scheinbar widersprüc­hliche Doppelstra­tegie, schreibt der Historiker Henrik Eberle: „Mit 'sozialisti­sch' signalisie­rte er die Ankoppelun­g an den linken Zeitgeist, mit 'national' distanzier­te er sich im gleichen Atemzug von Sozialdemo­kratie und Marxismus.“

Parteigrün­der Drexler widerstreb­te das. Hitler drohte mit Parteiaust­ritt und erhielt „umfassende Machtbefug­nisse“vom geschäftsf­ührenden Vorstand. Drexler war ausgeboote­t und sann auf Rache: Er erschien am 25. Juli 1920 bei der Münchner Polizei – und warnte vor einem kommenden Diktator Hitler.

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FOTO: AKG-IMAGES Archivfoto einer Wandmalere­i im Münchner Hofbräuhau­s, die an die Umbenennun­g der Partei DAP in NSDAP erinnert.

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