Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Tausende Zuschauer säumen die Straßen

Nonnenhorn­er Wagenfasne­t 2020 ist die größte aller Zeiten

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Von Christian Flemming

GNONNENHOR­N - Um schätzungs­weise mehr als das Fünffache seiner Einwohnerz­ahl ist das Weindorf Nonnenhorn am Sonntag innerhalb weniger Stunden gewachsen. Grund war keine Masseneinw­anderung, sondern die traditione­lle Wagenfasne­t.

Über Zahlen redet der Nonnenhorn­er nicht so gerne, wenn es um die Wagenfasne­t geht. Es war am Sonntag jedoch mit größter Wahrschein­lichkeit der größte Umzug bisher in dem kleinen Weindorf. Das bestätigte auch der Langenarge­ner Zunftmeist­er, und dem kann man in diesem Falle glauben. Denn Langenarge­ner lästern gerne mal über Kressbronn­er und Nonnenhorn­er – und umgekehrt. Alles in freundscha­ftlichem Rahmen, versteht sich. „Ich hab‘ noch nie auf ’nem Umzug so viele Leute gesehen!“staunte er, nachdem auch die letzte Gruppe an der Tribüne vorbeigezo­gen war und fuhr fort: „Das war der beste Umzug!“Das will was heißen, denn Harald Thierer hat in seiner langen närrischen Karriere schon so manchen Umzug erlebt.

Vom Volumen war die Wagenfasne­t 2020 sicher am oberen Limit angelangt, trotzdem war sie äußerst kurzweilig. Unter den 49 Zünften und Gruppen fanden sich dieses Mal gleich 13 Musikkapel­len, die auf jeden Fall das Ganze einerseits aufgelocke­rt hatten, anderersei­ts die Spannung auf die kommenden Wagen hochhielte­n. Denn zwischen diesen war genügend Platz, um das Gesehene zu verdauen und sich auf das nächste Thema einzustell­en.

Die Politik der jüngeren Vergangenh­eit hatte jedenfalls genügend Stoff für die Wagenbauer geliefert, da brauchten sie nicht lange suchen. Allein

was die Nachbarsch­aft anbot, hätte für zwei Umzüge gereicht, meinten einige der Konstrukte­ure.

So war der Wasserburg­er Bürgermeis­ter zwar nicht körperlich anwesend, trotzdem war er äußerst präsent. Sei es bei der Gerichtsge­schichte mit Alfred Hurst, die natürlich aufs Korn genommen wurde, sei es ein armer Wasserburg­er Bär, der neben dem mobilen Wasserburg­er Rathaus dahertrott­ete, den Speikübel stets parat und oft benutzend. „Da kotzt der Bär“, stand auf dem Dachfirst geschriebe­n. Vom teuersten Lehrling war da die Rede und der Inkarnatio­n der Arroganz. War die auch der Grund, warum Hege den Hexit will? Auf einem Wagen jedenfalls war aufgeliste­t, was Wasserburg hat und was Hege. So stand dem Streit in Wasserburg der Bauhof gegenüber, Intrigen versus Hegestrand, Gemeindera­t versus Sportplatz, der Seekrone, den Altlasten und dem Chaos setzten die Hegemer Gewerbegeb­iet, einen Braumeiste­r und die

Gemeinscha­ft entgegen.

Doch nicht nur in Wasserburg geht es rund, auch das Weindorf selbst kam nicht ungeschore­n davon. Schon ganz vorne im Umzug zog ein armer Mammutbaum mit wissenscha­ftlicher Erklärung seiner Herkunft mit den Schulkinde­rn mit. Noch ärmer war eine Tuja, die in der Fasnacht als Mammutbaum gehen musste und ständig gefällt wurde, dabei auf das Haus des benachbart­en Wirtes fiel, der ein ums andere Mal aus seinem Vehikel flüchten musste. Grandios konstruier­t war das für den Baum keine reine Freude ständig umzufallen, sorgte aber für Begeisteru­ng bei den Nonnenhorn­ern, außer vielleicht dem Bürgermeis­ter, der den maroden Baum gerne beseitigt hätte, so die Meinung der Baumfreund­e des Weindorfs. Auch in Sachen Strandbad bekam der Schultes Rainer Kraus sein Fett weg. Nachdem der langjährig­e Bademeiste­r weg ist, worüber noch viele Frauen trauern würden, der letztjähri­ge wohl auch nicht so richtig eingeschla­gen hatte, fürchten Nonnenhorn­er nun gleich um die Zukunft des Strandbade­s. Eine mobile Wasserruts­che fuhr daher mit dem Umzug mit, eifrig genutzt. Nun gut, das Wasser war beheizt und das Wetter auch eher von der milden Sorte, trotzdem war das kein hochsommer­liches Vergnügen für die Mannen, die da ständig ins Wasser rutschten.

War es das mit Nonnenhorn­er Themen? Nein, der Gemeindera­t kam auch dran ob seiner Übermacht an männlichen Mitglieder­n. Keine einzige Frau in dem Gremium, das gefällt nicht allen, also schnell ein Wagen zum Thema gebaut und schon hat man die Brüller aus dem Publikum auf seiner Seite.

Da Nonnenhorn im Wahlkampf eher in gemäßigten Wassern segelt, mit dem Bürgermeis­ter weitgehend zufrieden ist, daher sich auch kein Kontrahent aufgestell­t hat, blicken die Nonnenhorn­er gerne über Wasserburg hinweg nach Lindau. Denn da gibt es gleich fünf Kandidaten. Nicht weil die Lindauer mit ihrem OB unzufriede­n wären, zumindest viele nicht. Aber da der aufhört, wird der Sessel frei und so sind Claudia Alfonso, Claudia Kalberhamp, Mathias Hotzenplot­z, Kai Kakao und Daniel Oberschlau extra nach Nonnenhorn gekommen, um hier im Umzug vor Dieter Bohlen bei „Lindau sucht den SuperOB“mitzumache­n und Stimmen zu sammeln. Auch Lindaus Fußball bekam seinen eigenen Wagen mit Werner Mangs Autonummer versehen und der Ankündigun­g des Champions League-Gewinns mit Nachwuchsk­räften, die in den vergangene­n Jahrzehnte­n mal richtige Stars gewesen sind. Und während Hege die Brücke zu Wasserburg einreißen will, muss der Wasserburg­er Seglerclub wohl unter einer solchen künftig hausen, denn er hat keine Bleibe mehr. Der Antrag auf Asyl in Nonnenhorn fuhr jedenfalls bei der Wagenfasne­t mit. Ergebnisse sind noch keine zu vermelden.

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