Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Kampf gegen den Klimawandel: Fridays for Future will Friedrichshafen klimaneutral machen.
Anouk Hennicke und Karol Roller sprechen über die Leuchtturmprojekte der „Fridays for Future“-Bewegung
FRIEDRICHSHAFEN - Solaranlagen auf allen Dächern der Stadt, eine Anlaufstelle für mehr Bildung zum Thema „Klimaschutz“, erneuerbare Energien in der Wärmeerzeugung und ein klimafreundliches Mobilitätsmanagement: Das wünschen sich die jungen Aktivisten der Bewegung „Fridays for Future“(FFF) am Bodensee nicht nur für Friedrichshafen, das haben sie Anfang Februar auch in einem zehn Seiten starken Papier unter dem Titel „Leuchtturmprojekte zum Klimabudget Friedrichshafens“veröffentlicht. Hervorgegangen sind die darin zusammengefassten Leitgedanken und Forderungen an den Gemeinderat aus einem gemeinsamen Workshop der Klimaschutzbewegung mit dem Jugendparlament. Die Zusammenarbeit kommt nicht von ungefähr, denn „Fridays for Future“-Mitglied Anouk Hennicke ist selbst Teil des Parlaments. Gemeinsam mit dem 19-jährigen FFF-Aktivist Karol Roller hat die 17-Jährige mit Silja Meyer-Zurwelle im Interview über die Leuchtturmprojekte und ihre Arbeit für den Klimaschutz gesprochen.
Bevor wir über das Papier mit Klimazielen einsteigen, erzählen Sie doch mal kurz: Wie sind Sie zu FFF gekommen?
Anouk Hennicke: Ich bin Schülerin des GZG und habe Sander Frank auf dem politischen Vormittag gesehen und gehört, kam aber erst nach meiner ersten Demo am 15. März mit ihm in Kontakt. Er hat mich motiviert und ermutigt, in die Organisation einzusteigen.
Karol Roller: Wir haben das Klima auch im Schulunterricht thematisiert. Da waren sich schnell alle einig, dass es Wahnsinn ist, wie viel da politisch falsch läuft. Wir waren dann schon kurz davor, eine eigene Demo zu organisieren, denn das war noch vor dem Beginn der FFF-Demonstrationen, aber das klappte dann nicht wegen unserer Prüfungen. Im Januar 2019 sind wir dann auf den FFF-Zug aufgesprungen.
Längst ziehen Sie selbstbewusst und mit starken Reimen für den Klimaschutz jeden Freitag durch die Straßen. So eine Wandlung vom vielleicht früher schüchterneren Schüler zu demjenigen, der problemlos durch das Megaphon die Masse anspricht, geht doch sicher auch nicht von heute auf morgen, oder?
Anouk Hennicke: Ja, das ist schon ein Prozess. Als ich zu FFF dazustieß, war ich natürlich erstmal noch etwas schüchtern, kannte die anderen nicht. Mit der Zeit habe ich mehr und mehr Aufgaben übernommen und da auch Spaß dran gefunden und vor allem auch das Gefühl bekommen, etwas Sinnvolles zu tun. Ich persönlich bin durch die Bewegung total gewachsen.
Karol Roller: Ich war vor FFF noch nie auf einer Demonstration. Das war erstmal schon richtig komisch, weil es ein riesengroßer Schritt heraus aus meiner Komfortzone war, da zu stehen und sich zu trauen, einen der Sprüche mitzurufen. Aber das Bewusstsein für die Notwendigkeit und das Gefühl, dass wir ja nicht zum Spaß auf die Straße gehen, war letztendlich viel stärker als jegliche Scheu.
Wie wichtig war es jetzt für die Sammlung der Leuchtturmprojekte, das Jugendparlament mit einzubeziehen?
Anouk Hennicke: Viele von FFF sind Mitglied im Parlament, deshalb war schnell klar, dass es eine Kooperation geben könnte. Im Jugendparlament
ist das Thema „Klimaschutz“auch sehr wichtig und wird viel diskutiert – unter anderem in unserem eigenen Umwelt-Arbeitskreis.
Aus der Liste von Ideen und Brainstorming ist jetzt ein sehr konkretes Papier geworden. Die erste Forderung lautet: Solar auf allen Dächern in Friedrichshafen. Karol Roller: Ja, das ist natürlich bewusst auch etwas provokant formuliert. Natürlich ist uns klar, dass auch der Gemeinderat niemanden zwingen kann, eine Solaranlage auf sein privates Haus zu bringen.
Deshalb soll die Stadt eine Vorreiter-Rolle übernehmen?
Karol Roller: Genau. Es geht darum, wo am schnellsten gehandelt werden kann. Da ist es naheliegend, dass die Stadt den Anfang macht und auf ihren eigenen Gebäuden Solaranlagen installiert. Schließlich lohnen sich diese auch relativ schnell, denn sie brauchen wenig Fläche, aber können nach kurzer Zeit schon wirtschaftlich abgeschrieben werden. Daher ist das auch unser erster Punkt. Interessante Tatsache übrigens: 31 Hektar der Fläche in Friedrichshafen sind Parkflächen – man stelle sich mal vor, was das umgewandelt in Flächen für Solaranlagen für einen Ertrag geben würde!
Informationen wie diese möglichst schnell an die Häfler zu bringen, soll – nach dem zweiten Leuchtturmprojekt aus dem Papier – künftig über eine öffentliche Anlaufstelle möglich sein. Gibt es in Ihrem Alltag viele Momente, die Ihnen das Gefühl geben, dass die Menschen noch nicht genug wissen zum Thema „Klimaschutz“? Anouk Hennicke: Ja, schon. Beispielsweise beim Einkaufen, wenn ich sehe, wie viel Produkte, die in Plastik eingepackt sind, gekauft werden. Natürlich hat da auch der Produzent eine große Verantwortung, aber ich finde, auch jeder Einzelne könnte da ein größeres Bewusstsein für seine Umwelt entwickeln.
Den hundertprozentigen Zukauf von zertifiziertem Ökostrom fordern Sie im dritten der vier Punkte. Das ist vermutlich der am schwergängigsten umzusetzende Leuchtturm, oder?
Karol Roller: Ja, die Wärmewende ist
Mobilitätsmanagement: Die G Stadt fördert den Radverkehr, Carsharing-Angebote bekommen ein städtisches Budget und die Stadt gewährleistet den Umbau der Stadtbusse auf Wasserstoff- und Brennstoffzellen sowie Elektromotoren. Bus- und Bahnangebote werden weiter ausgebaut. Die Stadt motiviert ihre Angestellten und die der Stiftungsunternehmen zur Nutzung der Verkehrsmittel des Umweltverbundes. (rup) mit das schwierigste Projekt. Aber es kommt auf die Perspektive an. Schließlich gibt es auch hier ein großes Potenzial für Einsparungen. Man könnte die Industriewärme, die sonst so in die Luft gepustet wird, umwandeln und wieder nutzen für Wärmeproduktion. Oder auch das Holz, das jetzt durch das Waldsterben ja tragischerweise zur Verfügung steht, recyclen und in Wärme umwandeln.
Der letzte Punkt, nämlich das Mobilitätsmanagement, brennt wohl vielen Häflern – nicht nur den FFFAktivisten – unter den Nägeln. Was stellen Sie sich darunter vor? Anouk Hennicke: Die Radwege nicht nur auszubauen, sondern auch sicherer zu machen, wäre, glaube ich, ein guter Schritt.
Karol Roller: Und so eine Stadt muss da sicherlich auch nicht alles neu erfinden. Es gibt bereits sehr inspirierende Beispiele dafür, wie etwa in den Niederlanden.
Anouk Hennicke: Car-Sharing gibt es auch schon, aber eben nur vereinzelt. Es wär schön, wenn das ausgebaut würde.
Karol Roller: Was mir einfach auch immer wieder aufstößt ist der Unterschied, der zwischen Straßen- und Bahninfrastruktur gemacht wird. Allein das Aufheben, welches um die B 31-neu gemacht wird. Umwelt zu zerstören, eine vierspurige Autobahn zu bauen und sich aber keine Gedanken darüber zu machen, dass hier noch eine nicht elektrifizierte, einspurige Bahnlinie langführt, die es viel nötiger hätte, umgewandelt zu werden – da fällt einem nicht mehr viel zu ein, finde ich.
Nun gibt es das Papier mit den Leuchtturmprojekten: Wie sieht der nächste Schritt aus?
Karol Roller: Wir haben es schon an alle Gemeinderäte geschickt. Der Rücklauf ist, um ehrlich zu sein, ziemlich ernüchternd bisher. Die Stadt hat sich aber ja mit dem Klimaworkshop ein Ziel gesetzt und für Klimaprojekte auch ein Budget von etwa 30 Millionen Euro bis 2024 eingeplant, von dem, soweit ich weiß, noch 21 Millionen Euro für Projekte zur Verfügung stehen. Das wäre ja schon mal eine Basis, mit der man zwar längst nicht alles umsetzen, aber wenigstens anfangen kann.