Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Lieberknecht für Kooperation mit der Linken
In Thüringen scheitert Versuch einer Übergangsregierung – CDU streitet um Parteivorsitz
ERFURT/BERLIN (dpa/AFP) - In Thüringen ringen die Parteien um einen Ausweg aus der Krise, nachdem der Versuch gescheitert ist, eine rotrot-grüne Übergangsregierung unter Ex-CDU-Regierungschefin Christine Lieberknecht zu bilden. Die BundesCDU streitet derweil um das Verfahren zum künftigen CDU-Vorsitz.
Lieberknecht hatte ihre Bereitschaft dazu zurückgezogen und dies mit den unterschiedlichen Vorstellungen von Linken, SPD, Grünen und CDU vom Zeitpunkt einer Neuwahl begründet. Sie riet der CDU zur Kooperation
mit der Linken – und damit zum Bruch eines gegenteiligen Bundesparteitagsbeschlusses. Linke, Grüne, SPD und CDU berieten über Wege aus der Krise und einen Termin für eine Neuwahl. Entscheidungen könnten voraussichtlich am Freitag fallen. „Wer keine Neuwahlen will, muss Bodo Ramelow zu einer Mehrheit im Landtag verhelfen“, sagte die Ex-Regierungschefin in Erfurt. Thüringens CDU-Fraktionschef Mike Mohring forderte ebenfalls mehr Spielraum für eine mögliche Zusammenarbeit mit der Linken. Das Verbot
der Kooperation mit der AfD stehe nicht infrage, bekräftigte er.
Umstritten ist in der BundesCDU der Weg zum Führungswechsel in der Partei. Der Vorsitzkandidat Norbert Röttgen mahnte nach einem Gespräch mit Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer abermals einen Mitgliederentscheid an. „Es bleibt meine Meinung, dass diese Frage nicht im Hinterzimmer zu klären ist“, sagte er. Röttgen will im Fall einer Wahl zum CDU-Vorsitzenden auch Kanzlerkandidat der Partei werden. Es könne den Vorsitz „nicht ohne den Anspruch auf die Kanzlerkandidatur geben“. Gegen einen Mitgliederentscheid sprach sich der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul aus. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet sagte, er setze weiterhin auf eine Teamlösung. Auch Gesundheitsminister Jens Spahn hatte sich für eine solche Lösung ausgesprochen. Wie genau diese aussehen könnte, ist noch nicht klar.
Kanzlerin Angela Merkel bekräftigte, dass sie sich in die Führungsdebatte ihrer Partei nicht einmischen wolle. LEITARTIKEL,
Von Klaus Wieschemeyer
GBERLIN - Das Schreckensbild für die Union hat einen Namen: SPD. Man dürfe bei der Chefsuche nicht wie die Sozialdemokraten enden, heißt es auf den Fluren und in den Zimmern des politischen Berlins. Eine quälende, monatelange Kandidatensuche mit ungewissem Ausgang und innerparteilichen Zerreißproben könne und wolle sich die CDU nicht leisten.
Dass der Überraschungskandidat Norbert Röttgen eine Mitgliederbefragung zum Parteivorsitz ins Spiel bringt, stößt deshalb auf parteiinternen Widerstand. Lieber sollten die Führungskräfte miteinander eine Lösung finden, sagte Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul am Mittwoch. Immerhin habe auch die Kandidatensuche mit den Regionalkonferenzen 2018 keinen Parteifrieden gebracht. „Nachher haben diejenigen, die verloren haben, trotzdem weiter aus den Hecken geschossen“, sagte Reul.
Und so hält die CDU-Spitze trotz des Röttgen-Vorstoßes am bisherigen Prozedere fest: Noch-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) traf sich am Dienstag und Mittwoch mit den drei VielleichtKandidaten Jens Spahn, Armin Laschet und Friedrich Merz zu vertraulichen Einzelgesprächen. Einzige Ergänzung: Am Mittwochmorgen lud sie zudem auch den Überraschungskandidaten Röttgen ein.
Am kommenden Montag will sie ihren Fahrplan für die Chefsuche vorstellen. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet setzt weiter auf eine Hinterzimmereinigung als „Teamlösung“, wie er vor dem Treffen mit AKK klarmachte. „Ich werbe weiter für dieses Team“, sagte er. Dabei bröckelt das Modell nicht erst seit der Kandidatur von Norbert Röttgen am Dienstag.
Das Problem: Alle vier Männer stammen aus NordrheinWestfalen (NRW). Will einer im Team Parteichef und Kanzlerkandidat werden, müsste er den anderen gute Posten zusichern. Minister beispielsweise. Oder Unions-Fraktionschef im Bundestag, der mit Ralph Brinkhaus mit einem fünften Nordrhein-Westfalen besetzt ist. Und Brinkhaus macht keine Anstalten, diesen Posten zu räumen. Eine CDU, die die besten Posten unter NRW-Männern aufteilt, dürfte bundesweit auf wenig Gegenliebe stoßen. Zumal der Überraschungskandidat die Sache komplizierter macht.
„Mit der Kandidatur von Norbert Röttgen wird eine einvernehmliche Lösung unwahrscheinlicher“, sagte der Chef der baden-württembergischen Landesgruppe im Bundestag, Andreas Jung, der „Schwäbischen Zeitung“.
Die Ballung von Bewerbern aus einem Bundesland macht ihm hingegen wenig aus. „Es hat sich so ergeben, dass gleich vier Kandidaten aus Nordrhein-Westfalen gehandelt werden. Gewählt wird am Ende aber trotzdem nur einer. Das wird nicht in
NRW ausgemacht, sondern mit allen Landesverbänden gemeinsam“, betonte der Fraktionsvize im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. „Als Baden-Württemberger werden wir uns weiter stark in die Bundespolitik einbringen“, verspricht er. Nur wie, ist noch offen: Ein eigener Kandidat aus dem Südwesten ist derzeit zumindest nicht in Sicht.
Und offiziell führt ja AKK Partei und Nachfolgersuche weiterhin „von vorne“, wie sie betont. Doch daran glaubt in der Union neun Tage nach der Rückzugsankündigung der Saarländerin kaum jemand. Auch nicht an ihren bisherigen Plan,
den Parteivorsitz erst im Dezember
an einen Nachfolger zu übergeben. Dass das Verfahren völlig offen ist, „versteht an der Basis niemand mehr“, sagte Unionsfraktionsvize Johann Wadephul. Sein Urteil: „So kann es nicht weitergehen.“Längst geht die CDU von einem Sonderparteitag weit vor den Sommerferien aus, bei dem die Parteichef-Frage und damit wohl auch die Kanzlerkandidatur geklärt wird.
Für den Bewerber ist das zwar ungünstig, weil er bis zur Bundestagswahl 2021 etwa anderthalb Jahre lang unter politisches Dauerfeuer gerät. Doch ein monatelanges kopfloses Lavieren wie bei der SPD nach dem Rücktritt von Andrea Nahles im vergangenen Jahr will die CDU unbedingt vermeiden.
Tatsächlich wird das Vakuum an der Spitze ein wachsendes Problem für eine Partei, die sich auch immer über Macht definierte. Doch wer diese gerade hat und einsetzen will, ist völlig offen. Eine jedenfalls nicht: Kanzlerin Angela Merkel betonte am Mittwoch, sie wolle sich aus den Vorgängen um die Besetzung des CDUVorsitzes und der Kanzlerkandidatur der Union zurücknehmen. Sie habe dies bei ihrem Rücktritt vom Parteivorsitz im Oktober 2018 gesagt, und daran wolle sie sich halten. „Meine Erfahrung historischer Art ist, dass die Vorgänger sich aus so etwas