Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Merkel erwartet harte Verhandlungen
Wie viel soll die EU für gemeinsame Aufgaben ausgeben? Die Verhandlungen werden hart
BRÜSSEL (AFP) - Von Morgen an wird in der EU wieder ums Geld gerungen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte am Mittwoch, sie erwarte beim Sondergipfel zum nächsten Sieben-Jahres-Haushalt „sehr harte und schwierige Verhandlungen“. Deutsche Interessen seien „noch nicht ausreichend berücksichtigt“.
BRÜSSEL - Auch die Mitglieder der Europäischen Union kennen das verflixte siebte Jahr. Es ist der Zeitabstand, nach dem sich alles ums liebe Geld dreht, weil der Haushaltsplan für die kommende Finanzperiode auf den letzten Drücker fertig wird. Im europäischen Topf ist stets zu wenig drin, um allen Wünschen gerecht zu werden. Am heutigen Donnerstag will der neue Ratspräsident Charles Michel einen Kompromiss erreichen – dafür ist eine lange Nacht eingeplant. Erfahrene Beobachter glauben allerdings, dass eine Einigung erst Ende des Jahres unter deutscher Ratspräsidentschaft möglich sein wird.
Wozu braucht man einen mehrjährigen Finanzrahmen?
Alle zwölf Monate verhandeln Kommission, Rat und Parlament darüber, wofür Eigenmittel und Mitgliedsbeiträge im kommenden Haushaltsjahr ausgegeben werden sollen. Das aber ist nur die Feinabstimmung. Der Rahmen wird jeweils für sieben Jahre im Voraus festgelegt, um mehr Planungssicherheit zu haben. Dann wissen zum Beispiel die Bauern, welche Anbaumethoden gefördert werden und mit welcher Grundsicherung sie rechnen können. Wer sich Strukturförderung erhofft, muss Projekte entwickeln und beantragen, die zuständigen Stellen müssen sie prüfen und genehmigen.
Warum sind die Verhandlungen so langwierig?
Es geht zwar nur um etwa ein Prozent des von allen EU-Staaten erwirtschafteten Bruttoinlandsprodukts (BIP), knapp 80 Cent täglich für jeden EU-Bürger. Doch je nachdem, ob ein Land mehr von der EU erhält (Nettoempfänger) oder mehr einzahlt (Nettozahler), sind die Interessen unterschiedlich. Politische Differenzen kommen hinzu. Gerade Länder wie Polen und Ungarn, die sich möglichst wenig von der EU in ihre Politik hineinreden lassen wollen, erwarten gleichzeitig hohe Transferleistungen für ihre Bauern und ihre Infrastruktur. Nettozahler wie Schweden oder Deutschland wiederum fordern mehr Gemeinsinn, zum Beispiel bei der Verteilung von Flüchtlingen. Andernfalls sollen Strukturhilfen gekürzt werden.
Was will das Europaparlament? Das Europaparlament (EP) hat stets die großzügigsten Ideen, wie das Geld der Mitgliedsstaaten ausgegeben werden könnte. Es ist die Institution, die am europäischsten denkt und deshalb möglichst viel Politik auf europäischer Ebene ermöglichen möchte – und das kostet. 1,3 Prozent des BIP sollen laut EP die Mitgliedsstaaten zur Verfügung stellen, um den Klimawandel zu bekämpfen, in Forschung und Bildung zu investieren, die Entwicklungschancen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge zu verbessern und die gemeinsame Verteidigungspolitik voranzubringen. In Preisen von 2018 entspricht das einer Summe von 1,32 Billionen Euro, 189,1 Milliarden Euro pro Jahr. Da ein Drittel schon vorab für Agrarbeihilfen fest eingeplant ist und ein weiteres Drittel in die Strukturförderung fließt, bleibt für echte Innovationen aus Sicht des Europaparlaments viel zu wenig Geld übrig.
Wie positionieren sich die EUKommission und der Rat?
Bereits im Mai 2018 hat die EU-Kommission einen Vorschlag gemacht, der mit 1,11 Prozent des BIP auskommt. Ratspräsident Charles Michel tourt nun mit einem Entwurf von 1,074 Prozent des BIP durch die Hauptstädte. Er schlägt vor, dass die Mitgliedsstaaten selbst entscheiden können, ob sie die spärlicher fließenden Agrarbeihilfen für Direktzahlungen oder die gezielte Förderung des ländlichen Raums ausgeben. Strukturhilfen für prosperierende Regionen sollen wegfallen, was vor allem Deutschland treffen würde. In nackten Zahlen wäre die Belastung für die Nettozahler trotz Kürzungen deutlich höher als in der auslaufenden Finanzperiode, weil der britische Mitgliedsbeitrag wegfällt. Der Brexit reißt in den kommenden sieben Jahren ein Loch von 75 Milliarden Euro in die Kasse.
Wie wird das Brexit-Loch gestopft?
Sollten nach dem Wegfall des Britenrabatts auch sämtliche anderen Rabatte für Nettozahler gestrichen werden, würde sich der niederländische Beitrag von 4,5 auf acht Milliarden Euro fast verdoppeln, der deutsche von 16 auf 26 Milliarden steigern. In dieser Rechnung sind allerdings die Eigenmittel aus Zöllen und Mehrwertsteuer nicht getrennt verbucht, sondern anteilig den Mitgliedsländern zugerechnet. Ganze fünf Länder – Deutschland, Holland, Schweden, Dänemark und Österreich – müssten die Brexit-Zeche allein bezahlen. Kommission und Parlament wollen die Eigenmittel der EU durch Einnahmen aus dem Emissionshandel und den nationalen Abgaben auf Einwegplastik aufstocken. Das wäre aber nur ein kosmetischer Buchungstrick, da das Geld ja aus nationalen Töpfen stammt.
Was wird der Gipfel bringen? Der neue Ratspräsident Charles Michel hat sich im Vorfeld mit den meisten Regierungschefs getroffen und Kompromisslinien gesucht. Allerdings liegen die Positionen noch immer extrem weit auseinander. Wie schon bei der Verabschiedung der Agenda 2000 im März 1999 könnte es im zweiten Halbjahr 2020 der deutschen Ratspräsidentschaft zufallen, in die Rolle des ehrlichen Maklers zu schlüpfen, eigene Interessen hintan zu stellen und als größter Nettozahler den Durchbruch zu ermöglichen. Das kann aber nur mit einer starken Führungspersönlichkeit in Berlin gelingen. Deshalb schaut derzeit ganz Europa nervös auf die aktuellen innerdeutschen Turbulenzen. Auch in Brüssel blickt man nach Thüringen.