Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Kino-Neuauflage Legende „Lassie“läuft nun durch Deutschland
Die berühmteste Colliehündin der Welt darf in einem charmanten Kinderfilm durchs ganze Land flitzen
Für viele Ü40er ist Lassie gleichbedeutend mit der Bezeichnung einer Hunderasse. Es gab nur die eine Colliehündin, Lassie eben. Ab Ende der 50er-Jahre liefen im deutschen Fernsehen für Jahrzehnte die Folgen der amerikanischen Fernsehserie, mit wechselnden jungen Herrchen, aber immer mit Lassie, deren Treue und Schläue sich in unzähligen brenzligen Situationen bewährte. Erstmals wurde nun ein deutscher „Lassie“-Film gedreht – und das Ergebnis kann sich sehen lassen: Die Vorlage wurde behutsam in die heutige Zeit übertragen. Die Lassie mit der weißen Blesse, die nun über den Marktplatz einer bayerischen Kleinstadt fegt, um Herrchen Flo von der Schule abzuholen, ist in der deutschen Jetztzeit angekommen – ohne dass der Charme gelitten hätte.
Was vielen nicht bewusst sein dürfte: Lassie ist kein ursprünglich amerikanisches Phänomen. Der englische Schriftsteller Eric Knight veröffentlichte 1940 den Roman „Lassie Come Home“, und auch die erste Lassie-Verfilmung von 1943 spielte in Großbritannien. Es ist dieser Roman, an den sich die deutsche Verfilmung hält. Die Geschichte bleibt dieselbe. Ein Junge muss seine geliebte CollieHündin an einen Adeligen abgeben: 1940, weil der Vater die Arbeit in der Kohlegrube verliert und die Familie sich den Luxus eines Hundes nicht leisten kann. 2020 kann der Vater nicht mehr in seinem traditionellen Beruf als Glasbläser arbeiten. Die Familie muss in eine kleinere Wohnung ziehen, in der Hunde verboten sind.
In beiden Fällen jedoch gefällt Lassie ihr neues Zuhause beim Grafen nicht. Sie reißt aus und durchquert ganz England, beziehungsweise Deutschland von Nord nach Süd, um schließlich wieder von ihrem jungen Herrchen in die Arme geschlossen zu werden. Dieser Moment ist damals wie heute der Höhepunkt des Films und absolut rührend.
1943, als „Lassie Come Home“(„Heimweh“) in die Kinos kam, war das Thema der Rückkehr äußerst emotional besetzt. Väter, Männer und Brüder kämpften im Zweiten Weltkrieg, die meisten von ihnen wollten sicher nur eins: nach Hause. Und ihre Familien vermissten sie. Der Film traf den Nerv der Zeit und lief weltweit erfolgreich in den Kinos. Auch dass die Colliehündin nicht als strahlende Heldin, sondern gezeichnet von den Strapazen der weiten Reise, humpelnd und zerzaust in ihrem alten Zuhause ankommt, war eine passende Einstimmung auf die Rückkehr der traumatisierten Kriegsheimkehrer.
Allerdings hat nicht diese erste „Lassie“-Verfilmung unser Bild der Hündin geprägt. Zwischen 1954 und 1973 entstanden in Kalifornien unzählige Folgen der Fernsehserie „Lassie“, die auch uns in Deutschland wissen ließ, wie das ländliche Amerika tickt. Vor allem der Farmersohn Timmy Martin (Jon Provost), ein Blondschopf mit reizenden Lachgrübchen, der im Hemd und mit tadellos gebügelten Hosen zum Spielen ging, eroberte die Herzen – wahrscheinlich vor allem die der Mütter.
Lassies Abenteuer war in der Fernsehserie nicht mehr die beschwerliche Heimreise. Jede Folge zeigte eine Rettungsaktion des Collies: Kinder mussten aus dem Wasser gezogen werden, kleine Ausreißer wurden ebenso zurückgebracht wie verirrte Kälber. Auf Lassie war Verlass. Am Ende einer Folge saßen dann Vater, Mutter und Sohn in der
Farmerküche (in der ein überdimensionaler Kühlschrank jedes andere Möbelstück unsichtbar werden ließ) und aßen Schokoladenkuchen. Harmonischer ging’s nicht.
Da hat die deutsche Filmfamilie im neuen „Lassie“-Film schon deutlich gewichtigere Probleme: Vater Andreas (Sebastian Bezzel) verliert seine Arbeit als Glasbläser, als Graf von Sprengel (Matthias Habich) nach 400 Jahren die Glasmanufaktur der Familie schließen muss. Mutter Sandra (Anna Maria Mühe) sorgt zwar für das Familieneinkommen, ist jedoch hochschwanger mit Kind Nummer zwei. Da muss die Nummer eins, der zwölfjährige Flo (Nico Marischka) einsehen, dass Lassie nicht mehr in der kleinen Wohnung bleiben kann. Kinder von heute haben es schon schwerer als ihre Vorgänger vor Jahrzehnten: Während damals die autoritären Väter unliebsame Entscheidungen getroffen haben, werden die Kinder heute in langwierigen Diskussionen weich geschwatzt – bis ihnen die bereits getroffene Entscheidung als ihre eigene verkauft wird.
Lassie kommt also zum verschrobenen Graf von Sprengel und dessen Enkelin Priscilla. Die damals zehnjährige Liz Taylor spielte im Film von 1943 diese Rolle der Priscilla. Sie mag das hübschere Gesicht gehabt haben als heuer Bella Bading. Doch ist diese ein absoluter Gewinn in der modernen Ausgabe: Sommersprossig, mutig und frech ergänzt sie den eher verträumten Flo perfekt. Als Priscilla mit ihrem Großvater nach Norddeutschland fährt, reißt Lassie aus und macht sich auf ihre Reise durch Deutschland, zurück zu Flo.
So gelungen Regisseur Hanno Olderdissen die familiären Konflikte darstellt, Geografie scheint nicht sein Lieblingsfach in der Schule gewesen zu sein. Schon kurz hinter der Nordsee rettet Lassie in einer steilen Gebirgskette ein verirrtes Lämmchen.
Überhaupt liegt der Schwerpunkt des Films eindeutig bei den Menschen, was schade ist, denn Lassie besitzt unglaublich viel Charisma. Gespielt wird sie vom extra für diese Rolle trainierten, allerdings männlichen Langhaarcollie Bandit – die Rüden haben das dichtere, schönere Fell.
Dennoch ist der erste deutsche „Lassie“-Film für Kinder im Grundschulalter ein Kinobesuch wert. Sie werden nicht mit zu viel Action oder Ironie überfordert, die Gags des sentimentalen Butlers (Justus von Dohnányi) lassen auch Eltern schmunzeln. Der Sprung nach Deutschland und ins neue Jahrtausend hat die Colliehündin geschafft.
Lassie – Eine abenteuerliche
Reise. Regie: Hanno Olderdissen. Mit Nico Marischka, Bella Bading, Sebastian Bezzel, Anna Maria Mühe. Deutschland 2020. 100 Minuten. Ohne Altersbeschränkung.