Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Ein breites Kreuz
„Bauer Willi“rammte das erste grüne Protest-Kreuz in die Erde und machte es zum Symbol einer Bewegung – Umstritten sind seine Ansichten und seine Vergangenheit
FRIEDRICHSHAFEN – Wenn Willi Kremer-Schillings eine Landwirtschaftsmesse besucht, kommt er nicht weit. Alle paar Schritte bleibt er stehen, schüttelt Hände, ein kleiner Plausch hier, ein Selfie da. Kremer-Schillings ist unter den Landwirten im vergangenen halben Jahr zu einem Popstar geworden. Denn der Landwirt, der unter dem Namen „Bauer Willi“ein viel geklicktes Blog betreibt, war der Erste, der in seinen Acker im Rheinland aus Protest eines der grünen Kreuze in den Boden rammte – und damit eine deutschlandweite Bewegung startete. Eine Aktion, die ihn von einem Tag auf den anderen zu einer gefeierten Persönlichkeit machte – und zu einer höchst umstrittenen.
Eine Menschentraube umringt Kremer-Schillings. Ein Mann drückt dem 65-Jährigen eine Visitenkarte in die Hand, ein anderer geht zwei Schritte zurück, hebt sein Smartphone in die Höhe. „Das muss ich fotografieren. Das glaubt mir sonst niemand“, sagt er. Gerade hat „Bauer Willi“einen Vortrag auf der Bühne der Agrarmesse Fruchtwelt in Friedrichshafen gehalten. Landwirte müssen besser kommunizieren, so seine Botschaft. „Meinung macht der, der den Mund aufmacht. Und da sind wir Landwirte eher Sprachökonomen. Wir reden nicht mehr als unbedingt sein muss,“sagt Kremer-Schillings. „Einfache Lügen haben es leichter als komplizierte Wahrheiten. Und wir Bauern haben komplizierte Wahrheiten. Die Leute haben keine Ahnung davon, was wir da draußen machen.“
Mit weißem Hemdkragen, Brille mit dünnem Metallrahmen und weißem Haar wirkt er mehr wie der promovierte Agrarwissenschaftler, der er ist, als der Landwirt aus dem Rheinland. Beim Thema Agrarpolitik benutzt er auch mal ein Fäkalwort, Probleme erklärt er mit bildhaften Anekdoten von seinem Hof. Das kommt beim Publikum an. Das Reden habe „Bauer Willi“als Junge beim Ausfahren von Eiern gelernt. „Man musste auf der einen Seite höflich sein, und auf der anderen Seite schauen, dass man wieder rauskommt, ohne die Leute zu verprellen. Da lernt man das“, erklärt Kremer-Schillings. Mittlerweile hat „Bauer Willi“mehrere Fernsehauftritte hinter sich. Seit die Aktion um die grünen Kreuze Fahrt aufgenommen hat, tourt er durch die Bundesrepublik und hält Vorträge – mehr als achtzig sind über den Winter zusammengekommen.
An den Beginn der Geschichte erinnert sich Kremer-Schillings noch ganz genau. Es war sein 65. Geburtstag, der 4. September 2019, als die Bundesregierung erstmals die Inhalte des Agrarpakets öffentlich macht. Es geht unter anderem um die Einschränkung von Pflanzenschutzmitteln. „Da habe ich gedacht: Das kann alles nicht wahr sein. Das können die doch nicht eins zu eins umsetzen“, erinnert sich Kremer-Schillings. Als der Bauernverband einen Tag später aus seiner Sicht viel zu zurückhaltend reagiert, fragt er sich: „War das jetzt alles?“Wenige Stunden später steht der Landwirt in seiner Werkstatt, nagelt zwei alte Bretter zusammen und streicht sie grün. Ein Foto davon, wie das Kreuz in seinem Acker steckt, veröffentlicht er im Internet – und löst damit eine Welle aus. Überall in der Bundesrepublik machen es ihm Landwirte gleich. In Bayern stellt der Landesbauernverband ein drei Meter hohes Kreuz vor der Staatskanzlei auf. In BadenWürttemberg ist die Diskussion um das Volksbegehren „Rettet die Bienen“gegen den Einsatz von Pestiziden gerade auf ihrem Höhepunkt. Allein die Bauern am Bodensee zimmern in drei Nächten mehr als 500 Kreuze und stellen sie auf – am Ende prangen in der Region fast 1000. Kaum ein Autofahrer bemerkt sie nicht am Straßenrand, die Kreuze sind omnipräsent. „Wir haben eine große Solidarität in der Landwirtschaft erreicht“, sagt Kremer-Schillings. Zwei Bretter, die für all die Sorgen und Nöte der Landwirte in den vergangenen Jahren stehen: immer mehr Auflagen, Preisverfall ihrer Produkte und fehlende Anerkennung ihrer Arbeit durch Politik und Gesellschaft. „Das Agrarpaket war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.“
Schon 2015 sorgte „Bauer Willi“für Aufsehen. Nach einem Gespräch mit einem Kartoffelbauern, der einen kompletten Lastwagen seiner Ernte für 250 Euro verkaufen muss, schreibt Kremer-Schillings einen offenen Brief mit dem Titel: „Lieber Verbraucher“. Eine Abrechnung mit den Konsumenten, die nur billig wollen während sie gleichzeitig mehr Umweltschutz fordern. Der Brief wird tausendfach angeklickt. Deutschlandweit berichten Medien, es folgen Einladungen in Talkshows. Kremer-Schillings schreibt das Buch „Sauerei“, das mittlerweile in der fünften Auflage erscheint. „Bauer Willi“polarisiert und hat damit Erfolg. Heute, nach der Aktion mit den grünen Kreuzen, ist Kremer-Schillings Sprachrohr vieler Landwirte, sagt das, was andere denken. Undiplomatisch und direkt – ganz anders als damals beim Ausfahren der Eier. „Wer an der Kasse ein Hähnchen für 2,79 Euro kauft, der gibt sein Recht ab, sich über Massentierhaltung
zu beschweren.“Er spricht sich für den Einsatz des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat aus, das im Verdacht steht Krebs zu erregen, und prangert die „Billigmentalität“der Verbraucher an. Damit stößt „Bauer Willi“heftige Diskussionen auf seinem Blog an. Mehr als 500 Kommentare stehen mittlerweile allein unter dem offenen Brief.
Diskussionen gibt es auch um „Bauer Willis“Vergangenheit. Neben den 40 Hektar, auf denen er im Rheinland im Nebenerwerb Raps,
Rüben und Getreide anbaut, ist „Bauer Willi“ehrenamtlicher Vorstand bei der Buir-Bliesheimer Agrargenossenschaft, die unter anderem Düngemittel vertreibt, hat acht Jahre für das Pflanzenschutzunternehmen Schering gearbeitet und 25 Jahre für das Zuckerunternehmen Pfeifer & Langen. Der Vorwurf: Kremer-Schillings habe Landwirten zum Einsatz von Pestiziden geraten und davon profitiert. So machte die „TAZ“aus „Bauer Willi“kurzerhand „ChemieWilli“. „Das hat mich wirklich getroffen“, sagt er heute. „Nichts davon ist wahr.“Er habe Landwirte in allem rund um den Rübenanbau beraten. Auch wie sie mit Schädlingen und Krankheiten umzugehen haben, aber eben nicht nur. „Ich war von den Socken, wie man sich Dinge so zurechtkonstruieren kann. Das ist einfach absurd.“
„Was er in seiner Laufbahn gemacht hat, ist für uns nicht relevant“, sagt Ingrid Martin, die mit der Öffentlichkeitsarbeit für den Zusammenschluss der Bodensee Bauern betraut ist. „Wir verbinden mit ihm die grünen Kreuze.“Natürlich sei „Bauer Willi“ein streitbarer Geist, „aber dass er sich mit Herzblut für die Bauern einsetzt, nehme ich ihm ab“. Nach dem Start des Volksbegehrens im Herbst sei bei den Bauern Panik ausgebrochen. Nach zwei Tagen stand die Internetseite, auf der die Bauern die Aktion unterstützten. „Die ersten drei Monate wurden wir bombardiert“, sagt Martin. Zeitweise kümmerte sich ein Team aus zwölf Landwirten darum, Fragen und Kommentare zu beantworten. „Wir haben eine Brücke zu den Verbrauchern geschlagen.“Die Landwirte wollten darstellen, was sie alles machen. Transparenz schaffen. Sie veröffentlichten Videos über ihre Arbeit auf dem Hof. „Es hilft nichts in Schockstarre zu verharren“, so Martin. Landwirte hätten mit vielen Dingen zu kämpfen. Witterungsbedingungen, die die Ernte bedrohen, Schwierigkeiten ausreichend Personal zu finden, steigende Auflagen. Und dann ein Volksbegehren, das unterstelle, dass Landwirte Gift verspritzen. „Das ist selbst einem Optimisten irgendwann zu viel.“Heute haben die Bodensee Bauern rund 6000 Follower auf ihren Social-Media-Kanälen, stehen im Austausch mit den Konsumenten und klären etwa über den Einsatz von Herbiziden und Pestiziden auf. Der Dialogprozess sei angestoßen. Ob das ohne „Bauer Willi“möglich gewesen wäre? „Ich glaube nein“, sagt Martin. Beiträge von „Bauer Willi“vermeide Martin allerdings mittlerweile über ihre Kanäle zu teilen. Zu groß ist der Aufwand, die Kommentare zu moderieren.
„Wir begrüßen, dass er in der Öffentlichkeit präsent und Sprachrohr vieler Bauern geworden ist“, sagt auch Ida Hartmann aus dem Referat für Öffentlichkeitsarbeit des Landesbauernverbands Baden-Württemberg. Mit dem Landesverband gebe es aber wenig Berührungspunkte – bei den regionalen Bauerntagen der Kreisverbände sei „Bauer Willi“ein beliebter Redner. Wenn es um die grünen Kreuze geht, ist man im Verband allerdings vorsichtig. „Natürlich ist das Kreuz ein starkes christliches Symbol“, sagt Hartmann. Bei der Verwendung müsse man aufpassen. „Wir begrüßen das Engagement der Bauern, die sich Gehör verschaffen.“
Seine Meinung zu sagen, laut und öffentlichkeitswirksam, wird Kremer-Schillings nicht müde: „Sagt uns, was ihr von uns wollt, und wir machen das. Wir Landwirte können alles, es muss uns nur jemand dafür bezahlen“, sagt er. Für eine Umstellung auf 100 Prozent Biolandbau müsse es eben auch einen Markt geben. „Wir brauchen eine Entscheidung: Wollt ihr mehr Auflagen, dann brauchen wir Außenschutz. Wenn wir in Europa keine Gentechnik haben wollen, dann dürfen keine Gentechnikprodukte importiert werden. Wenn wir hier kein Glyphosat haben wollen, dürfen hier keine Produkte auf den Markt kommen, die unter dem Einsatz von Glyphosat erzeugt wurden.“
Doch auch wenn die Aktion um die grünen Kreuze große Aufmerksamkeit erhalten habe, sei das Ergebnis ernüchternd. „Im Augenblick ist nicht zu erkennen, dass sich irgendeiner auch nur einen Hauch bewegt.“Seine Hoffnung: Die Turbulenzen in Berlin. „Wenn die GroKo zerbricht, ist vielleicht auch das Agrarpaket erst mal vom Tisch“, sagt KremerSchillings. „Mir geht es einfach darum, dass unser Sohn in Zukunft eine vernünftige Landwirtschaft betreiben kann.“Deswegen macht „Bauer Willi“weiter. In der kommenden Woche wird er Vorträge in Südtirol vor den anstehenden Kommunalwahlen halten. Dort will er den Landwirten Mut machen, für ihre Interessen einzustehen – und er wird Hände schütteln, ein kleiner Plausch hier, ein Selfie da.