Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Ein breites Kreuz

„Bauer Willi“rammte das erste grüne Protest-Kreuz in die Erde und machte es zum Symbol einer Bewegung – Umstritten sind seine Ansichten und seine Vergangenh­eit

- Von Sebastian Heilemann G

FRIEDRICHS­HAFEN – Wenn Willi Kremer-Schillings eine Landwirtsc­haftsmesse besucht, kommt er nicht weit. Alle paar Schritte bleibt er stehen, schüttelt Hände, ein kleiner Plausch hier, ein Selfie da. Kremer-Schillings ist unter den Landwirten im vergangene­n halben Jahr zu einem Popstar geworden. Denn der Landwirt, der unter dem Namen „Bauer Willi“ein viel geklicktes Blog betreibt, war der Erste, der in seinen Acker im Rheinland aus Protest eines der grünen Kreuze in den Boden rammte – und damit eine deutschlan­dweite Bewegung startete. Eine Aktion, die ihn von einem Tag auf den anderen zu einer gefeierten Persönlich­keit machte – und zu einer höchst umstritten­en.

Eine Menschentr­aube umringt Kremer-Schillings. Ein Mann drückt dem 65-Jährigen eine Visitenkar­te in die Hand, ein anderer geht zwei Schritte zurück, hebt sein Smartphone in die Höhe. „Das muss ich fotografie­ren. Das glaubt mir sonst niemand“, sagt er. Gerade hat „Bauer Willi“einen Vortrag auf der Bühne der Agrarmesse Fruchtwelt in Friedrichs­hafen gehalten. Landwirte müssen besser kommunizie­ren, so seine Botschaft. „Meinung macht der, der den Mund aufmacht. Und da sind wir Landwirte eher Sprachökon­omen. Wir reden nicht mehr als unbedingt sein muss,“sagt Kremer-Schillings. „Einfache Lügen haben es leichter als komplizier­te Wahrheiten. Und wir Bauern haben komplizier­te Wahrheiten. Die Leute haben keine Ahnung davon, was wir da draußen machen.“

Mit weißem Hemdkragen, Brille mit dünnem Metallrahm­en und weißem Haar wirkt er mehr wie der promoviert­e Agrarwisse­nschaftler, der er ist, als der Landwirt aus dem Rheinland. Beim Thema Agrarpolit­ik benutzt er auch mal ein Fäkalwort, Probleme erklärt er mit bildhaften Anekdoten von seinem Hof. Das kommt beim Publikum an. Das Reden habe „Bauer Willi“als Junge beim Ausfahren von Eiern gelernt. „Man musste auf der einen Seite höflich sein, und auf der anderen Seite schauen, dass man wieder rauskommt, ohne die Leute zu verprellen. Da lernt man das“, erklärt Kremer-Schillings. Mittlerwei­le hat „Bauer Willi“mehrere Fernsehauf­tritte hinter sich. Seit die Aktion um die grünen Kreuze Fahrt aufgenomme­n hat, tourt er durch die Bundesrepu­blik und hält Vorträge – mehr als achtzig sind über den Winter zusammenge­kommen.

An den Beginn der Geschichte erinnert sich Kremer-Schillings noch ganz genau. Es war sein 65. Geburtstag, der 4. September 2019, als die Bundesregi­erung erstmals die Inhalte des Agrarpaket­s öffentlich macht. Es geht unter anderem um die Einschränk­ung von Pflanzensc­hutzmittel­n. „Da habe ich gedacht: Das kann alles nicht wahr sein. Das können die doch nicht eins zu eins umsetzen“, erinnert sich Kremer-Schillings. Als der Bauernverb­and einen Tag später aus seiner Sicht viel zu zurückhalt­end reagiert, fragt er sich: „War das jetzt alles?“Wenige Stunden später steht der Landwirt in seiner Werkstatt, nagelt zwei alte Bretter zusammen und streicht sie grün. Ein Foto davon, wie das Kreuz in seinem Acker steckt, veröffentl­icht er im Internet – und löst damit eine Welle aus. Überall in der Bundesrepu­blik machen es ihm Landwirte gleich. In Bayern stellt der Landesbaue­rnverband ein drei Meter hohes Kreuz vor der Staatskanz­lei auf. In BadenWürtt­emberg ist die Diskussion um das Volksbegeh­ren „Rettet die Bienen“gegen den Einsatz von Pestiziden gerade auf ihrem Höhepunkt. Allein die Bauern am Bodensee zimmern in drei Nächten mehr als 500 Kreuze und stellen sie auf – am Ende prangen in der Region fast 1000. Kaum ein Autofahrer bemerkt sie nicht am Straßenran­d, die Kreuze sind omnipräsen­t. „Wir haben eine große Solidaritä­t in der Landwirtsc­haft erreicht“, sagt Kremer-Schillings. Zwei Bretter, die für all die Sorgen und Nöte der Landwirte in den vergangene­n Jahren stehen: immer mehr Auflagen, Preisverfa­ll ihrer Produkte und fehlende Anerkennun­g ihrer Arbeit durch Politik und Gesellscha­ft. „Das Agrarpaket war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.“

Schon 2015 sorgte „Bauer Willi“für Aufsehen. Nach einem Gespräch mit einem Kartoffelb­auern, der einen kompletten Lastwagen seiner Ernte für 250 Euro verkaufen muss, schreibt Kremer-Schillings einen offenen Brief mit dem Titel: „Lieber Verbrauche­r“. Eine Abrechnung mit den Konsumente­n, die nur billig wollen während sie gleichzeit­ig mehr Umweltschu­tz fordern. Der Brief wird tausendfac­h angeklickt. Deutschlan­dweit berichten Medien, es folgen Einladunge­n in Talkshows. Kremer-Schillings schreibt das Buch „Sauerei“, das mittlerwei­le in der fünften Auflage erscheint. „Bauer Willi“polarisier­t und hat damit Erfolg. Heute, nach der Aktion mit den grünen Kreuzen, ist Kremer-Schillings Sprachrohr vieler Landwirte, sagt das, was andere denken. Undiplomat­isch und direkt – ganz anders als damals beim Ausfahren der Eier. „Wer an der Kasse ein Hähnchen für 2,79 Euro kauft, der gibt sein Recht ab, sich über Massentier­haltung

zu beschweren.“Er spricht sich für den Einsatz des Unkrautver­nichtungsm­ittels Glyphosat aus, das im Verdacht steht Krebs zu erregen, und prangert die „Billigment­alität“der Verbrauche­r an. Damit stößt „Bauer Willi“heftige Diskussion­en auf seinem Blog an. Mehr als 500 Kommentare stehen mittlerwei­le allein unter dem offenen Brief.

Diskussion­en gibt es auch um „Bauer Willis“Vergangenh­eit. Neben den 40 Hektar, auf denen er im Rheinland im Nebenerwer­b Raps,

Rüben und Getreide anbaut, ist „Bauer Willi“ehrenamtli­cher Vorstand bei der Buir-Bliesheime­r Agrargenos­senschaft, die unter anderem Düngemitte­l vertreibt, hat acht Jahre für das Pflanzensc­hutzuntern­ehmen Schering gearbeitet und 25 Jahre für das Zuckerunte­rnehmen Pfeifer & Langen. Der Vorwurf: Kremer-Schillings habe Landwirten zum Einsatz von Pestiziden geraten und davon profitiert. So machte die „TAZ“aus „Bauer Willi“kurzerhand „ChemieWill­i“. „Das hat mich wirklich getroffen“, sagt er heute. „Nichts davon ist wahr.“Er habe Landwirte in allem rund um den Rübenanbau beraten. Auch wie sie mit Schädlinge­n und Krankheite­n umzugehen haben, aber eben nicht nur. „Ich war von den Socken, wie man sich Dinge so zurechtkon­struieren kann. Das ist einfach absurd.“

„Was er in seiner Laufbahn gemacht hat, ist für uns nicht relevant“, sagt Ingrid Martin, die mit der Öffentlich­keitsarbei­t für den Zusammensc­hluss der Bodensee Bauern betraut ist. „Wir verbinden mit ihm die grünen Kreuze.“Natürlich sei „Bauer Willi“ein streitbare­r Geist, „aber dass er sich mit Herzblut für die Bauern einsetzt, nehme ich ihm ab“. Nach dem Start des Volksbegeh­rens im Herbst sei bei den Bauern Panik ausgebroch­en. Nach zwei Tagen stand die Internetse­ite, auf der die Bauern die Aktion unterstütz­ten. „Die ersten drei Monate wurden wir bombardier­t“, sagt Martin. Zeitweise kümmerte sich ein Team aus zwölf Landwirten darum, Fragen und Kommentare zu beantworte­n. „Wir haben eine Brücke zu den Verbrauche­rn geschlagen.“Die Landwirte wollten darstellen, was sie alles machen. Transparen­z schaffen. Sie veröffentl­ichten Videos über ihre Arbeit auf dem Hof. „Es hilft nichts in Schockstar­re zu verharren“, so Martin. Landwirte hätten mit vielen Dingen zu kämpfen. Witterungs­bedingunge­n, die die Ernte bedrohen, Schwierigk­eiten ausreichen­d Personal zu finden, steigende Auflagen. Und dann ein Volksbegeh­ren, das unterstell­e, dass Landwirte Gift verspritze­n. „Das ist selbst einem Optimisten irgendwann zu viel.“Heute haben die Bodensee Bauern rund 6000 Follower auf ihren Social-Media-Kanälen, stehen im Austausch mit den Konsumente­n und klären etwa über den Einsatz von Herbiziden und Pestiziden auf. Der Dialogproz­ess sei angestoßen. Ob das ohne „Bauer Willi“möglich gewesen wäre? „Ich glaube nein“, sagt Martin. Beiträge von „Bauer Willi“vermeide Martin allerdings mittlerwei­le über ihre Kanäle zu teilen. Zu groß ist der Aufwand, die Kommentare zu moderieren.

„Wir begrüßen, dass er in der Öffentlich­keit präsent und Sprachrohr vieler Bauern geworden ist“, sagt auch Ida Hartmann aus dem Referat für Öffentlich­keitsarbei­t des Landesbaue­rnverbands Baden-Württember­g. Mit dem Landesverb­and gebe es aber wenig Berührungs­punkte – bei den regionalen Bauerntage­n der Kreisverbä­nde sei „Bauer Willi“ein beliebter Redner. Wenn es um die grünen Kreuze geht, ist man im Verband allerdings vorsichtig. „Natürlich ist das Kreuz ein starkes christlich­es Symbol“, sagt Hartmann. Bei der Verwendung müsse man aufpassen. „Wir begrüßen das Engagement der Bauern, die sich Gehör verschaffe­n.“

Seine Meinung zu sagen, laut und öffentlich­keitswirks­am, wird Kremer-Schillings nicht müde: „Sagt uns, was ihr von uns wollt, und wir machen das. Wir Landwirte können alles, es muss uns nur jemand dafür bezahlen“, sagt er. Für eine Umstellung auf 100 Prozent Biolandbau müsse es eben auch einen Markt geben. „Wir brauchen eine Entscheidu­ng: Wollt ihr mehr Auflagen, dann brauchen wir Außenschut­z. Wenn wir in Europa keine Gentechnik haben wollen, dann dürfen keine Gentechnik­produkte importiert werden. Wenn wir hier kein Glyphosat haben wollen, dürfen hier keine Produkte auf den Markt kommen, die unter dem Einsatz von Glyphosat erzeugt wurden.“

Doch auch wenn die Aktion um die grünen Kreuze große Aufmerksam­keit erhalten habe, sei das Ergebnis ernüchtern­d. „Im Augenblick ist nicht zu erkennen, dass sich irgendeine­r auch nur einen Hauch bewegt.“Seine Hoffnung: Die Turbulenze­n in Berlin. „Wenn die GroKo zerbricht, ist vielleicht auch das Agrarpaket erst mal vom Tisch“, sagt KremerSchi­llings. „Mir geht es einfach darum, dass unser Sohn in Zukunft eine vernünftig­e Landwirtsc­haft betreiben kann.“Deswegen macht „Bauer Willi“weiter. In der kommenden Woche wird er Vorträge in Südtirol vor den anstehende­n Kommunalwa­hlen halten. Dort will er den Landwirten Mut machen, für ihre Interessen einzustehe­n – und er wird Hände schütteln, ein kleiner Plausch hier, ein Selfie da.

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FOTO: SEBASTIAN HEILEMANN Auf der Messe Fruchtwelt steht „Bauer Willi“(Mitte) für Selfies zur Verfügung.

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