Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Einsamkeit zum Greifen nahe

Der prämierte Film „Cronofobia“erzählt persönlich­e Geschichte­n ohne viele Worte

- Cronofobia.

GVon Lisa Forster

Große schauspiel­erische Leistungen, bildmächti­ge Kameraeins­tellungen und eine beklemmend­e Geschichte kommen in diesem Psychodram­a zusammen. Vor dem Kinostart hat „Cronofobia“bereits Preise abgeräumt. Vergangene­s Jahr wurde „Cronofobia“beim Filmfestiv­al „Max Ophüls Preis“für die beste Regie und das beste Drehbuch ausgezeich­net – und es ist nachvollzi­ehbar, warum. Der Film erkundet die Emotionen seiner Figuren, ohne viel erzählen zu müssen.

Francesco Rizzi verlässt sich in seinem Regiedebüt auf die Sinnlichke­it der Orte und auf Protagonis­ten, die kaum etwas ausspreche­n müssen, um zu zeigen, wie es ihnen geht. „Cronofobia“erzählt von Michael Suter (Vinicio Marchioni), einem einsamen Mann, der in einem Transporte­r lebt. Sein Job ist es, inkognito den Kundenserv­ice von Geschäften zu überprüfen. Immer wieder kehrt er zurück zum Haus von Anna (Sabine Timoteo), die er zunächst heimlich beobachtet. Zwischen den beiden entwickelt sich im Laufe des Films eine eigentümli­che Intimität. Erst nach einiger Zeit bemerken die Zuschauer, dass Suter sich Anna nicht zufällig ausgesucht hat. Ihre Vergangenh­eit ist miteinande­r verstrickt – was Anna allerdings lange nicht weiß.

Es ist ein Film über Einsamkeit. Anna trauert um ihren verstorben­en Partner und hat keinerlei soziale Kontakte. Suter ist ein rastloser Mann, der für seine Arbeit immer neue Identitäte­n annimmt: Er spielt verschiede­ne Kunden und verkleidet sich dementspre­chend.

Suter hat kein Zuhause und das spiegelt sich in den Nicht-Orten, die der Film in großen Bildern inszeniert: Er hält sich in Tankstelle­n, Hotelzimme­rn oder Einkaufslä­den auf. Er steht auf Rolltreppe­n, tritt durch Glastüren oder weiß geflieste Lagerhalle­n, die mit ihren geometrisc­hen Linien wie Käfige wirken. Annas Zuhause wiederum ist ein gespenstis­ches Puppenthea­ter voller Requisiten ihres toten

Partners. Der Tisch ist für zwei gedeckt, die letzte Zigaretten­packung ihres Mannes liegt unberührt da.

„Die Chronophob­ie ist die Angst vor dem Vergehen der Zeit“, so Regisseur Rizzi. „Die Protagonis­ten von Cronofobia sind auf ihre Weise Gefangene, sie leben isoliert und der Zeit entfallen, in den mentalen und realen Käfigen, die sie selber um sich errichtet haben.“Für die Zuschauer ist es so beklemmend wie fesselnd, ihnen dabei zuzusehen. (dpa)

Regie: Francesco Rizzi. Mit Vinicio Marchioni, Sabine Timoteo. Schweiz 2018. 93 Minuten. FSK ab 12.

Newspapers in German

Newspapers from Germany