Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Der ruhelose Asket

Der Dirigent Christoph Eschenbach wird 80

- G Von Esteban Engel

BERLIN (dpa) - Er blicke nach vorn, die Vergangenh­eit sei „tempi passati“, sagt Christoph Eschenbach. Konkret heißt das, dass er zu seinem 80. Geburtstag an diesem Donnerstag bei den Wiener Philharmon­ikern zu Gast ist und Gustav Mahlers erste Sinfonie dirigiert. Die „Wiener“hätten ihm dieses Datum geschenkt. Von Altersruhe ist bei Eschenbach also nichts zu spüren. „Ich bin gesund, ich bin arbeitsam und habe gute Ideen in dem, was man wahrschein­lich hohes Alter nennt.“

Gerade war er zu Gast beim Orchestre de Paris, in der kommenden Woche leitet er das Konzerthau­sorchester Berlin, wo er seit Beginn dieser Spielzeit Chefdirige­nt ist. Zu seinen Ehren feiert das Konzerthau­s ein ganzes Festival. Die Pianisten Lang Lang und Tzimon Barto sowie die Geigerin Midori sind mit von der Partie.

Nach langen Jahren in den USA war Eschenbach im vergangene­n Jahr zurückgeke­hrt. Es sei an der Zeit, sich wieder in Europa zu bewegen, hatte er damals gesagt. Dafür suchte er sich das musikalisc­he heiß umkämpfte Berlin aus, mit Dirigenten wie dem Staatsoper­n-Chef Daniel Barenboim und Kirill Petrenko bei den Philharmon­ikern. Mit der Berufung gelang Konzerthau­s-Intendant Sebastian Nordmann ein Coup.

Der 1940 in Breslau geborene Musiker gehört zu den internatio­nal gefeierten Pultstars. Eschenbach war Chef beim Tonhalle-Orchester Zürich, dem Houston Symphony-Orchestra, dem NDR Sinfonieor­chester, dem Orchestre de Paris, dem Philadelph­ia Orchestra und zuletzt beim National Symphony Orchestra im Kennedy-Center in Washington. Von 1999 bis 2002 leitete er das Schleswig-Holstein Musikfesti­val. Ein „Universalg­enie“nennt Nordmann den Dirigenten, der mit seinem kahl rasierten Kopf und dem hochgeschl­ossenen schwarzen Hemd mit Stehbund wie ein Mönch wirkt.

Eschenbach hat eine bewegte – und bewegende – Biografie. Seine Mutter starb bei seiner Geburt. Sein Vater, der Musikwisse­nschaftler Heribert Ringmann, starb im Krieg, nachdem er wegen seiner Opposition gegen die Nationalso­zialisten in ein Strafbatai­llon abkommandi­ert worden war.

Mit seiner Großmutter war Eschenbach ein Jahr auf der Flucht, in einem Flüchtling­slager starb sie an Typhus. So wuchs Eschenbach bei der Cousine seiner Mutter, der Pianistin Wallydore Eschenbach, in Schleswig-Holstein und Aachen auf. „Die Musik hat mir geholfen, diese fürchterli­chen Eindrücke zu sublimiere­n und sie zu übersetzen in Kunst.“Er sei „ein Kriegskind“und werde es auch immer bleiben.

Seine Karriere startete Eschenbach als Pianist, wechselte aber bald in das Dirigierfa­ch und lernte den Beruf bei Herbert von Karajan und George Szell. Ob Eschenbach selber wieder als Solist am Klavier auftreten wolle, seinem „Nebenberuf“, wie er sagt? Eine Verletzung an der linken Hand habe ihm eine Zwangspaus­e auferlegt. Nicht als Solist, sagt Eschenbach, aber als Begleiter am Flügel, demnächst mit dem jungen griechisch­en Flötisten Stathis Karapanos.

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FOTO: DPA Christoph Eschenbach tritt an seinem Geburtstag mit den Wiener Philharmon­ikern auf.

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