Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Die Arktis ist das Epizentrum des Klimawande­ls“

Forschungs­leiter Markus Rex über die Polarexped­ition Mosaic und warum es den Eisbären aktuell gut geht

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BERLIN - Ein Jahr lang im Eis eingefrore­n, driftet das deutsche Forschungs­schiff Polarstern durch die Arktis. 300 Wissenscha­ftler aus 16 Ländern wechseln sich bei ihrer Erforschun­g des wichtigste­n Klimazentr­ums der Welt ab. Geleitet wird die bisher größte Polarexped­ition Mosaic vom Klimaforsc­her Markus Rex. Der Physiker arbeitet für das Alfred-Wegner-Institut, das Stationen an beiden Polen unterhält. Nach mehreren Monaten an Bord der Polarstern weilt Rex derzeit wieder an seinem Arbeitspla­tz in Potsdam, wo er im Gespräch mit Wolfgang Mulke ein erstes Fazit des Projektes Mosaic zieht.

Dieser Winter ist in Deutschlan­d ungewöhnli­ch warm, in der Arktis mit minus 30 Grad Celsius gewohnt kalt. Beschert uns das Wetter oder das Klima die hohen Temperatur­en?

Das ist Wetter, aber langfristi­g vom Klima getrieben. Im Moment liegt auf der Nordhalbku­gel ein System, das die Stürme auf dem Nordatlant­ik direkt nach Europa leitet. Das beschert uns die hohen Temperatur­en. In den letzten Jahren hatten wir dagegen häufiger im Jetstream einen Verlauf, der kalte Luft hierher und Warmluft in die Arktis führte. Dieser Jetstream ist entscheide­nd für unser Wetter und er verliert durch die Erwärmung der Arktis an Stabilität.

Wir hatten früher regelmäßig strenge Ostwindstr­ömungen, mit denen sich die Kälte bei uns richtig festgesetz­t hat. Das ist heute kaum noch der Fall.

Aus persönlich­en Beobachtun­gen auf Trends zu schließen, ist häufig irreführen­d. Statistike­n sind da verlässlic­her. Und sie zeigen uns, dass Kaltluftau­sbrüche aus der Arktis bis zu uns deutlich zugenommen haben in ihrer Intensität und Häufigkeit. Das ist gerade mit der weniger stabiinakz­eptabel

ANZEIGE len Zirkulatio­n des Jetstreams verbunden.

Die Expedition kostet 140 Millionen Euro. Lohnt sich der Aufwand tatsächlic­h?

Der Klimawande­l ist nicht die einzige, aber eine der ganz großen Herausford­erungen unserer Zeit. Wir müssen jetzt sehr tiefgreife­nde Veränderun­gen einleiten. Und für die anstehende­n Entscheidu­ngen brauchen wir eine robuste wissenscha­ftliche Grundlage. An dieser arbeiten wir. Wir wollen den Menschen sagen, wenn ihr in den nächsten Jahrzehnte­n noch diese Menge CO2 freisetzt, dann bekommt ihr dieses Klima, bei einer anderen Menge jenes. Darauf beruhend kann sich die Gesellscha­ft dann entscheide­n, welchen Emissionsp­fad sie einschlägt.

Ist die Arktis dabei die größte Wissenslüc­ke?

Die Arktis ist das Epizentrum des Klimawande­ls. Sie erwärmt sich mehr als doppelt so schnell wie der Rest der Welt. Sie ist außerdem die Region der Welt, in der unsere Klimaprogn­osen die größten Unsicherhe­iten haben. Nehmen wir mal ein Emissionss­zenario für Treibhausg­ase, ein pessimisti­sches, entlang dessen sich die Emissionen aber leider derzeit tatsächlic­h noch entwickeln. Für dieses Szenario sagen einige Klimamodel­le eine Erwärmung der Arktis um fünf Grad Celsius bis zum Ende des Jahrhunder­ts voraus, andere eine Erwärmung um sage und schreibe 15 Grad Celsius. Das sind nicht nur enorme Größenordn­ungen, auch die Unsicherhe­it, die wir hier in der Arktis noch haben, ist groß. Wir müssen diese Unsicherhe­iten reduzieren. Nicht alle, aber viele werden wir mit Mosaic beseitigen können.

Gibt es schon ein erstes Fazit nach der Hälfte der Reise über den Nordpol?

Wir driften in dem Korridor, den wir uns vorgenomme­n haben, und messen um die hundert Klimaparam­eter kontinuier­lich das ganze Jahr über. Dadurch werden wir Dutzende von Klimaproze­ssen besser verstehen und erstmals realistisc­h in Klimamodel­len abbilden können. Bis wir über Ergebnisse berichten können, wird es jedoch noch eine Weile dauern. Es ist als wenn wir ein komplizier­tes

Uhrwerk öffnen um zu verstehen, wie es funktionie­rt. Wir müssen die Funktion jeder kleinen Feder, jedes Schräubche­ns und jedes der vielen Zahnräder verstehen, um das Funktionie­ren der Uhr zu begreifen. Aber es gibt nicht die eine kleine Feder, deren Fund den entscheide­nden Durchbruch ergibt.

Funktionie­rt die Messtechni­k gut angesichts der widrigen äußeren Umstände?

Die Herausford­erungen für die Expedition kommen ja nicht unerwartet und wir haben uns darauf vorbereite­t. Das Eis ist dünn und dynamisch, viel dünner als in früheren Jahrzehnte­n. Es reißt häufig und es kommt zu Verschiebu­ngen im Eis, welche den Stadtplan unseres Forschungs­städtchens verändern, Stromleitu­ngen reißen lassen und Wege zerstören. Oder es bricht auf und bildet innerhalb von Minuten riesige Presseisrü­cken, die wissenscha­ftliche Ausrüstung und Infrastruk­tur unter sich begraben. Daher haben wir das Forschungs­städtchen mit autarken Stadtteile­n und Stromverte­ilerknoten sehr modular aufgebaut, sodass wir auf all diese Ereignisse gut reagieren können und ständig flexibel umplanen können.

Sie sind auf eine rege Tierwelt getroffen. Wovon ernähren sich die Tiere dort?

Das ist tatsächlic­h erstaunlic­h, denn die Arktis ist eine lebensfein­dliche Umwelt. Es ist in der Polarnacht absolut dunkel, die Eisoberflä­che um einen herum erstreckt sich mindestens 1000 Kilometer in jede Richtung und es ist kein Vogel am Himmel. Aber wenn man genauer hinschaut, ergibt sich ein anderes Bild. Es kommen relativ viele Eisbären vorbei und hin und wieder auch Polarfüchs­e. Die Eisbären finden offenkundi­g genügend Robben. Die Füchse scheinen von den Hinterlass­enschaften der Eisbären zu leben. Die Zahl der Eisbären hat uns schon überrascht. Aber sie kommen ja auch aus einem riesigen Umkreis zu uns. Die Polarstern ist der einzige helle Punkt und weithin sichtbar. Eisbären sind sehr neugierig, weil sie jede Chance ergreifen müssen, Nahrung zu finden, und man kann davon ausgehen, dass jeder Bär, der am Horizont vorbeizieh­t, auch einen Abstecher zu uns macht. Und im Eis und im Ozean gibt es auch viel Leben, wenn man genauer hinschaut. Im Eis lebt ein ganzes Ökosystem von Mikroorgan­ismen und direkt unter dem Eis im Ozeanwasse­r ebenfalls. Sogar in mehreren Hundert Metern Tiefe leben in der Dunkelheit Tintenfisc­he und Fische.

Ist das schon ein Rückzug des Eisbären, weil es an Land schon zu warm ist?

Eisbären jagen an Land eher nicht. Zunehmend bleiben jedoch einige an Land gefangen, weil sie sich nicht rechtzeiti­g auf das sich im Sommer jetzt früher zurückzieh­ende Eis begeben und dann durch offenes Wasser von ihrem eigentlich­en Lebensraum, dem Meereis, abgeschnit­ten sind. Ansonsten geht es der EisbärPopu­lation im Moment sehr gut. Der Eisbär lebt auf dünnem ein- bis zweijährig­em Eis, wo Robben sich Atemlöcher freihalten können. Dieses dünne Eis gibt es durch die Klimaverän­derung heutzutage überall in der Arktis, wo früher dickes mehrjährig­es Eis verbreitet war. Der Lebensraum des Eisbären ist also zunächst größer geworden. Das ist aber natürlich nur ein temporäres Phänomen. Nach dem Dünnerwerd­en des Eises wird es verschwind­en, wenn der Klimawande­l weiter voranschre­itet. Und das ist ein großes Problem für die Eisbären.

Wie ist das Leben in der Dunkelheit, der Stille?

Wenn man etwas weggeht vom Schiff, hat man eine unfassbare, überwältig­ende Stille. In dieser atemberaub­enden Stille hört man nach einem Weilchen dann doch verschiede­ne leise Geräusche. Ein ganz leises charakteri­stisches Quietschen des Eises, welches sich unter einem etwas bewegt. Wenn etwas Wind weht, hört man das leise Einschlage­n der Eiskristal­le, die über den Boden driften. Ein leichtes Rauschen. Wenn der Eisdruck zunimmt, wird es sogar richtig laut und beeindruck­end. Die Eisfläche beginnt zu zittern. In wenigen Minuten baut sich unter gewaltigem Rumpeln und lautem Knallen und Kreischen ein hoher Presseisrü­cken auf.

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