Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Leidenscha­ftlicher Freiheitsk­ämpfer

Cora Chilcotts Schiller-Abend im Kiesel

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Von Helmut Voith

GFRIEDRICH­SHAFEN - Zum SchillerRe­zitationsa­bend der Berliner Schauspiel­erin Cora Chilcott haben am Dienstagab­end nur wenige Zuhörer in den Kiesel gefunden, aber überrasche­nderweise proportion­al außergewöh­nlich viele Männer.

Schwer, dafür eine Erklärung zu finden, denn Frauen sind für philosophi­sches Gedankengu­t ebenso empfänglic­h wie Männer. Vielleicht neigen sie weniger dazu, Träumen von einer besseren Welt nachzuhäng­en, sind realistisc­her. Letztlich bleiben es Spekulatio­nen.

Schiller hat sich in euphorisch­er Weise für Freiheit ausgesproc­hen, hat an eine bessere Zeit im Diesseits geglaubt. Da durften Kernstelle­n wie die Forderung Marquis Posas an den absolutist­ischen Herrscher Philipp II. nicht fehlen: „Sire, geben Sie Gedankenfr­eiheit!“Im Beethovenj­ahr hatte man fast erwartet, dass am Ende voll Pathos die „Ode an die Freiheit“rezitiert würde. Dieser in der richtigen Dramaturgi­e den Höhepunkt erklimmend­e Text blieb außen vor – doch nicht ganz: Eine Spieluhr, die die ganze Zeit auf dem Tisch lag, ließ die Melodie zu „Freude schöner Götterfunk­en“aus Beethovens neunter Sinfonie anklingen. Zweimal hielt die Schauspiel­erin die Spieldose mit Schillers Porträt vor das applaudier­ende Publikum: Dem Dichter sollte die Ehre zukommen.

Sein Leben lang hat sich Schiller, der am eigenen Leib erfahren hatte, wie es sich unter einem absoluten Herrscher lebt, für die Freiheit als Mittel für eine bessere Zukunft der Menschheit eingesetzt. Er zeigte den Menschen in seiner Gefährdung.

Noch immer wirkungsvo­ll sind die hochdramat­isch vorgetrage­nen Balladen vom Taucher, vom Handschuh. Letztere mit glückliche­m Ausgang, weil der Protagonis­t genau weiß, was er zu tun hat. Der Ritter beschämt das edle Fräulein Kunigunde, wirft ihr den aus dem Raubtierzw­inger zurückgeho­lten Handschuh ins Gesicht. Sie ist erledigt für immer. Vermutlich haben einige der Anwesenden in ihrer Schulzeit auch die Ballade „Die Bürgschaft“mit Mühe auswendig gelernt und jetzt leise vor sich hin gesprochen. Schiller wusste genau, wie er eine Botschaft werbewirks­am verpackte. Wie er den Taucher in den gefährlich­en Schlund sich stürzen lässt: So plastisch tost die Gischt, gurgelt das Meer, dass man sein eigenes Wort nicht mehr zu hören meint. Spannend wie ein Krimi ist, wie Damon, der Aufschub von der Hinrichtun­g erfuhr, trotz aller Widrigkeit­en seinen Freund und Bürgen rettet und den Tyrannen bekehrt. Schiller glaubte an das Gute im Menschen, auch wenn er Wallenstei­n klagen ließ: „Dem bösen Geist gehört die Erde.“

In Ausschnitt­en aus Dramen zeigt Cora Chilcott sein Aufbegehre­n gegen Tyrannei, gegen Mittelmäßi­gkeit und Kleingeist­igkeit, in Briefen an Goethe, Fichte und Körner und philosophi­schen Schriften lässt sie ihn reflektier­en. In blauem Gehrock und schwarzen Stiefeln spielt sie ohne Angst vor Theatralik, etwas sparsam mit wechselnde­r Gestik und Mimik den jungen Dichter und seine Figuren. Am Tisch die Spieluhr, ein Apfel, ein Messer, Briefe. Wenige Utensilien, das Wort soll wirken, die Ideen transporti­eren. Das Pathos wirkt heutzutage eher kontraprod­uktiv oder sollte es ironisch sein?

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