Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Bürger, keine Fremden
Die Familien der Toten von Hanau leben teils seit Jahrzehnten in Deutschland
Von Ulrich Mendelin und Agenturen
GRAVENSBURG - Die rassistisch motivierten Morde von Hanau sollten nicht als fremdenfeindlich bezeichnet werden, findet Oberbürgermeister Claus Kaminsky. „Diejenigen, die hier in Hanau ermordet wurden, waren keine Fremden“, betonte der SPD-Politiker am Freitag in Hanau. In der Stadt hätten viele Menschen einen sogenannten Migrationshintergrund, sie alle seien keine Fremden: „Mitbürgerinnen und Mitbürger sind zu Tode gekommen.“
In der 100 000-Einwohner-Stadt leben Menschen aus 180 Nationen, alleine 10 000 Menschen haben türkische Wurzeln. So wie Kemal Kocat, Besitzer des „Arena Bar & Café“, dem zweiten Tatort im Stadtteil Kesselstadt. Ein Neffe von ihm sei getötet worden, eine Mitarbeiterin, der Sohn seines besten Freundes, sagt er am Tag nach der Tat der ARD.
Neun Männer und zwei Frauen kamen bei den Angriffen ums Leben, am Freitag listete das hessische Landeskriminalamt ihre Nationalitäten auf. Drei der Toten – darunter die 72jährige Mutter des Täters – haben demnach eine deutsche Staatsangehörigkeit, je zwei eine türkische, eine bulgarische und eine rumänische. Ein Mensch kommt aus BosnienHerzegowina, und ein Opfer hat eine deutsche und eine afghanische Staatsangehörigkeit.
Die Kurdische Gemeinde Deutschland teilte mit, dass unter den Opfern mehrere Kurden seien. Einer von ihnen ist Gökhan G., der nach einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“neben seinem Hauptberuf als Maurer abends in Kocats Kiosk jobbte. Sein Vater war demnach vor 42 Jahren nach Deutschland bekommen; der Sohn wollte sich gerade verloben.
Zu den Toten gehört dem Bericht zufolge auch Hamza K. Er war Gast in der Shisha-Bar Midnight, dem ersten Tatort. Seine Familie soll in der Zeit des Bosnienkrieges nach Deutschland gekommen sein, weil sie in ihrer Heimat als Muslime verfolgt wurden.
Der Opferbeauftragte der Bundesregierung, Edgar Franke (SPD), sicherte den Angehörigen der Toten schnelle finanzielle Hilfe zu. „Aus dem Fonds für Härteleistungen können innerhalb von zwei Wochen Soforthilfen ausgezahlt werden“, sagte Franke dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Das seien für Ehepartner, Kinder und Eltern von Getöteten 30 000 Euro, für Geschwister 15 000 Euro. Das könne das Leid des Verlustes nicht mindern, so Franke. Aber zumindest sei es eine Hilfe für die nötigsten Dinge, die in diesem Moment wichtig seien. Die hessische Landesregierung bestimmte Generalstaatsanwalt Helmut Fünfsinn zum persönlichen Ansprechpartner für Angehörige und überlebende Opfer.