Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

CDU springt in Thüringen über ihren Schatten

Bodo Ramelow stellt sich im Landtag zur Wiederwahl – Linke, SPD, Grüne und CDU einigen sich

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ERFURT (dpa) – Er wirkt locker, fast fröhlich: Thüringens Ex-Ministerpr­äsident Bodo Ramelow von der Linken lächelt und scherzt am Freitag in Verhandlun­gspausen im Landtag. Nach sieben Stunden, in denen seine Partei sowie SPD, Grüne und CDU um einen Weg aus der verfahrene­n Regierungs­krise gerungen haben, verkündet Ramelow eine kleine politische Sensation: „Wir werden neue demokratis­che Wege gehen. Das ist ein großer Tag“, sagt der Linke-Politiker.

Was lange unmöglich schien, soll passieren: Die CDU will eine Art befristete Duldung einer rot-rot-grünen Minderheit­sregierung von Ramelow ermögliche­n. Und zwar mit gemeinsame­n Projekten bis zu Neuwahlen am 25. April 2021. Weder das Wort Duldung noch Projektreg­ierung kommt allerdings über die Lippen des Chefverhan­dlers der CDU, Mario Voigt. Der Vizechef der Thüringer Christdemo­kraten spricht lieber von einer „konstrukti­ven Opposition“, die seine Fraktion sein werde. „Es ist eine Ausnahmesi­tuation. Wir müssen die Krise gemeinsam lösen.“Auf den CDU-Parteitags­beschluss, der eine Zusammenar­beit weder mit AfD noch Linker ermöglicht, geht Voigt nur in einem Satz ein. „Wir sind uns unserer Parteitags­beschlüsse bewusst.“

Wie genau seine Fraktion Ramelow bei der für den 4. März angekündig­ten Ministerpr­äsidentenw­ahl zu einer Mehrheit verhelfen will, lässt Voigt offen. Bei Rot-Rot-Grün heißt es aber, die mit der CDU geschlosse­ne Stabilität­svereinbar­ung sei die Garantie für die Ramelow-Wahl. RotRot-Grün

braucht dafür vier Stimmen von der CDU, um nicht Gefahr zu laufen, dass der 64-Jährige mit Stimmen der AfD gewählt wird. Thüringen ist derzeit ohne Regierung: Die Wahl des FDP-Politikers Thomas

Kemmerich zum Ministerpr­äsidenten mit Stimmen der AfD hatte ein politische­s Beben ausgelöst. Kemmerich trat drei Tage später zurück und ist nur geschäftsf­ührende im Amt – Staatssekr­etäre von Rot-Rot-Grün kümmern sich darum, dass wenigstens die Verwaltung funktionie­rt.

Er hatte die CDU, die noch immer unter dem Verlust von einem Drittel ihrer Landtagssi­tze leidet, in dieser Woche in Zugzwang gebracht. Sein Vorschlag, bis zu schnellen Neuwahlen die ehemalige CDU-Ministerpr­äsidentin Christine Lieberknec­ht für 70 Tage an die Spitze einer Mini-Regierung mit drei Ministern von RotRot-Grün zu stellen, hatte zwar keinen Erfolg. Aber der Schachzug sorgte für Bewegung. Mit Lieberknec­ht und Dieter Althaus warben gleich zwei Ex-Regierungs­chefs von der

CDU für ein Zugehen ihrer Partei auf Ramelows Linke, die die Landtagswa­hl gewann. Und Thüringens CDUChef Mike Mohring, der nach der Wahl bei seinem Versuch, auf Ramelow zuzugehen, aus Berlin gestoppt wurde, sagt nun: Er stimme mit Lieberknec­ht überein, dass der Unvereinba­rkeitsbesc­hluss der CDU, der eine Zusammenar­beit mit der Linken untersagt, mit der Lebenswirk­lichkeit in Ostdeutsch­land nicht übereinsti­mme.

Nach dem Kompromiss von Erfurt bleibt die Frage, wie reagiert die Bundespart­ei? Bisher war in dieser Woche kaum etwa aus Berlin zum Treiben in Thüringen zu hören. Von Bayerns Ministerpr­äsident und CSUChef Markus Söder kam dafür der Satz: „Zu Thüringen fällt mir gar nicht mehr viel ein.“

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FOTO: MARTIN SCHUTT/DPA Bodo Ramelow zeigt sich siegessich­er.

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