Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Der Erlebnisfaktor ist das Entscheidende“
Klaus Wellmann, Chef der Messe Friedrichshafen, erklärt, wie sich Messen im Digitalzeitalter neu aufstellen müssen
- Es gibt wohl kaum jemanden, der einen so großen Arbeitsplatz hat wie Klaus Wellmann. 123 000 Quadratmeter muss der Chef der Messe Friedrichshafen im Blick haben. Die Messe am Bodensee ist bekannt für Veranstaltungen wie die Fahrradschau Eurobike oder die Tuning World Bodensee. Vergangenes Jahr allerdings musste sie eine ihrer größten Veranstaltungen – die Fachmesse Outdoor – dem Konkurrenten in München überlassen. Benjamin Wagener, Helena Golz und Martin Hennings haben mit Wellmann über diesen Verlust, die Herausforderungen durch die Digitalisierung und neue Nutzungsformen des Messegeländes gesprochen.
Herr Wellmann, die Automesse IAA ist derzeit auf der Suche nach einem neuen Standort. Warum haben Sie sich eigentlich nicht beworben? (lacht) Naja, die vom Verband der Automobilindustrie ausgeschriebene IAA geht ja weit über eine normale Messe hinaus. Der Messestandort Friedrichshafen mit seiner Infrastruktur hätte die Ausschreibungskriterien des VDA wohl nicht erfüllt.
Was glauben Sie, in welche Messestadt die IAA nun zieht?
Ich lege Ihnen nachher mal einen umgedrehten Zettel hin. Wir haben hier intern Wetten laufen mit interessanten Einsätzen.
Wir sind gespannt. Schauen wir doch jetzt zunächst mal auf das vergangene Jahr. 2019 ist Ihnen ein großer Umsatztreiber weggebrochen, die Outdoor-Messe. Sie ist nach München abgewandert. Wie groß waren die Einbußen dadurch?
Finanziell möchte ich das nicht quantifizieren. Es war aber ein erklecklicher Betrag, der uns sowohl im Umsatz wie auch am Deckungsbeitrag fehlte und auch weiter fehlen wird. Es war auch eine emotionale Belastung, die wir da verkraften mussten. Der gesamte Messeplatz Friedrichshafen wurde plötzlich in Zweifel gezogen, denn als Begründung nannte man damals die Verkehrsinfrastruktur und die Hotelkapazitäten. Da muss man in der Kommunikation, im Marketing, in der Werbung versuchen, dagegenzuhalten. Es tut sich Gott sei Dank aber in der Region einiges, was beispielsweise die Verkehrsinfrastruktur angeht. Es gibt neue Hotelprojekte im Einzugsgebiet. Das ist super für uns.
Als Ihnen die Outdoor weggebrochen ist, haben Sie beschlossen trotzdem eine Outdoor-Messe in kleinerer Form bei sich beizubehalten. Die Veranstaltung war für Herbst 2019 geplant, im Sommer 2019 haben Sie sie dann aber abgesagt. Warum?
Wir hatten etwas mehr als 50 Aussteller dafür. Aber diese 50 Aussteller haben sich stark auf verschiedene Produktgruppen verteilt – dadurch waren es dann pro Produkt zu wenig. Die Besucher wären enttäuscht worden. Da haben wir entschieden die Messe nicht durchzuführen in der Hoffnung, dass beim nächsten Wurf, die Kundschaft bereit ist, hierher zu kommen.
Wann wollen Sie denn den nächsten Wurf wagen?
Da möchte ich jetzt keinen Zeitpunkt nennen. Das wäre verfrüht.
Sie veranstalten jährlich die Fahrradmesse Eurobike. Wie realistisch schätzen Sie die Gefahr ein, dass die Messe München Ihnen auch noch beim Thema Eurobike gefährlich wird?
Die Eurobike in Friedrichshafen ist im Moment der einzige globale Treffpunkt, bei dem alle Stufen der Wertschöpfungskette zusammenkommen. Es kommen auch viele Entscheidungsträger, die nicht offiziell ausstellen, die hier aber ihre Geschäfte machen oder ihre Gespräche zur Kollektionsabstimmung, zu Vertriebsaktivitäten oder Marketingaktionen führen. Diese Plattform wird auch weiterhin gefragt sein.
Also gibt es das Bedürfnis nach persönlichem Austausch auch in Zeiten der digitalen Kanäle?
Ja, es gibt auch in Zeiten der digitalen Informationsgestaltung den Wunsch nach persönlichem Kontakt. Es mag an dem altmodischen Begriff Vergen
liegen, das bei persönlichen Treffen entsteht und geschärft wird, es mag auch daran liegen, dass manche Produkte haptisch noch einmal einen anderen Eindruck machen. Diese Mischung spricht nach wie vor für Veranstaltungen. Das heißt natürlich nicht, dass sich Messe-Veranstaltungen nicht auch wandeln müssen.
Wie wandelt sich Ihre Messe?
Unser bisheriges Geschäft war eine Kombination aus verkauften Quadratmetern und Dienstleistungen. Aber wenn man an die Eurobike denkt, müssen Aussteller nicht mehr wie früher 200 Fahrräder in allen Farben und Modellgrößen ausstellen. Es reichen wenige Fahrräder – dafür in einer Art Lounge-Atmosphäre. Der Mehrwert, der für den Besucher entsteht, liegt dann in der Kommunikation und den Erklärungen der Aussteller. Alle Produktvarianten im Einzelnen können dann im Netz angeschaut werden. Bei der Messe selbst ist der Erlebnisfaktor das Entscheidende.
Die Messe Friedrichshafen hat zuletzt die Abteilungen Geschäftsfeldentwicklung und Gastveranstaltungen getrennt. Ist das auch eine Konsequenz des sich wandelnden Geschäfts?
Genau, wir wollen beide Bereiche stärken. Vor allem sehen wir noch Chancen bei Gastveranstaltungen, indem wir Agenturen und auch Unternehmen ansprechen und dafür werben, dass sie ihre Veranstaltungen bei uns machen. Der Überlinger Naturkostversorger Bodan macht bei uns zum Beispiel eine Informationspräsentation für seine Händler, der Camping-Zubehör-Hersteller Movera eine internationale InfoShow. Sogar Autozulieferer mieten unsere Hallen, dunkeln sie ab und machen geheime Fahrtests.
Ist das eine neue Entwicklung?
Nein, aber wir wollen die Gastveranstaltungen ausbauen. Grundsätzlich gibt es Eigenveranstaltungen, bei denen wir als Messe-Unternehmen in Friedrichshafen oder an anderen Standorten Messen organisieren, und Gastveranstaltungen, bei denen ein Gast auf unserem Gelände Messen veranstaltet und von uns gegen Entgelt Dienstleistungen einkauft. Neu sind Mischformen aus beidem.
Wie funktioniert das?
Bei solchen Formen gibt es beispielsweise einen Veranstalter, einen Messeplatz und einen organisatorischen Dienstleister. Bei der neuen Helikopter-Messe European Rotors in Köln sind wir beispielsweise letzteres und zuständig für den Vertrieb und die Kommunikation. Und unsere Abteilung Geschäftsentwicklung soll uns verstärkt in solche Veranstaltungen und auch neue Branchen reinbringen.
Bei welchen Veranstaltungen außer der erwähnten European Rotors sind Sie zurzeit in irgendeiner Form Partner?
Bei der Asia Outdoor in China, der Aseanbike in Thailand, bei der Aero South Africa und der Velo Berlin. In der Regel sind wir dort im Geschäft, wo wir durch eigene Veranstaltuntrauen
gute Kontakte in die Branche haben. Es geht da weniger um den Standort Friedrichshafen, sondern um unser jeweiliges BranchenKnow-how, das uns diese externen Türen öffnet.
Aber sollte es Ihnen nicht um den Standort Friedrichshafen gehen?
Unser Auftrag ist die Wirtschaftsförderung in Friedrichshafen und am Bodensee, das stimmt. Aber wir machen das, weil die auswärtigen Veranstaltungen ihren Deckungsbeitrag erbringen und damit auch Veranstaltungen in Friedrichshafen subventionieren. Zum anderen bringt es uns Zugänge zu neuen Netzwerken und Kunden. Und schließlich können wir den Wettbewerb absichern.
Sprich: den Markt verstopfen?
So könnte man das auch nennen. Ansonsten könnten sich Wettbewerber auftun und uns hier die Kunden abfischen. Deshalb besetzen wir die Märkte lieber selber und halten die Hand drauf. Friedrichshafen profitiert von uns als Messeveranstalter insgesamt.
Ziel ist es, dass auswärtige Veranstaltungen Messen in Friedrichshafen quersubventionieren. Haben Projekte jenseits des Bodensees noch nie rote Zahlen geschrieben?
Das haben wir bis jetzt noch nicht gehabt, weil wir in der Regel dort mit Modellen unterwegs sind, mit denen wir nicht verlieren können. Wir bringen uns nur irgendwo ein, wenn die Kosten für unseren Aufwand gedeckt sind. Bei der Messe European Rotors, bei der wir organisatorischer Dienstleister sind, bekommen wir die Kosten erstattet für unsere Kompetenz: Schließlich haben wir das Thema Helikopter bereits jahrelang auf der Aero abgebildet. Zudem erhalten wir neue Kontakte, welche auch die heimische Veranstaltung fördern.
Fassen wir den Wandel Ihres Messegeschäfts noch mal zusammen. Sie bauen also Ihre eigenen Messen und Marken mehr Richtung Event aus. Außerdem bemühen Sie sich um neue Partnerschaften und Internationalisierung. Haben wir noch etwas vergessen?
Da ist noch die Digitalisierung. Die ist – wie schon besprochen – ein Wettbewerber auf der einen Seite. Aber wir nutzen die Digitalisierung natürlich auch als große Chance für uns. Über die sozialen Medien lässt sich der Kontakt zu Branchen viel besser herstellen. Außerdem bieten wir auch selbst digitale Plattformen an, die die Akteure untereinander verknüpfen. Bei der Eurobike haben wir zum Beispiel ein Format mit initiiert, Bidex. Das ist ein Netzwerk von Herstellern und Händlern, wo Fahrradangebote, also Fahrradprodukte spezifiziert werden.
Das klingt insgeamt nach vielen Herausforderungen für das Messegeschäft. Sie sind seit 14 Jahren Geschäftsführer der Messe Friedrichshafen, ist das Geschäft schwieriger geworden?
Es ist deutlich schwieriger geworden – für uns, aber auch für alle anderen. In den nächsten Jahren werden wir in Deutschland mit Sicherheit Messen verlieren. Doch wenn wir neue Produkte schaffen, dann kriegen wir die Kurve.
Hat die Stadt Friedrichshafen in zehn Jahren also noch eine Messe? Ich glaube an das Modell Messe. Kurze Anleihe an die Historie: Woher kommt „Messe“? Man hat sich nach der Heiligen Messe auf dem Kirchplatz getroffen, weil alle Menschen aus der Kirche rauskamen. Es war eine wunderbare Möglichkeit für Händler, um die Kirchenbesucher abzufangen. An dieses persönlichen Treffen zum Austausch, zum Vertrauensaufbau und zum Erleben von speziellen Produkten glaube ich.
Anmerkung der Redaktion: Noch ist unklar, in welcher Stadt die IAA künftig stattfinden wird. In der engeren Auswahl sind Berlin, München und Hamburg. Klaus Wellmann tippt auf Berlin. Auf seinem Zettel jedenfalls stand ein großes B.