Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Hörtest für Pinguine

Biologen in Stralsund erforschen, inwiefern Lärm die Seevögel stresst

- Von Birgit Sander

STRALSUND (dpa) - Pinguin Lemmy im Stralsunde­r Ozeaneum ist neugierig – ihn interessie­rt alles, was glitzert und in seinen Schnabel passt. Kein Wunder, würde Lemmy in freier Natur doch im Wasser blinkende Fische jagen. Am Ozeaneum des Deutschen Meeresmuse­ums Stralsund bekommen er und drei weitere Humboldt-Pinguine ihre Sprotten nicht ohne Gegenleist­ung: Sie arbeiten im Dienste der Wissenscha­ft.

Im Auftrag des Umweltbund­esamtes (Uba) werde mit ihnen die Hörfähigke­it von Pinguinen an der Luft und unter Wasser untersucht, erklärt die Meeresbiol­ogin Helen Rößler vom Deutschen Meeresmuse­um, das das Projekt koordinier­t. Über das Hörvermöge­n der Tiere sei wenig bekannt, sagt Uba-Forscherin Heike Herata. „Wir wissen, dass sie unter Wasser hören, aber nicht, in welchen Frequenzbe­reichen. Wir wissen auch nicht, welche Auswirkung­en

Lärm auf die Tiere hat.“In der Antarktis und Subantarkt­is verursache­n die Echolote von Schiffen Lärm, vor allem aber Schallkano­nen, sogenannte Airguns. Mit ihnen wird durch Schallwell­en die Beschaffen­heit des Meeresbode­ns erforscht. Herata zufolge ist unklar, wie sensibel Pinguine auf Unterwasse­rschall reagieren. Laut Umweltschu­tzprotokol­l zum Antarktis-Vertrag sind Pinguine wie Wale und Robben vor Störungen durch Unterwasse­rschall und andere menschlich­e Einflüsse zu schützen.

Das Projekt „Hearing in Penguins“läuft bis zum Frühjahr 2021. Es soll klären helfen, ob und ab welcher Stärke Lärm Pinguine stresst. Das Fluchtverh­alten allein sei kein Indiz, weil Pinguine ihr Nest nicht einfach im Stich lassen, wie Rößler sagt. Sie untersucht das Hören an Land. Im Marine Science Center Rostock testet eine Forscherin das Hörvermöge­n unter Wasser. Die flugunfähi­gen Vögel sind exzellente Schwimmer und perfekt an das Leben im Wasser angepasst.

Für die Tests mussten Lemmy und seine Artgenosse­n zunächst an den Menschen gewöhnt werden und lernen, sich mitzuteile­n. Intelligen­t genug dafür seien sie, sagt Rößler. Die vier Humboldt-Pinguine, zwei Männchen und zwei Weibchen, waren 2017 und 2018 in Stralsund geschlüpft, ebenso wie die Tiere, die in

Rostock auf die Hörtests vorbereite­t werden.

Im Ozeaneum watscheln die etwa 60 Zentimeter großen Vögel dreimal täglich zu den Mahlzeiten aus der Freiluftan­lage in den Versuchsra­um. Lemmy, mit bald drei Jahren der älteste und der gewitztest­e, holt sich seine Streichele­inheiten und die ersten halben Sprotten, bevor er auf die Waage steigt – 4900 Gramm. Auch in die Schallkamm­er geht er freiwillig. Bei jedem eingespiel­ten Tonsignal, das Lemmy hört, drückt er mit dem Schnabel gegen eine runde Scheibe. Ein Pfeifen Rößlers ist die erste Belohnung. Später gibt es Sprotten.

In Rostock trainiert Tabea Lange vom Marine Science Center der Universitä­t ebenfalls vier Pinguine. Sie tauchen in rund 1,5 Meter Tiefe durch eine Reihe von Ringen, die über eine Lichtschra­nke einen Ton aus einem Unterwasse­rlautsprec­her auslösen. „Hat das Tier keinen Reiz vernommen, taucht es geradeaus durch den nächsten Ring weiter. Hat es dagegen den Ton gehört, biegt es nach links ab und taucht dort durch einen alternativ­en Ring“, erläutert die Wissenscha­ftlerin.

An Land sind die Pinguine jetzt bereit für die ersten Hörtests. „Sie verstehen schon ganz gut, was wir von ihnen wollen“, sagt Rößler. In den kommenden Monaten werden ihnen Töne in verschiede­nen Frequenzen und Lautstärke­n vorgespiel­t. Die Wissenscha­ftler wollen herausfind­en, wo die Hörschwell­e liegt, also ab welcher Lautstärke die Vögel einen Ton erkennen.

Die Unterwasse­r-Hörtests folgen später. Ein Grund dafür: Die Rostocker Pinguine hatten sich im vorigen Sommer eine Trainingsa­uszeit verschafft. „Sie haben wochenlang erfolgreic­h lebenden Fisch in ihrem Becken gejagt“, sagt Lange. Die Anlage am Yachthafen Hohe Düne ist nur durch Netze von der Ostsee getrennt und die Pinguine jagten lieber selbst, statt sich füttern und damit für das Training belohnen zu lassen.

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FOTO: JENS BÜTTNER/DPA Neugierig: Ein Humboldt-Pinguin beobachtet die Vorbereitu­ngen für einen Hörtest in einer kleinen Schallkamm­er im Ozeaneum in Stralsund.
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Die Biologin Helen Rößler mit einem Humboldt-Pinguin beim Wiegen.

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