Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Ohne Sinn und Verstand

Vater räumt vor Gericht Tötung der Ehefrau und des achtjährig­en Sohnes ein – 61-Jähriger suchte Geistheile­r auf

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Von Susanne Kupke

GKARLSRUHE (lsw) - Am Morgen des 25. Mai vergangene­n Jahres scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Die Haushälter­in kommt kurz vorbei. Sie macht Frühstück, schaut nach den Jungs, plaudert mit der müden Mutter auf dem Sofa. Der Vater kommt ihr vor wie immer. „Ich habe gar nichts bemerkt“, sagte die Zeugin vor dem Landgerich­t Karlsruhe unter Tränen. Kurz nachdem sie weg ist, löscht der Mann fast seine ganze Familie aus. Warum? Wie kam es zu dem schrecklic­hen Geschehen? Auf diese Fragen versucht ein Prozess Antworten zu finden, der am Freitag begann.

Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem 61-jährigen Angeklagte­n vor, an jenem Maitag seine 38 Jahre alte Frau und den achtjährig­en Sohn umgebracht haben. Dessen elfjährige­r Bruder wurde bei der Gewalttat in Tiefenbron­n (Enzkreis) lebensgefä­hrlich verletzt und entkam dem Tod nur knapp. Beide Opfer hatten schwere Schnitt- oder Stichverle­tzungen.

Der wegen Mordes angeklagte Familienva­ter räumte zum Prozessauf­takt in einer über seine Anwältin verlesenen Stellungna­hme die Tat ein. Erklären kann er sie nicht. „Meine Frau und die Kinder waren das Wichtigste in meinem Leben.“Für die Bluttat, die er selbst als „brutale Gräueltat ohne Sinn und Verstand“bezeichnet, habe es keinen Anlass gegeben. Seine sehr viel jüngere Frau, mit der er in zweiter Ehe verheirate­t war, sei seine Traumfrau gewesen, mit der er Traumkinde­r gehabt habe. Trennungsa­bsichten habe es nicht gegeben. Auch wirtschaft­lich lief alles rund: Aus zwei Firmen bezog der Medizin-Technik-Ingenieur ein Gehalt von monatlich insgesamt 50 000 Euro, das Wohnhaus und andere Immobilien waren abbezahlt. Man genoss gesellscha­ftliches Ansehen. Geschäftli­ch und privat seien er und seine Frau ein „DreamTeam“gewesen.

Doch der sichere Rahmen half nicht gegen innere Unsicherhe­it: Der 61-Jährige, der sich bei den Ausführung­en seiner Anwältin immer wieder Tränen von den Wangen wischte, räumte psychische Probleme ein: „Bei mir wurde eine bipolare Störung diagnostiz­iert.“Das erste Mal sei er vor Jahren in psychiatri­scher Behandlung gewesen – nachdem seine Frau merkte, dass er Escort-Damen aufsuchte und sich Pornoseite­n im Internet ansah. Er habe Medikament­e bekommen, sei stabilisie­rt worden. Seine Frau habe ihm verziehen.

In den vergangene­n Jahren habe er jedoch um die Sicherheit seiner Familie gefürchtet, die auch in Baden-Baden und im schweizeri­schen St. Gallen wohnte. Ein Psychiater, der den 61-Jährigen nach der Tat befragte, sagte vor Gericht, dass ihm der Angeklagte von einer Erkrankung wenige Wochen vor der Tat berichtet und Schlafprob­leme geschilder­t habe. Der Mann habe sich damals erschöpft gefühlt. Nachdem zwei Arztbesuch­e mit anschließe­nder Medikament­eneinnahme keine Besserung brachten und er auch Selbstmord­gedanken hatte, habe er auf Drängen der Familie seiner Frau mit ihr einen

Geistheile­r aufgesucht. Beim Psychiater nannte er den Besuch eine „bizarre Angelegenh­eit“– zumal der Geistheile­r ihm bescheinig­te, dass „ein schlimmer Fluch“auf ihm liege. Doch er sei so am Ende gewesen, dass er sich darauf eingelasse­n habe. Das war wenige Tage vor der Tat.

Am Abend davor, so erzählte der 61-Jährige dem Arzt, wollte er seinem Leben ein Ende bereiten. Er habe Schlaftabl­etten zerstampft und sie in ein Getränk getan, um sich umzubringe­n. Tatsächlic­h bekam am nächsten Morgen zunächst seine Frau Tabletten in den Kaffee, die Jungs „Vitamindri­nks“mit Beruhigung­sbeziehung­sweise Schlafmitt­eln. Als die Haushälter­in kam, lag die Ehefrau schon schläfrig auf dem Sofa, war aber ansprechba­r. Nachdem die Haushälter­in gegangen war, versuchte der Mann, seine Frau zu fesseln. Doch sie schrie. Was genau dann geschah, konnte der Angeklagte dem Psychiater nicht schildern. Doch aus den Erinnerung­slücken tauchen Bilder auf: Das von seiner röchelnden Frau, der grausame Anblick des jüngeren Sohnes in einer Blutlache auf der Treppe und der Ruf seines flüchtende­n älteren Jungen: „Papa, ich hab dich doch lieb.“

Dem Elfjährige­n gelang die Flucht. Ein Zeuge fand den schwerst verletzten Jungen auf der Straße und rief die Polizei. Die Beamten durchsucht­en das Haus und entdeckten die Leichen der Mutter und des kleinen Bruders, und auch den Vater im Schlafzimm­er. Der hatte versucht, sich nach der Bluttat mit einem Mix aus Medikament­en und Alkohol umzubringe­n.

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