Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Widerstand der Landwirte ist unverständlich“
Martin Hahn hält viel vom Artenschutzkompromiss und wenig von der B1-Variante für die B 31
FRIEDRICHSHAFEN - Ob Landwirtschaft und Volksbegehren Artenschutz, Chaos auf der Bodenseegürtelbahn oder heiße Trassendiskussionen zur B 31: Die vergangenen Monate waren reich an kontroversen Themen. Im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“erklärt der Überlinger Landtagsabgeordnete Martin Hahn (Bündnis 90/Die Grünen) unter anderem, warum er den Artenschutzkompromiss super und die favorisierte B-31-Trasse ziemlich problematisch findet – und warum er sich noch kein ÜB-Kennzeichen fürs Auto geholt hat.
Vor ein paar Monaten haben wir uns zum Thema Landwirtschaft und Klimawandel und zum Volksbegehren Artenschutz getroffen. Wie bewerten Sie den Kompromiss, der mittlerweile auf dem Tisch liegt, insbesondere auf Seiten der Landwirte aber nicht von allen auch als solcher gesehen wird?
Ich war ja einer der wesentlichen Treiber des Kompromisses und habe schon im Juni den Ministerpräsidenten aufgefordert, einen solchen vorzulegen, um das Heft des Handelns wieder in die Hand zu nehmen. Mit dieser Haltung bin ich relativ lange alleine gewesen, war dann aber sehr froh, dass der Ministerpräsident im September seine Minister aufgefordert hat, einen Kompromiss zu erarbeiten. Was Hauk und Untersteller dann im Oktober vorgelegt haben und angenommen worden ist, finde ich super. Dass gerade in unserer Region verschiedene Landwirte Widerstand leisten, ist für mich unverständlich, denn im Kompromiss sind die Extremforderungen des ursprünglichen Volksbegehrens, die kaum zu bewältigende Anforderungen an jeden einzelnen Betrieb bedeutet hätten, entfallen: Übers Volksbegehren waren 12000 landwirtschaftliche Betriebe direkt in ihrer Art und Weise des Wirtschaftens gefährdet. Jetzt sind alle in der Verantwortung: Private, Unternehmen, die öffentliche Hand – und nicht nur die Landwirtschaft. Ich bin sicher, dass der Kompromiss tragfähig ist – und auch als Grundlage für den Bund dienen kann.
Wie fällt ihre Antwort aus, wenn Sie die Frage nicht als Landtagsabgeordneter, sondern als ehemaliger Landwirt beantworten?
Noch positiver, weil jetzt alle in einem Boot sitzen. Die Sichtweise, dass die Landwirte alleine verantwortlich sind für Artenschwund, besteht nicht mehr. Der Kompromiss nimmt die alleinige Schuldzuweisung an die Landwirte weg und
Martin Hahn über die Vorzugsvariante B1 für die B 31. macht den Artenschutz zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, vom Privatgarten bis zum öffentlichen Grün.
Es gibt aber sicher auch Themen, die Martin Hahn als Bürger des Bodenseekreises anders sieht als der Landtagsabgeordnete einer Regierungspartei. Stichwort Bodenseegürtelbahn: Wie bewerten Sie deren Zustand?
Als sehr problematisch. Die Bodenseegürtelbahn ist das Rückgrat unseres öffentlichen Personennahverkehrs, und ein Rückgrat muss stabil sein. Mit dem neuen Zugmaterial sind wir zwar besser geworden, aber noch nicht so wie man es sich wünscht. Die Beschwerden, die direkt bei mir ankommen, sind weniger geworden, dennoch müssen wir daran arbeiten, dass der Verkehr stabiler und zuverlässiger läuft. Wenn man über den See blickt und sieht, wie stabil Bahnverkehre laufen können, sind wir da schon noch ausbaufähig.
Und wen sehen Sie da zuvorderst in der Verantwortung?
Die liegt natürlich primär bei den Vertragsnehmern für den Nahverkehr. Dass sich über vertraglichen Druck etwas bewirken lässt, wage ich zu bezweifeln.
Das Land hat seine Hausaufgaben gemacht?
Soweit das für mich als Abgeordneter einsehbar ist: Ja. Man hat Verträge geschlossen mit Partnern, bei denen man davon ausgegangen ist, dass das klappt. Das Land ist nur Vertragsgeber – wobei es mich schon wundert, dass wir auf mehreren Strecken Probleme haben.
Probleme gibt’s im Bodenseekreis traditionell auch mit den Straßen. Ein Freund der Vorzugsvariante B1 für die B 31-neu zwischen Immenstaad und Meersburg sind Sie nicht. Warum?
Ich persönlich halte die Planung nicht für tragbar, denn diese Trasse hat mehrere große Mängel. Der eine große Mangel ist im Westen die Durchfahrung des Weingartner Walds. Ich bin überzeugt, dass sie nicht rechtssicher ist. Dasselbe haben wir aus meiner Sicht im Bereich der Querung der Lipbach-Aue ganz im Osten. Ich habe den Eindruck, dass hier eher politisch entschieden worden ist. Grundsätzlich haben wir Grüne uns immer für eine nicht autobahnähnliche Ausbaulösung mit Geschwindigkeitsbegrenzungen ausgesprochen, eine möglichst kleine Straße, die in der Lage ist, den Verkehr aufzunehmen. Was jetzt als Planung vorliegt, unterscheidet sich nur unwesentlich von einer Autobahn. Das halten wir in unserer sensiblen Bodenseeregion für falsch.
Die Grünen sind auch nicht die größten Fans des Häfler Flughafens. Das Land hat einen Investitionskostenzuschuss in Aussicht gestellt und vor einem Jahr ein Darlehen zugesagt. Ausgezahlt werden soll das Geld aber nur, wenn die Finanzierung des Airports langfristig gesichert ist. Dafür braucht’s weitere Millionen – mutmaßlich vom Bodenseekreis und der Stadt Friedrichshafen. Wird Kreisrat Martin Hahn dafür die Hand heben?
Öffentliche Mittel sind unter finanzwirtschaftlich nachhaltigen Gesichtspunkten einzusetzen. Grundsätzlich ist Flugverkehr aus meiner Sicht ein privatwirtschaftliches Business. Der Flughafen braucht endlich einen Businessplan, der tragfähig ist. Keiner der in den vergangenen 15 Jahren vorgelegten Businesspläne hat funktioniert.
Ein ganz anderes Thema: Die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen war für die AfD ein echter Coup. Wie erleben Sie Kollegen der AfD im Landtag oder auch im
Kreistag des Bodenseekreises?
In jeder Landtagsdebatte kommen sowohl die AfD, als auch die fraktionslosen Rechten mit Anträgen zur Geschäftsordnung. Jeder dieser Anträge bringt fünf Minuten Redezeit, in der dann im Wesentlichen braune Soße übers Land verteilt wird. Das ist kaum mehr auszuhalten. Und ich sehe die große Gefahr, dass man sich daran gewöhnt, dass diese Sprache zu einem Teil der Wirklichkeit wird. Man hat das Gefühl, dass von jedem Dreck, der aufspritzt, irgendwas hängen bleibt. Eine unserer großen Aufgaben sehe ich deshalb darin, uns mit breitem Rücken für unsere Demokratie stark zu machen.
Was wünscht sich der Überlinger Bürger Martin Hahn für 2020 von der Landesregierung?
Als Überlinger Bürger freue ich mich erstmal auf die Landesgartenschau und wünsche mir, dass Mitglieder unserer Landesregierung dort auch mal vorbeischauen. Unserer Region wünsche ich vor allem, dass wir Verbesserungen bei der Mobilität erreichen und es mit der Unterstützung aus Stuttgart für begonnene Projekte weitergeht.
Und was verspricht der Landtagsabgeordnete Martin Hahn den Bürgern des Bodenseekreises für 2020? Da bin ich vorsichtig. Aber ein entscheidender Prozess ist sicher der Ausbau der Bodenseegürtelbahn, den wir vom Land möglichst schnell und konkret unterstützen müssen. Denn das ist die Infrastrukturmaßnahme, die uns am schnellsten, effizientesten und pro gefahrenem Kilometer am billigsten weiterhilft.
„Ich persönlich halte die Planung nicht für tragbar, denn diese Trasse hat mehrere große Mängel.“
Letzte Frage: Haben Sie sich schon ein ÜB-Kennzeichen geholt? Nein, noch nicht. Ich hatte noch keine Zeit dafür. Aber tendenziell gehöre ich natürlich zu den Menschen, die sich das holen werden. Ich habe die Einführung der Altkennzeichen ja politisch unterstützt, denn das ist so ein klassisches Beispiel, wo Politik großzügig sein kann. Es ist doch egal, was bei den Leuten auf dem Autokennzeichen steht. Wichtig ist nur, dass es einmalig ist, damit der Halter erkennbar ist. Den Bodenseekreis wird das in keinster Weise auseinandertreiben.
Mit diesem Interview endet die kleine Serie der Jahresgespräche mit Bundestags- und Landtagsabgeordneten aus dem Bodenseekreis. Eine entsprechende Anfrage richtete sich auch an
– blieb allerdings unbeantwortet.