Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Quer durch Luxemburg zum Nulltarif

Den kostenlose­n Nahverkehr ab 1. März können auch Touristen nutzen

- Www.mobiliteit.lu/de. www.visitluxem­bourg.com/de

Von Mona Contzen

GLUXEMBURG (dpa) - Hannover und Düsseldorf testeten das Konzept, das australisc­he Perth und die malaysisch­e Metropole Kuala Lumpur machen mit, Estlands Hauptstadt Tallinn gilt als glänzendes Vorbild: Kostenlose­r Nahverkehr ist angesichts verstopfte­r Innenstädt­e und der Klimakrise weltweit ein Thema. Wirklich ernst macht ab 1. März das kleine Luxemburg – als erster Staat weltweit. Dann darf im gesamten Großherzog­tum jeder Bus, jede Bahn und Tram ohne Ticket genutzt werden. Auch Touristen können zum Nulltarif quer durchs Land reisen.

Luxemburg – kaum größer als das Saarland – ist wie gemacht für eine Reise mit Bus und Bahn. Ein solcher Trip nach Fahrplan beginnt unweigerli­ch am Luxemburge­r Hauptbahnh­of, der auf Französisc­h schlicht „gare“heißt, Bahnhof. In der Hauptstadt des kleinen Staates gibt es nur neun Gleise. Die Regionalba­hn aus Koblenz fährt pünktlich ein, gut zwei Stunden braucht sie vom Deutschen Eck ins Großherzog­tum. Draußen vor der Bahnhofsha­lle halten die Stadtbusse im Minutentak­t. Viel los ist hier nicht. Einheimisc­he und Grenzgänge­r, die aus den Nachbarlän­dern zur Arbeit kommen, sitzen längst rund um den Place d’Armes zwischen Boutiquen von Gucci, Versace und Co. und lassen sich ihr Sushi oder ihre Foie Gras in der Mittagspau­se schmecken.

Hauptstadt der kurzen Wege Nicht weit entfernt liegt mitten in der Innenstadt ein echtes Schloss, das Palais der großherzog­lichen Familie im Stil der flämischen Renaissanc­e. Hinzukommt die neogotisch­e Kathedrale aus dem 17. Jahrhunder­t und direkt dahinter die 27 Meter hohen Festungsma­uern, die die Altstadt einst zu einer der stärksten Festungen Europas machten und samt historisch­em Kern längst zum Weltkultur­erbe gehören – eine Hauptstadt für Fußgänger. Denn während sich die in den Felsen gehauenen Kasematten, die unterirdis­chen Gänge der Wehranlage, auf 23 Kilometern erstrecken, ist Luxemburg an der Oberfläche eine Stadt der kurzen Wege. Über die Corniche flaniert man ruhig und gemütlich zwischen Ober- und Unterstadt entlang des Alzette-Tals. Der „schönste Balkon Europas“soll das sein, doch wer das gesagt hat, weiß nicht einmal mehr die Stadtführe­rin. Die Aussicht: unten viel Grün und sorgsam restaurier­te Häuser aus dem 18. Jahrhunder­t,

am Horizont das Kirchberg-Plateau mit den Glaspaläst­en von sage und schreibe 147 Banken und allerlei europäisch­en Institutio­nen.

Eines ist klar: Als bedeutende­r Finanzplat­z kann sich das Großherzog­tum den kostenlose­n Nahverkehr leisten. Insgesamt 41 Millionen Euro hat der Ticketverk­auf zuletzt eingebrach­t. Geld, das nun wegfällt. „Doch in Anbetracht der Summen, die in andere Bereiche, zum Beispiel Infrastruk­tur, investiert werden, ist dieser Betrag eher gering“, heißt es aus dem Verkehrsmi­nisterium. Etwa 3,9 Milliarden will das Land bis 2027 in den öffentlich­en Transport investiere­n.

Was nicht jeder weiß: Wer mit dem Zug eine gute halbe Stunde gen Süden fährt, landet in den Terres Rouges, dem Land der roten Erde. Es wurde einst durch die Kohle und dank des leuchtend roten Eisenerzes durch die Stahlindus­trie geprägt. Zeitzeugen dieser Ära, die seit Beginn des 20. Jahrhunder­ts ausschlagg­ebend für den wirtschaft­lichen Aufschwung des Landes war, sind die Hochöfen von Belval. Glänzend, als wäre der Lack gerade erst aufgetrage­n worden, erheben sie sich zwischen den modernen Gebäuden der Universitä­t, die hier zur „Stadt der Wissenscha­ft“angewachse­n ist. Studenten lernen an digitalen Arbeitsplä­tzen in der hochmodern­en Bibliothek, deren Fenster den Blick in eine alte Industrieh­alle gewähren. Junge Start-up-Gründer treffen sich in den Cafés und Restaurant­s zum Mittagesse­n.

Eine Art Ruhrgebiet deluxe Touristen klettern in das Innere von Hochofen A mit seiner großen Abstichhal­le, laufen am ehemaligen Kühlsystem entlang und bestaunen aus 40 Metern Höhe den schicken Mix aus alter Industriek­ultur und modernem Design. Noch lange nach der Stilllegun­g des letzten Hochofens 1997 galt die Region als Schmuddele­cke des Landes. Heute ist sie eine Art Ruhrgebiet deluxe: Allein in Belval hat sich der Staat den Strukturwa­ndel bis jetzt 1,9 Milliarden Euro kosten lassen.

Wer den Rest des Landes erkunden will, muss etwas mehr Geduld mitbringen. Denn abseits der Hauptroute, die per Zug die Hauptstadt mit dem Norden an der belgischen Grenze verbindet, sind viele ländliche Regionen nur mit dem Bus erreichbar. Von Luxemburg-Stadt aus geht es eine knappe Stunde nach Nordosten, dort wartet das Kontrastpr­ogramm zur Industriek­ultur. Die Hauptstadt liegt kaum hinter ihm, da zuckelt der bequeme Reiselinie­nbus schon an Wald und Wiesen vorbei. Im Mullerthal schläft man mit dem Muhen der Kühe ein. Der Spitzname Kleine Luxemburge­r Schweiz mag für die hügelige Landschaft aus Sandsteinf­elsen etwas ambitionie­rt sein, doch viele Spazierweg­e und der 112 Kilometer lange Mullerthal Trail machen die Gegend zum ausgewiese­nen Wanderrevi­er.

Touristisc­hes Zentrum und Hauptstadt der Region ist Echternach, Luxemburgs ältester Ort mit einer Geschichte, die bis ins Jahr 698 zurückreic­ht. Verwinkelt­e Gassen, die Türme der alten Stadtmauer und das gotische Stadthaus verleihen der kleinen Abteistadt noch heute ein mittelalte­rliches Ambiente. Doch die Wälder und Bachtäler des Naturund Geoparks Mullerthal locken zu sehr, als dass man sich allzu lange in Echternach aufhalten würde. Wuchtige Felsbrocke­n liegen mancherort­s zwischen Buchen und Eichen verstreut wie die Bauklötze eines Riesen, etwa in der Berdorfer Felsenland­schaft. Es gibt Grotten und Höhlen, in denen man nur kriechend vorankommt, Schluchten und enge Spalten, die man erkunden und über steile Leitern wieder verlassen kann. Die Felsen, teils bis zu 50 Meter hoch, speichern die kühle Luft.

In Luxemburg gibt es noch mehr zu entdecken, zum Beispiel das Moseltal mit seinen Weinbergen und mittelalte­rlichen Städten. Oder die Luxemburge­r Ardennen, das sogenannte Éislek mit seinen beiden großen Naturparks, wo man sich zwischen idyllische­n Tälern und Hochplatea­us mit Panoramabl­ick als ausgesucht­e Outdoor-Region versteht. Doch während der Süden recht gut erschlosse­n ist, stößt das Schienenne­tz hier schnell an seine Grenzen. So ist das schmucke Städtchen Vianden, das im Nordosten am Ufer der Our gleich an Rheinland-Pfalz grenzt, samt imposanter Burgruine nur mit dem Bus erreichbar — Umsteigen inklusive.

Infos und Fahrtzeite­n zum öffentlich­en Nahverkehr in Luxemburg findet man unter

Weitere Informatio­nen unter

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