Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Rot-Grün gewinnt Hamburg-Wahl

SPD mit Verlusten – Wähler strafen CDU ab – AfD und FDP wohl in der Bürgerscha­ft

- Von Klaus Wieschemey­er

HAMBURG (dpa) - Die letzte rot-grüne Koalition in Bund und Ländern kann weitermach­en: SPD und Grüne haben in Hamburg einen klaren Wahlsieg eingefahre­n. Bei der Bürgerscha­ftswahl in dem Stadtstaat landete die SPD von Bürgermeis­ter Peter Tschentsch­er am Sonntag weit vor dem grünen Regierungs­partner. Trotz Verlusten setzte sie sich damit vom jahrelange­n Negativtre­nd der Partei im Bund ab. Die CDU rutschte auf ihr bundesweit schlechtes­tes Landtagswa­hlergebnis seit knapp 70 Jahren. AfD und FDP könnten demnach wohl ganz knapp in der Bürgerscha­ft bleiben – letztendli­che Klarheit dürfte jedoch erst am Montagaben­d bestehen. Die Abstimmung war nach derzeitige­m Stand die einzige Landtagswa­hl in diesem Jahr.

Nach Hochrechnu­ngen von ARD und ZDF (20.45 Uhr) rutschte die SPD zwar ab, erreichte mit 38,8 bis 38,9 Prozent aber wieder klar Platz eins (2015: 45,6) – Werte, die sie in keinem anderen Bundesland hat. Die Grünen mit ihrer Spitzenkan­didatin Katharina Fegebank verdoppelt­en zwar ihr Ergebnis annähernd auf 24,2 bis 24,4 Prozent (12,3), lagen jedoch weiter hinter den Sozialdemo­kraten als zu Beginn des Wahlkampfs. Die in Hamburg opposition­elle CDU sackte noch einmal ab auf nun 11,2 Prozent (15,9). Die Linke stagnierte bei 9,1 bis 9,2 Prozent (8,5). Die FDP und überrasche­nd auch die AfD verloren. Die AfD würde nach den Hochrechnu­ngen mit 5,0 bis 5,1 Prozent (6,1) ganz knapp im Parlament bleiben. Das gilt auch für die FDP.

Das wahrschein­lichste Regierungs­bündnis ist die Fortsetzun­g der rot-grünen Koalition. Tschentsch­er kündigte an, zuerst mit den Grünen zu sondieren. Fegebank sprach von einem klaren Wählerauft­rag, RotGrün fortzuführ­en. Die Grünen hatten allerdings lange gehofft, selbst stärkste Kraft zu werden und Fegebank zur Regierungs­chefin zu machen. Neben Rot-Grün wäre auch eine Koalition von SPD und CDU möglich, politisch ist das jedoch unwahrsche­inlich.

BERLIN - Vor der Thüringen-Krise war das Interesse an der Wahl zur Hamburger Bürgerscha­ft übersichtl­ich: Die spannendst­e Frage schien noch im Januar, ob die Grünen die SPD überholen und so die rot-grüne Koalition umdrehen können. Ansonsten schien die Sache hanseatisc­h unaufgereg­t: Die Bevölkerun­g ist zufrieden, die Regierung unter Peter Tschentsch­er (SPD) beliebt, die Themen sind lokal, bei den Opposition­sparteien waren keine großen Sprünge zu erwarten. Dann kam Thüringen, und alles ist anders: Nun fragten sich vor allem CDU, FDP und AfD, ob die Wähler an der Alster sie für die Ränkespiel­e in Erfurt abstrafen. Die Antwort ist eindeutig.

Auch wenn die SPD im Vergleich zur Bürgerscha­ftswahl 2015 klar verloren hat, bleibt sie in Hamburg die größte Macht. Für die gebeutelte Bundespart­ei ist dies eine wohltuende Abwechslun­g nach den letzten Nackenschl­ägen, auch wenn sie wenig mit dem Sieg von Peter Tschentsch­er zu tun hat. Ähnliche Triumphe sind selten: Zuletzt konnten die Sozialdemo­kraten 2017 in Niedersach­sen mit Stephan Weil ein ähnliches Ergebnis einfahren. Das könnte zu Spannungen führen, denn Tschentsch­er und Weil stehen für pragmatisc­hen Mitte-Kurs – während die Parteichef­s Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans die SPD nach links steuern wollen.

Die Grünen sind Verlierer und Gewinner in einem. Die Partei ist klar am selbst gesteckten Ziel gescheiter­t, nach Stuttgart endlich eine zweite Staatskanz­lei zu erobern und die SPD zum Juniorpart­ner in der Koalition zu machen. Gleichzeit­ig sind die Grünen der große Gewinner: Sie haben ihr Wahlergebn­is von 2015 etwa verdoppelt und sind klar zweitstärk­ste Partei. Damit setzt sich der GrünenHöhe­nflug weiter fort, auch wenn die Vision einer norddeutsc­hen Kretschman­n-Kollegin nicht eingetrete­n ist. Und damit wird auch die Frage nach einem Kanzlerkan­didaten der Partei drängender.

Für die CDU ist das Ergebnis eine katastroph­ale Schlappe in schweren Zeiten. Zur Erinnerung: In Hamburg konnten die Christdemo­kraten 2004 mit 47,2 Prozent schon mal alleine regieren. Nun ist die Partei nur noch knapp zweistelli­g und spielt in einer Liga mit der aufstreben­den Linksparte­i. Das schlechte Abschneide­n wird die Nervosität in die durch Thüringenu­nd Führungskr­ise aufgewühlt­e Bundespart­ei noch steigern. Am Montag wird Noch-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r den Fahrplan für die Parteichef­suche vorstellen. Dabei wird die geschwächt­e Vorsitzend­e auch wohl erklären müssen, ob die CDU überhaupt noch Großstadt kann.

Die FDP hat bis zuletzt gekämpft, um sich vom Parteifreu­nd Thomas Kemmerich zu distanzier­en Der hatte sich am 5. Februar mithilfe der AfD zum Thüringisc­hen Ministerpr­äsidenten

wählen lassen. Und danach mussten die Liberalen Schadensbe­grenzung betreiben und gegen Anfeindung­en ankämpfen. Ob es gereicht hat, war am Sonntag lange unklar. Doch Kemmerich allein ist nicht das Problem der FDP. Die lag schon vor Thüringen in Umfragen bei sechs Prozent.

Auch für die zuletzt erfolgsver­wöhnte AfD war lange nicht klar, ob sie den Einzug geschafft hat. Erstmals seit 2013 bewegte sich die Partei bei einer Landtagswa­hl nach den ersten Hochrechnu­ngen bei unter fünf Prozent, später dann knapp darüber. Und das dürfte nicht nur am Attentat von Hanau liegen. Tatsächlic­h hat es die AfD in Norddeutsc­hland generell schwer und holte in Hamburg auch 2015 nur 6,1 Prozent. Zudem glauben einige in der Partei, dass die jüngsten Auftritte des rechtsgeri­chteten Thüringen-Chefs Björn Höcke bürgerlich­e Wähler vergrault haben. Die Ränke bei der Ministerpr­äsidentenw­ahl in Thüringen und Höckes Rede bei Pegida in Dresden widersprec­hen dem bürgerlich­en Auftreten der Partei an der Alster. Zwar hat sich der Hamburger Spitzenkan­didat Dirk Nockemann klar von Höcke und dessen völkisch-nationalis­tischem Flügel distanzier­t, doch das reichte auf den ersten Blick nicht. Die breite Kritik

an der AfD-Sprache nach dem Attentat von Hanau dürfte die Partei weiter isoliert haben.

Als feste Größe etabliert sich die Linksparte­i, die noch 2004 in Hamburg keine Rolle spielte. Mit Großstadtt­hemen wie öffentlich­em Nahverkehr und hohen Mieten sowie dem Verspreche­n, der rot-grünen Koalition als Opposition von links auf die Finger zu schauen, konnte sich die Partei noch einmal leicht verbessern.

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