Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Coronavirus erreicht den Südwesten
25-Jähriger aus dem Kreis Göppingen positiv getestet – Lucha mahnt zu Besonnenheit
STUTTGART (dpa/AFP) - In BadenWürttemberg ist erstmals ein Patient nachweislich an dem neuartigen Coronavirus erkrankt. Es handle sich um einen 25-jährigen Mann aus dem Landkreis Göppingen, teilte das Gesundheitsministerium in Stuttgart am Dienstagabend mit. Er habe sich vermutlich während einer Italienreise in Mailand angesteckt. Der Patient sei nach seiner Rückkehr mit grippeähnlichen Symptomen erkrankt und habe Kontakt mit dem örtlichen Gesundheitsamt aufgenommen. Er sollte noch am Dienstagabend in eine
Klinik gebracht und dort isoliert behandelt werden.
Landesgesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) brach seinen Urlaub ab. Er will am Mittwoch gemeinsam mit Experten über den Fall informieren. Lucha mahnte zur Besonnenheit: „Baden-Württemberg hat sich schon früh auf diesen Fall eingestellt. Alle beteiligten Stellen arbeiten eng und intensiv zusammen.“Es werde nun ermittelt, wer mit dem Patienten Kontakt hatte. Enge Kontaktpersonen würden zu Hause isoliert und täglich nach ihrem Gesundheitszustand
befragt, teilte das Ministerium weiter mit. Der Minister appellierte an Reiserückkehrer, den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts zu folgen: Wer aus Gebieten zurückkehre, in denen Covid-19-Fälle vorkommen und innerhalb von 14 Tagen nach der Rückkehr Fieber, Husten oder Atemnot entwickle, solle unnötige Kontakte vermeiden, nach Möglichkeit zu Hause bleiben, beim Husten und Niesen Abstand zu anderen Menschen halten, regelmäßig und gründlich Hände mit Wasser und Seife waschen und nach telefonischer Anmeldung unter Hinweis auf die Reiseregion einen Arzt aufsuchen.
Auch in Nordrhein-Westfalen wurde erstmals eine Infektion mit dem Coronavirus gemeldet. Vor den beiden jüngsten Fällen gab es in Deutschland 16 bestätigte Infektionen, 14 davon in Bayern. Die meisten Patienten wurden inzwischen wieder aus dem Krankenhaus entlassen.
Europaweit melden immer mehr Staaten Nachweise des Erregers, zuletzt Österreich, Kroatien, Spanien und die Schweiz. Besonders betroffen ist Italien.
Von Thomas Migge
ROM - Keine Panik, keine Grenzschließungen, aber enge Zusammenarbeit: Das entschieden am Dienstagnachmittag in Rom mehrere europäische Gesundheitsminister aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus, offiziell Covid-19-Virus, in immer mehr Ländern.
Zu dem Krisengipfel des italienischen Gesundheitsminister Roberto Speranza waren Kollegen aus den Nachbarländern Österreich, Slowenien, der Schweiz, Frankreich und Kroatien angereist. Auch die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides und der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nahmen an dem Treffen teil.
Das Treffen war notwendig geworden, weil inzwischen auch erste Fälle der Virusinfektion in Österreich, Kroatien und der Schweiz verzeichnet werden. Die österreichische Regierung hatte am Wochenende zunächst die Zugverbindung zu Italien gestoppt, diese Entscheidung dann aber zurückgenommen.
Im Anschluss an den Krisengipfel erklärte Minister Speranza in Übereinstimmung mit seinen Kollegen, die Schließung von Grenzen sei „eine übertriebene Maßnahme, ein Fehler und unverhältnismäßig“. Bundesgesundheitsminister Spahn meinte, dass „das Coronavirus einmal mehr zeigt, dass Europa seine Aufgaben nur gemeinsam bewältigen kann“.
Mehr als 320 Infizierte, zehn Tote und 11 Ortschaften unter Quarantäne in nur wenigen Tagen: Kein anderes europäisches Land ist wie Italien vom Coronavirus betroffen – allerdings werden hier auch besonders viele Menschen getestet, was sich auf die Statistik auswirkt.
Alles begann vor wenigen Tagen in der 15 000-Einwohner-Ortschaft Codogno. Wie es dazu kam, dass sich das Virus so schnell in Norditalien ausbreitet, ist unklar. Offenbar hatte ein italienischer Manager den Behörden verschwiegen, dass er vor Kurzem in China war. Anstatt sich untersuchen zu lassen, traf er verschiedene Personen. Viele von ihnen steckten sich bei dem Mann an, der selbst keine Symptome zeigte.
Sieben norditalienische Regionen sind inzwischen von dem Virus betroffen – am stärksten die Lombardei und Venetien. Der traditionelle Karneval von Venedig wurde zum ersten Mal überhaupt abgesagt. Der Dom von Mailand, das Opernhaus La Scala, Museen und Schulen, Kinos und Universitäten bleiben in beiden Regionen zunächst für eine Woche geschlossen.
Nicht ausgeschlossen ist, dass die Zahl der von Polizei und Soldaten abgeriegelten Ortschaften Norditaliens in den kommenden Tagen steigen wird. Die Hysterie breitet sich ebenfalls aus, und zwar in ganz Italien.
Am Montag entschied die süditalienische Region Basilikata, dass Reisende aus Norditalien nicht mehr auf das Territorium dürfen, ohne sich einer Quarantäne zu unterziehen.
Erste Fälle wurden auch in der mittelitalienischen Region Latium gemeldet, außerdem aus Ligurien, der Toskana und Sizilien. In Norditalien, aber auch in Rom gab es Berichte über Hamsterkäufe, Supermärkte wirkten wie geplündert. Im Internet wird Desinfektionsgel zum Preis von bis zu 100 Euro verkauft. In den Apotheken ist dieses Gel landesweit ausverkauft, ebenso wie Gesichtsmasken. Das italienische Parlament hat Wärme-Scanner installiert und gibt Masken an Volksvertreter und Mitarbeiter aus.
Besonders betroffen sind die Bewohner der unter Quarantäne stehenden Ortschaften der Lombardei und Venetiens. Noch ist unklar, wie sie in den kommenden Tagen mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgt werden. Mehr als 500 Polizisten und Soldaten haben die Ortschaften abgeriegelt.
Verschiedene Staaten, wie Israel und Jordanien, raten inzwischen von Reisen nach Italien ab. Mauritius verweigerte am Montag Touristen aus Norditalien die Einreise. Die Betroffenen wurden mit der gleichen Maschine wieder nach Italien zurückgeschickt. Bulgariens nationale Fluggesellschaft stellte alle Flüge nach Mailand und Venedig ein.
Virologen in Rom und Mailand erklärten, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Virus in den nächsten Tagen auch auf Italiens Großstädte übergreift. Offiziell heißt es, man sei vorbereitet. Doch am Sonntag löste eine Fernsehreportage aus dem römischen Krankenhaus San Camillo landesweit Aufregung aus. Schon ohne Kranke mit dem Verdacht auf eine Coronavirusinfektion ist die Notaufnahme überfüllt, zahllose Patienten müssen auf Korridoren biwakieren – ein Resultat von Sparmaßnahmen im Gesundheitssektor. Maria Capobianchi, Virologin am römischen Spallanzani-Krankenhaus, in dem mehrere Coronavirus-Patienten untergebracht sind, sagt, Zustände dieser Art könnten sich „extrem negativ auswirken, wenn das Virus auch in der Hauptstadt virulent wird“.