Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Karlsruhe entscheidet über umstrittene Strafen für Sterbehilfe
Seit 2015 ist geschäftsmäßige Suizidhilfe in Deutschland verboten – Nun urteilt das Bundesverfassungsgericht, ob es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben gibt
KARLSRUHE (AFP/dpa) - Grundsätzliche Themen muss das Bundesverfassungsgericht praktisch immer bearbeiten, doch an diesem Mittwoch gibt es nun seine Antwort auf wirklich existenzielle Fragen: Dann verkündet das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe sein mit Spannung erwartetes Urteil zum Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe. Die Verfassungsrichter entscheiden letztlich auch darüber, ob es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben gibt – und wie das aussehen könnte. Fragen und Antworten zu einem ganz besonderen Verfahren:
Worüber muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden?
Der Zweite Senat des Verfassungsgerichts befasste sich in einer zweitägigen Verhandlung im April 2019 mit dem inzwischen vor mehr als vier Jahren eingeführten Verbot der „geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“. Mehr als zehn Monate später steht nun die Entscheidung darüber an, ob der angegriffene Strafrechtsparagraf 217 mit dem
Grundgesetz vereinbar ist. Wörtlich heißt es darin: „Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“Die Beihilfe zum Suizid bleibt damit zwar grundsätzlich weiter erlaubt – Strafe droht aber nun, wenn sie „geschäftsmäßig“betrieben wird. Dabei bedeutet „geschäftsmäßig“nicht, dass kommerzielles Interesse und Geld im Spiel sein muss. Es bedeutet im Juristendeutsch so viel wie „auf Wiederholung angelegt“.
Die Ende 2015 nach langen und kontroversen Debatten im Bundestag beschlossene Neuregelung beruhte auf einer parteiübergreifenden Initiative, die vor allem auf Sterbehilfevereine zielte. Die Abgeordneten hätten erreichen wollen, dass „kein suizidfreundliches Umfeld“geschaffen werde, verteidigte der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand bei der mündlichen Verhandlung im April die Regelung.
Wer klagt in Karlsruhe?
Vor das höchste deutsche Gericht zogen schwer kranke Menschen, Ärzte und Sterbehilfevereine, deren Verfassungsbeschwerden sich unmittelbar gegen den Strafrechtsparagrafen 217 richten. Die Kläger sehen die damit verbundenen Einschränkungen
als zu weitgehend an. Der Bevollmächtigte eines klagenden Arztes, der Medizinrechtler Wolfgang Putz, brachte das Anliegen bei der mündlichen Verhandlung auf die Formel: „Das Recht auf Leben begründet keine Pflicht zum Leben.“Die verschiedenen Kläger begründen ihre Beschwerden jeweils unterschiedlich. Die schwer kranken Menschen, die Suizidhilfe in Anspruch nehmen wollen, leiten aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ab. Paragraf 217 mache es ihnen „weitgehend unmöglich, ihre Entscheidung in würdiger Art und Weise umzusetzen“, zeigte sich der Bevollmächtigte von zwei Klägern, Christoph Knauer, überzeugt. Die klagenden Ärzte sehen ihre Gewissensund Berufsfreiheit verletzt. Aus ihrer Sicht ist nicht eindeutig genug geregelt, ob im Einzelfall eine ärztliche Sterbehilfe straffrei bleibt. Sie bewegten sich durch den Paragrafen 217 auf „juristisch unsicherem Terrain“, sagte der klagende Arzt Dietmar Beck.
Die Sterbehilfevereine wehren sich dagegen, dass sie für ihre Mitglieder nicht mehr tätig werden können. Der vom früheren Hamburger Justizsenator Roger Kusch gegründete Verein Sterbehilfe Deutschland bietet seit dem Verbot im Jahr 2015 keine Suizidbegleitungen mehr an.
Welche Folgen könnte das Urteil haben?
Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle machte zwar in der Verhandlung im April die Grenzen des Verfahrens deutlich. Es gehe „nicht um die moralische oder politische Beurteilung der Selbsttötung und ihrer Folgen für die Gesellschaft“, sondern „ausschließlich um die Verfassungsmäßigkeit einer konkreten Strafrechtsnorm mit einem beschränkten Anwendungsbereich“. Doch diese Einschränkung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die acht Verfassungsrichter des Senats ein in jedem Fall wegweisendes Urteil fällen werden. Sie müssen entscheiden, ob der Gesetzgeber mit dem Verbot der „geschäftsmäßigen“Sterbehilfe zu weit gegangen ist, ob es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben gibt, und wie Ärzte mit den Wünschen schwer kranker Menschen umgehen können. Die kritischen Fragen der Richter in der Verhandlung im April deuteten zumindest darauf hin, dass die jetzige Regelung so womöglich nicht bestehen bleiben kann.