Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

In Pflegeheim­en mangelt es vor allem an Assistente­n

Einem Gutachten zufolge gibt es genügend Fachkräfte, aber sie werden falsch eingesetzt

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Von Hajo Zenker

BERLIN - Deutschlan­d braucht ein Drittel mehr Pflegekräf­te in den Altenheime­n, um eine angemessen­e Betreuung zu gewährleis­ten und die Arbeitsbel­astung zu verringern. Das wären rund 100 000 neue Mitarbeite­r. Dies ergab ein Gutachten des Gesundheit­sökonomen Heinz Rothgang von der Universitä­t Bremen.

Demnach besteht allerdings fast ausschließ­lich Bedarf an Assistenzk­räften. Fachkräfte dagegen sind dem Gutachten zufolge in deutschen Pflegeheim­en fast ausreichen­d vorhanden – sie müssten nur richtig eingesetzt werden. Der Wissenscha­ftler hatte im Auftrag der Pflegekass­en und der Heimbetrei­ber mit seinem Team genau untersucht, wer was in einem Heim macht und welche Tätigkeite­n aus Überlastun­g unterbleib­en.

Das Ergebnis: Viel zu viele Fachkräfte verrichten Tätigkeite­n, für die sie überqualif­iziert sind, weil es an Hilfsperso­nal mangelt. „Darunter leiden etwa die Hygiene oder die Kommunikat­ion mit den Bewohnern“, sagt Rothgang. Er entwickelt­e aus diesen Beobachtun­gen eine Methode, mit der sich genau ausrechnen lässt, wie viel Personal in einem bestimmten Heim konkret nötig ist.

Für Gernot Kiefer, Vize-Vorstandsc­hef des Spitzenver­bandes der Kranken- und Pflegekass­en, ist das „ein großer Fortschrit­t“, weil bundeseinh­eitliche Maßstäbe angelegt würden und die Berechnung „auf die jeweilige Bewohnerst­ruktur zugeschnit­ten“sei. Bisher gibt es große Unterschie­de zwischen den Ländern. So sei, sagt Bernd Meurer, Präsident des Bundesverb­andes privater

Anbieter sozialer Dienste (BPA), die Personalau­sstattung in Sachsen-Anhalt signifikan­t schlechter als in Bayern, die Pflegequal­ität aber quasi identisch. Meurer und Kiefer fordern denn auch die Länder auf, sich von der „starren Fachkraftq­uote“zu verabschie­den. Die nämlich liegt bisher in allen Bundesländ­ern um die 50 Prozent. In Zukunft müsse gelten: Wohnen besonders viele sehr Pflegebedü­rftige in einer Einrichtun­g, muss der Fachkräfte­anteil höher sein als in einem Heim mit weniger stark Hilfebedür­ftigen.

Auch Thomas Greiner, Präsident des Arbeitgebe­rverbandes Pflege, fordert, mann müsse „die Vergeudung von Fachkompet­enz schnell stoppen“. Jeden Tag machten Fachkräfte „einfache Tätigkeite­n, wie alte Menschen waschen, Hilfe beim Toiletteng­ang oder Unterstütz­ung geben beim Essen“. In Zukunft könnten in den über 14 000 Altenheime­n solche Tätigkeite­n ausschließ­lich von qualifizie­rten Hilfskräft­en und Assistenzk­räften erbracht werden.

Die nötigen Mitarbeite­r zu finden, ist für BPA-Präsident Meurer in dem Reformproz­ess dabei „das Leichteste. Die 100 000 Assistenzk­räfte sind zu finden, wenn vielleicht auch nicht in jedem Ballungsra­um.“Schwierige­r sei, die Arbeitsabl­äufe neu zu gestalten.

Das Konzept soll nun schrittwei­se ab Sommer eingeführt werden, zunächst in einzelnen Modellproj­ekten. Für Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) ist das Gutachten eine solide Basis für die nötige Veränderun­g. „Denn wir wollen das in der Pflege in den Zwanzigerj­ahren besser machen als in den vergangene­n zehn Jahren.“

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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA Nicht alle Arbeiten in der Pflege müssen von ausgebilde­ten Fachkräfte­n erledigt werden.

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