Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Neue Gerichtsvollzieher braucht das Land
Baden-Württemberg hat Ausbildung mit Erfolg umgestellt – andere Länder folgen nicht
RAVENSBURG - Schulden eintreiben, die längst überfällig sind: Das ist die Aufgabe von Gerichtsvollziehern. Es ist ein anspruchsvoller, manchmal auch gefährlicher Beruf – der sich in den vergangenen Jahren deutlich verändert hat. Das Land BadenWürttemberg hat deshalb die Ausbildung umgestellt. Die Auswirkungen scheinen durchweg positiv zu sein. In Bayern steht eine Umstellung aber trotz der guten Erfahrungen im Südwesten nicht zur Debatte.
Wer im Südwesten Gerichtsvollzieherin oder Gerichtsvollzieher werden will, muss seit dem September 2016 ein dreijähriges Jura-Bachelorstudium erfolgreich abschließen. Im Dezember 2019 haben 26 Absolventinnen und Absolventen das zum ersten Mal geschafft. Die Studierenden werden an der Hochschule für Rechtspflege in Schwetzingen (Rhein-Neckar-Kreis) in allen relevanten Rechtsgebieten ausgebildet und lernen unter anderem Deeskalationstechniken – und blicken Gerichtsvollziehern bei der Arbeit über die Schultern.
Eine der ersten Absolventinnen ist Theresa Badstuber. Die heute 24Jährige stammt aus Ebersbach-Musbach im Landkreis Ravensburg und hat das Bachelorstudium als Jahrgangsbeste bestanden, mit einer Abschlussnote von 11,19 von 15. Badstuber wurde direkt nach Ende ihres Studiums übernommen, so wie 25 von 26 ihrer Mitstudierenden. Seit September 2019 arbeitet sie in Ulm.
553 Gerichtsvollzieher sind derzeit in Baden-Württemberg tätig, im Durchschnitt rund 680 waren es 2019 in Bayern. Sie haben eine heikle wie wichtige Aufgabe: Sie sind im staatlichen Auftrag dafür zuständig, Geldforderungen einzutreiben, für die es einen Vollstreckungstitel gibt – also eine amtliche Urkunde, mit der die Zahlung der Schulden angeordnet wird.
An dieser Aufgabe hängt jede Menge Arbeit: Zunächst müssen Gerichtsvollzieher auf eine gütliche Einigung zwischen Gläubiger und Schuldner hinwirken. Später sind sie unter anderem für die Abnahme der Vermögensauskunft des Schuldners zuständig, eine Auflistung seines Vermögens. Und, falls nötig, auch für Zwangsräumungen und Pfändungen.
Dabei sind Gerichtsvollzieher immer zum Interessensausgleich angehalten: zwischen dem Gläubiger, der sein Geld haben will – und dem Schuldner, der auch nach dem Begleichen eine Existenzgrundlage braucht.
Das Land Baden-Württemberg hat für die Umstellung auf das Bachelorstudium vor allem zwei Gründe angeführt: Zum einen sei die Arbeit als Gerichtsvollzieher deutlich komplexer geworden, vor allem seit einer grundlegenden Reform des Zwangsvollstreckungsrechts, die Anfang 2013 wirksam wurde. Zum anderen sollte der Beruf attraktiver werden. Die Personalgewinnung werde „wesentlich erleichtert“, heißt es in einer Antwort von Justizminister Guido Wolf vom Januar 2017 auf eine Anfrage des damaligen, inzwischen aus Partei und Fraktion ausgetretenen, AfD-Abgeordneten Stefan Herre. Vor der Umstellung auf das Bachelor-Studiums konnte nur Gerichtsvollzieher werden, wer zuvor im mittleren Justizdienst gearbeitet hatte.
Drei Jahre später scheint das Fazit durchweg gut. Er bewerte die Umstellung „ausschließlich positiv“, sagt etwa Manuel Schunger, Gerichtsvollzieher
am Amtsgericht Ehingen und stellvertretender Vorsitzender des GerichtsvollzieherLandesverbands. Die gesetzlichen Anforderungen an die Arbeit hätten sich „gravierend“geändert, die Arbeit sei „bürolastiger“, es gebe mehr Fristen und Verhaftungsaufträge – vor allem, weil Gläubiger seit der Reform 2013 deutlich stärker selbst entscheiden könnten, wie früh ein Gerichtsvollzieher beim Schuldner persönlich erscheint. Auf diese Veränderung im Berufsalltag sei die Umstellung auf das Studium die richtige Antwort.
Den Nachwuchsmangel hat BadenWürttemberg laut dem Justizministerium in Stuttgart auch behoben. Im Jahr 2018 habe der Personaldeckungsgrad bei über 100 Prozent gelegen. Gerichtsvollzieher Schunger bestätigt die Angaben. Während in vergangenen Jahren laut offiziellen Zahlen bis zu 30 Prozent des Personals gefehlt habe, sei das Problem nun gelöst. Mehr noch: Seit der Umstellung auf das Bachelorstudium seien auf jeden Studienplatz circa zehn Bewerber gekommen.
Trotzdem: Baden-Württemberg ist bisher das einzige Bundesland, in dem angehende Gerichtsvollzieher studieren müssen. In Bayern werden Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher an der Bayerischen Justizakademie in Pegnitz ausgebildet, zuvor müssen die Auszubildenden in der Regel laut bayerischem Justizministerium schon als Beamte im Justizfachwirtedienst gearbeitet haben. Eine Umstellung ist laut einer Sprecherin des Ministeriums nicht geplant. Auch, weil es in Bayern mit der jetzigen Ausbildung keinen Nachwuchsmangel gebe. 2019 habe der Freistaat den Personalbedarf mit
„Ich bewerte die Umstellung ausschließlich positiv.“
Manuel Schunger vom Gerichtsvollzieher-Landesverband
Justizfachwirten decken können, 2020 müsse man zwar „Seiteneinsteiger“rekrutieren – die könne man aber „voraussichtlich allesamt justizintern“gewinnen, teilt das Ministerium der „Schwäbischen Zeitung“mit.
Gerichtsvollzieher arbeiten vergleichsweise eigenständig: Sie sind zwar verbeamtet, organisieren ihren Arbeitsalltag aber selbstverantwortlich. Die Gerichtsvollzieherin Badstuber arbeitet an zwei Tagen pro Woche in Ulm, erledigt dort Außendiensttermine und Sprechstunden. An den restlichen drei Tagen arbeitet sie zu Hause im Home Office. Diese Flexibilität spiegelt auch die Bezahlung wider: Gerichtsvollzieher erhalten zum einen Teil eine monatliche Besoldung als Beamte und zum anderen eine Vergütung, die von der Höhe der eingetriebenen Geldforderungen abhängt.
Die Schattenseite: Der Beruf ist oft heikel, bisweilen gefährlich. Landesverbandsvizechef Schunger sagt, die Gefährdung habe sich „kontinuierlich gesteigert“. Er spricht von geschriebenen und ausgesprochenen Drohungen, von körperlichen Übergriffen bis zu Waffengewalt. Immerhin: In Baden-Württemberg habe es in den vergangenen Jahren keine gravierenden Vorfälle gegeben.
Geht es nach der baden-württembergischen Landesregierung, sollen Gerichtsvollziehern weitere Aufgaben übertragen werden, um den Beruf weiter aufzuwerten. Im Herbst 2019 hat sich das Stuttgarter Justizministerium dafür eingesetzt, die Forderungspfändung von den Rechtspflegern auf die Gerichtsvollzieher zu übertragen. Die Mehrheit der Länder haben sich dem Vorschlag aber nicht angeschlossen, er ist vorerst gescheitert.