Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Im Trab durchs Tropenparadies
Costa Ricas Pferde kennen keine Angst vor großen Tieren und eignen sich deshalb bestens für Raubtierbeobachtungen
NVon Win Schumacher
Gein, einen Jaguar fürchtet Princesa nicht – und schon gar keinen Puma. Raúl Sanchez lacht und lässt die Zügel sinken. Sein Criollo-Pferdchen stürmt geradewegs in die Gischt der Pazifikwellen, die mit ungebrochener Wucht am schwarzen Strand von Carate zerren. Über den Dschungel ist die Dämmerung hereingebrochen, doch das aufgebrachte Meer übertönt das Gezeter der Urwaldvögel. Wilde Schaumlinien umspülen die Hufe von Princesa. Nur ein paar Trabschritte trennen hier im CorcovadoNationalpark den Regenwald vom Ozean.
Früher bewachte Sánchez Kuhherden vor Jaguaren und Pumas. Heute bringt er Touristen mit dem Pferd ins Revier der Raubkatzen. „Hier gibt es jede Menge von ihnen“, sagt der Sabanero, wie man die Cowboys Costa Ricas nennt, „aber nur selten bekommt man sie auch wirklich zu Gesicht.“Immerhin sind ihre Spuren immer wieder zu sehen.
Wer mit Sánchez durch den Nationalpark reitet, fühlt sich wie die ersten europäischen Entdecker, die auf dem Pferderücken das abenteuerliche Land in Zentralamerika erkundeten, das sie später Costa Rica, die reiche Küste, nannten. National Geographic hat Corcovado einmal als biologisch intensivsten Ort der Erde bezeichnet. Diese atemraubende Wildnis lässt sich kaum eindrücklicher erleben als auf dem Rücken eines Pferds. Kaum irgendwo sonst werden sich Tier und Reiter so eins mit der Natur fühlen. Schritt für Schritt, Hufspur um Hufspur tauchen sie ein in ein Labyrinth des Lebens. Die Pferde sind im Dschungel zu Hause. Furcht vor Schlangen, Vogelspinnen und manch anderer Kreatur, die durch das Unterholz kriecht, kennen sie nicht. Die von Weitem angereisten Reiter haben schnell Vertrauen gewonnen und lassen sich bald beseelt durch den Urwald tragen. Mit jedem schillernden Schmetterling wird die grüne Hölle ein wenig mehr zum leuchtenden Tropenparadies.
Wem die Strände auf der OsaHalbinsel zu rau sind, der findet auf der karibischen Seite des Landes ihr Gegenstück für einen sonnigen Ausritt: Zwischen dem Cahuita-Nationalpark und Puerto Viejo strecken sich postkartenkonform Kokospalmen über puderfeine Sandstrände dem türkisblauen Meer entgegen. Auch hier steckt der Regenwald voller Leben, und Reiter finden noch immer Strände fast ganz für sich allein.
Wer allerdings ein wahres Reitabenteuer sucht, sollte sich auch ins gebirgige Landesinnere wagen. Von der Karibikküste führt eine abenteuerliche Piste hinauf in die Cordillera de Talamanca, den höchsten Gebirgszug Costa Ricas, der mit dem Cerro Chirripó 3820 Meter aufragt. Zwischen ausgedehnten Rinderfarmen plätschern schäumende Urwaldbäche dem Meer entgegen. Nebelfetzen hängen in den dschungelbedeckten Hängen, die hinter sattgrünen Viehweiden und Bananenplantagen aufragen. Ein Großteil des Bergregenwalds ist heute Teil des Nationalparks und Unesco-Welterbes La Amistad. Das riesige Schutzgebiet umfasst auch die angrenzenden Nebelwälder in Panama. Es ist Heimat von etwa 600 der annähernd tausend Vogelarten Costa Ricas.
Auch in Selva Bananito kann man die bunte Vogelwelt hoch zu Ross beobachten. Allan Cruz hat bereits am frühen Morgen die Pferde aufgezäumt. Der 49-jährige Costa Ricaner ist passionierter Hobby-Ornithologe und führt Liste über alle bereits gesichteten Arten: vom winzigen Brillenzaunkönig über den schillernden Zweifarbenfischer bis zum stattlichen Waldstorch.
In den Urwaldriesen hängen noch Nebelschwaden, als die mit Ferngläsern und eindrucksvollen Kameraobjektiven bestückte Reitertruppe das Ranchgelände der BananitoLodge verlässt. Drei Nachtreiher haben sich schon im Morgengrauen in die Bäume neben einem Weiher zurückgezogen. „Kahnschnäbel“, erklärt Cruz, „sie fischen meist nur nach Einbruch der Dunkelheit.“Mit ihren übergroßen Schnäbeln, die an orientalische Pantoffeln erinnern, sehen sie recht drollig aus. Ein Kaiman beobachtet die Pferde aus dem trüben Wasser des Tümpels. „Sehen seine Augen nicht wie die Brillengläser von John Lennon aus?“fragt Cruz. Der Blick des Naturführers wandert jedoch schnell wieder hinauf in die Baumkronen. Dort tummelt sich schon vor Sonnenaufgang eine illustre Vogelschar: Strahlend bunte Tangare, Braunhauben- und Weißkopfpapageien. Im Nu haben die Reiter Dutzende Arten gezählt.
„Wo Bäume und Tiere geachtet werden, ist auch der Mensch glücklich.“
Guide Rolando Morales
Zu vielen kann der gewitzte Vogelführer eine kleine Geschichte erzählen.
Aufmerksam traben die Pferde voran in den Regenwald, bis der Urwald um sie dichter und dichter wird. Hin und wieder fällt der Blick durchs Dickicht auf steil aufragende Bergwände. „Dort oben ist der Quetzal zu Hause“, sagt Cruz, „die fliegende Schlange der Maya.“Wegen ihrer Farbenpracht und ihrer auffällig langen Schwanzfedern, die sich im Balzflug wie grüne Nattern schlängeln, wurde der Quetzal von den Atzteken und Maya als Göttervogel verehrt. Wer ihn tötete, war selbst des Todes.
Die gefiederte Schlange der Götter bleibt heute jedoch im Nebelwald verborgen. Stattdessen bekommen die Ausflügler einen ihrer Verwandten zu Gesicht. Cruz hat einen Veilchentrogon entdeckt, der zur selben Vogelfamilie gehört. Mit seiner violettblauen Brust und dem leuchtend gelben Bauch ist auch er ein echter Hingucker. Geduldig halten die Pferde inne, bis auch der letzte Reiter seine Kamera gezückt und den bunten Vogel im richtigen Winkel eingefangen hat.
Etwa zwei Tagesritte von hier Richtung Süden sind es auf einsamen Reiterpfaden zum Bribri-Dorf Yorkin direkt an der Grenze zu Panama. Es ist bis heute nur mit dem Pferd oder Kanu zu erreichen. Vor den mit Palmwedeln gedeckten Hütten reiten kleine Kinder, als seien die zierlichen Reittiere ein Schaukelpferdchen-Ersatz. Im Schatten von Kakaobäumen und Bananenstauden scharren Hühner. Überall in den Gärten leuchten mohnrote Hibiskusblüten. Schmetterlinge flattern über die Pferdeweiden, Blattschneiderameisen hasten in wuselnden Einbahnstraßen mitten durch das Dorf.
„Niemand hat hier ein Auto, aber dafür mindestens ein oder zwei Pferde“, sagt Rolando Morales, „ohne sie wäre das Leben hier unvorstellbar.“Der 24-Jährige gewährt Touristen Einblick in eine Welt, die in weiten Teilen Mittelamerikas längst verschwunden ist. Die Bribri gehören zu den letzten indigenen Völkern Costa Ricas.
In Yorkin können aufmerksame Besucher so einiges über das traditionelle Leben und den Alltag im Urwald
lernen, zu versteckten Wasserfällen reiten und über den ökologischen Anbau tropischer Pflanzen erfahren. Eine besondere Rolle spielt für die Dorfbewohner der Kakao. Er gilt als heilig und sie glauben an seine spirituelle Reinigungskraft. In einer Bribri-Legende verwandelte der Schöpfergott Sibu einst eine Frau in einen Kakaobaum. Folglich sind es in der matrilinearen Gesellschaft auch nur Frauen, die das traditionelle Kakaoritual durchführen. In dem achtstöckigen Kosmos der Bribri haben die Geister von Pflanzen und Tieren ihre eigene Etage. „Respekt vor den anderen Lebewesen ist für uns Bribri selbstverständlich“, sagt Morales. „Wo Bäume und Tiere geachtet werden, ist auch der Mensch glücklich.“Wer Costa Ricas Naturlandschaften mit dem Pferd erkundet, beginnt langsam, die Welt zumindest ein klein wenig mit den Augen der Bribri zu sehen.
Im Corcovado-Nationalpark bietet zum Beispiel die La-Leona-Ökolodge Reitausflüge am Strand und in den Regenwald an
Auch von der Selva-Bananito-Lodge am Fuß der Talamanca-Berge kann man verschiedene Touren mit dem Pferd in den Bergwald unternehmen (www.selvabananito.com).Weitere Infos:
Die (www.flyedelweiss.com) fliegt
ab Zürich nach Costa
Rica.