Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Nur das IOC bleibt optimistisch
Coronavirus: Experten warnen vor der Austragung der Olympischen Spiele in Tokio und der Fußball-EM
TOKIO (SID/dpa) - Die Uhr tickt für die Fußball-EM und die Sommerspiele in Tokio, und die Zweifel an einer planmäßigen Durchführung der beiden Großereignisse mehren sich. Angesichts des grassierenden Coronavirus äußerten führende Mediziner erstmals Bedenken. „Es hängt ein großes Damoklesschwert über der Fußball-EM und den Olympischen Spielen“, sagte Prof. Hans-Georg Predel, Leiter des Sportmedizinischen Instituts der Sporthochschule Köln, im Gespräch mit der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“(WAZ).
Der führende japanische Infektions-Experte Norio Ohmagari sieht für die Spiele in Tokio konkrete Gefahren. „Wir stehen am Scheidepunkt für eine Eindämmung des Coronavirus. Sollte die Zahl der Infizierten im Land in den nächsten drei Wochen nicht abnehmen, sollte man wirklich darüber nachdenken, die Olympischen Spiele auszutragen oder nicht. Das ist eine große Entscheidung“, sagte der Direktor der Abteilung für Infektionskrankheiten im nationalen Gesundheitszentrum. Die Spiele in Tokio beginnen am 24. Juli. In Japan gab es bis Donnerstag 894 bekannte Infektionsfälle, acht Personen sind seit Ausbruch der Epidemie gestorben. Mit 705 Infektionen entfällt der größte Teil davon allerdings auf Passagiere und Crewmitglieder des Kreuzfahrtschiffes „Diamond Princess“.
Vor einer Entscheidung über die planmäßige Durchführung der Spiele steht wohl zunächst ein Beschluss an, wie mit dem Olympischen Fackellauf verfahren werden soll, der am 26. März in der Präfektur Fukushima starten soll. Am Mittwoch hatte OK-Chef Toshiro Muto bereits eine Verkürzung in Betracht gezogen. „Wir denken keinesfalls daran, ihn abzusagen“, sagte der 76-Jährige: „Aber wir werden uns überlegen, wie wir es durchführen können, ohne das Virus weiter zu verbreiten. Dazu gehört auch eine Reduzierung des Umfangs.“
Das Internationale Olympische Komitee hält derweil an den Olympischen Spielen fest. Die IOC-Koordinierungskommission setze sich voll und ganz für die planmäßige Austragung der Spiele ein, sagte IOC-Präsident Thomas Bach in einer Telefonkonferenz
mit japanischen Medien. Man wolle nicht über Alternativen spekulieren.
Japan hat angekündigt, im Kampf gegen die Ausbreitung des neuartigen
„Wenn die Situation so bleibt, wie sie jetzt ist, dann halte ich eine Absage für möglich.“
Sportmediziner Hans-Georg Predel über Absagen der Olympischen Spiele und der Fußball-EM
Coronavirus Sars-CoV-2 alle Schulen zu schließen. Die Maßnahme trete am Montag in Kraft und umfasse alle Grundschulen, Mittelstufen und Gymnasien, erklärte Premier Shinzo Abe. Die Schließung soll bis zum Beginn der zehntägigen Frühlingsferien
Ende März gelten. Abe betonte, die kommenden beiden Wochen seien entscheidend für den Kampf gegen das Virus. Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) riet zum Abwarten: „Aus meiner Sicht besteht jetzt als Sportminister noch kein Entscheidungsbedarf.“
Predel wies derweil auf grundsätzliche Probleme hin. Die Fußball-EM (12. Juni bis 12. Juli) findet in zwölf Ländern statt, entsprechend hoch werde das Reiseaufkommen von Fans und Mannschaften sein. Sein Rat: „Wenn die Situation so bleibt, wie sie jetzt ist, wenn weiterhin unkontrollierte virale Ausbrüche auftauchen, dann halte ich eine Absage für möglich und würde auch dazu raten.“
Weiter sagte er: „So schmerzlich das zwar wäre, aber selbst solche Turniere dürfen nicht stattfinden, wenn das kalkulierbare Risiko nach dem prognostizierten Höhepunkt der Ausbreitung
im April nicht überschaubar geworden ist.“Gar nicht wohl ist Predel beim Blick auf Tokio. „Die Olympischen Spiele in Asien sind eine ganz haarige Angelegenheit“, sagte er, „das ist eine internationale Begegnungsplattform mit vielfältigstem Austausch, sozusagen der Alptraum eines jeden Infektiologen.“
Nationalmannschaftsarzt Tim Meyer schließt derweil Geisterspiele wie in Italien in der Fußball-Bundesliga und im DFB-Pokal angesichts des grassierenden Coronavirus nicht aus. „Sicherlich ist dies eine Überlegung, die infrage kommt“, sagte Meyer im DFB-Interview. Der Chef der Medizinischen Kommission des Deutschen Fußball-Bundes betonte aber, dass es sinnvoll sei, „dass der Fußball nicht isoliert entscheidet, sondern in Absprache mit den Gesundheitsbehörden.“DFB und DFL stünden in engem Austausch mit den zuständigen Institutionen.
„Entscheidungen über flächendeckende Maßnahmen wie einen Zuschauerausschluss im Profifußball oder Spielabsagen in den Kreisligen müssen die Gesundheitsbehörden treffen, denn dabei sind neben Aspekten der Infektionsvorbeugung auch solche des gesamten öffentlichen Lebens zu berücksichtigen, von dem der Fußball nur einen Teilbereich darstellt“, sagte Meyer.
Die Folgen für den Sport mehren sich jedoch. Am Donnerstag wurde die Dreiband-WM der Billardspieler in Viersen abgesagt, ebenso die Anfang März geplante Reise der deutschen U20-Fußballerinnen nach Japan. Der Fußball-Verband Mittelrhein und der Fußballkreis Heinsberg sagten alle Spiele am Wochenende ab. Ohne Zuschauer wird das Weltcupfinale im alpinen Ski vom 18. bis 22. März im italienischen Cortina d'Ampezzo ausgetragen.