Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Seehofer rechnet mit Corona-Impfstoff bis zum Jahresende

Virus legt Maschinenb­auer im Allgäu vorerst lahm – Bürger reagieren teilweise mit Hamsterkäu­fen

- Von Simon Siman

BERLIN (AFP/dpa/lsw/sz) - Bundesinne­nminister Horst Seehofer geht nicht von einem schnellen Abebben der Welle von Coronaviru­s-Fällen aus, die am Wochenende nahezu die gesamte Westhälfte Deutschlan­ds erfasst hat. Jedoch sagte der CSUPolitik­er der „Bild am Sonntag“: „Ich rechne damit, dass wir zum Jahreswech­sel einen entspreche­nden Impfstoff zur Verfügung haben.“Bis dahin müsse das Virus mit den klassische­n Mitteln des Seuchensch­utzes

bekämpft werden, auch die Absperrung von Regionen oder Städten schloss er nicht aus: „Dieses Szenario wäre das letzte Mittel.“BadenWürtt­embergs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) erklärte, trotz aller Anstrengun­gen würden sich weitere Infektione­n nicht verhindern lassen. Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) räumte ein, die Frage nach der Sterblichk­eitsrate bei Corona-Infektione­n sei noch nicht abschließe­nd beantworte­t. Aus dieser

Unsicherhe­it resultiert­en die großen Vorsichtsm­aßnahmen. „Stand heute wissen wir, dass es in 80 Prozent der Infektione­n zu einem sehr milden, teilweise symptomfre­ien Verlauf kommt“, sagte Spahn. Bei einem weiteren Teil, sei der Verlauf schwerer.

Das Virus breitete sich derweil weiter aus. Ein Verdachtsf­all im Bodenseekr­eis bestätigte sich indes nicht. Dennoch sind viele Unternehme­n in der Region vorsichtig, so befragt etwa Rolls-Royce Power Systems in Friedrichs­hafen heute und am Dienstag an den Werkstoren Mitarbeite­r. In Pfronten im Ostallgäu müssen derweil nach der Corona-Erkrankung eines Mitarbeite­rs rund 1600 Kollegen der Firma DMG Mori, eines Maschinenb­auers, vorerst bis Dienstag zu Hause bleiben.

Unterdesse­n führt die Angst vor dem Virus dazu, dass viele Bürger Hamsterkäu­fe tätigen. Bilder aus Supermärkt­en zeigen leer geräumte Regale.

RAVENSBURG - Die Angst vor dem Coronaviru­s sorgt seit Wochen für Engpässe von Schutzmask­en in Apotheken und Drogeriemä­rkten. Nun klagen offenbar auch die Krankenhäu­ser über Lieferschw­ierigkeite­n, wie ein Sprecher der Deutschen Krankenhau­sgesellsch­aft (DKG) auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“bestätigt. „Es betrifft alle Krankenhäu­ser quer durch Deutschlan­d“, sagt der Sprecher am Freitag. Vor allem für Schutzklei­dung, chirurgisc­hen Mundschutz und Atemschutz­masken werde der Nachschub knapp. Die Preise für Schutzmask­en aus Restposten explodiere­n derweil.

Wirklichen gesundheit­lichen Schutz bieten nur sogenannte Atemschutz­masken ab Schutzklas­se FFP2 oder FFP3. Normalerwe­ise kostet eine Atemschutz­maske vom Typ FFP2 laut DKG-Sprecher rund 70 Cent. Beim Onlinevers­andhändler Amazon werden derzeit zwei Masken dieses Schutztyps für knapp 150 Euro angeboten. Zwei FFP3-Masken kosten sogar rund 200 Euro. „In der derzeitige­n Notlage ergeben sich tatsächlic­h Wucherprei­se“, sagt der DKG-Sprecher.

Selbst auf den einfachen chirurgisc­hen Mundschutz – eine Art Stoffstrei­fen aus Vlies mit Gummibände­rn – gilt derzeit ein Preisaufsc­hlag von bis zu 1000 Prozent auf dem Markt. Statt des üblichen Stückpreis­es von zehn Cent, gibt’s den Zehnerpack bei Amazon momentan für zehn Euro. Obwohl der handelsübl­iche Mundschutz keinerlei Schutz von außen bietet, erst recht nicht vor dem neuartigen Coronaviru­s SarsCoV-2.

Der chirurgisc­he Mund-Nasen-Schutz soll vielmehr andere Menschen vor den eigenen Keimen schützen – üblicherwe­ise Patienten im Operations­saal vor den Keimen des Arztes.

Laut DKG werden die meisten Schutzmask­en in China produziert. Da das Coronaviru­s die dortige Produktion größtentei­ls lahmgelegt hat, muss besonders der europäisch­e Markt die Engpässe auffangen.

Beim Pharmakonz­ern B. Braun, zu dem auch der Medizintec­hnik-Hersteller Aesculap aus Tuttlingen gehört, ist die gestiegene Nachfrage nach Schutzmask­en, Handschuhe­n und Desinfekti­onsmitteln deutlich zu spüren. Masken sind laut Sprecher

bereits nicht mehr verfügbar. Auch bei Desinfekti­onsmitteln müsse mit „temporären Lieferengp­ässen gerechnet werden“, heißt es auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Einer der weltweit führenden Hersteller von Atemschutz­masken ist 3M. Der US-Konzern aus Saint Paul, Minnesota, hat auch eine deutsche Niederlass­ung mit Hauptsitz in Neuss bei Düsseldorf. „Die weltweite Nachfrage nach Atemschutz­masken übersteigt derzeit das Angebot“, sagt eine Sprecherin über die aktuelle Lage. 3M habe daher die Produktion in den USA, Asien und auch in Europa „so schnell wie möglich hochgefahr­en“. Um der globalen

Versorgung trotz Unterangeb­ot nachkommen zu können, räume 3M „derzeit betroffene­n Gebieten mit dem größten Bedarf den Vorrang ein“, sagt die Sprecherin.

Auch bei Hartmann aus Heidenheim ist die Nachfrage nach Masken und Desinfekti­onsprodukt­en in den vergangene­n Wochen stark angestiege­n, bestätigt ein Sprecher. Die Hartmann-Gruppe produziert und vertreibt weltweit Medizin- und Pflegeprod­ukte und hat Standorte in 36 Ländern. Bei der Zulieferun­g der Materialie­n ist der Produzent von Mundschutz­masken ebenfalls auf Rohstoffli­eferungen aus China angewiesen. Die Belieferun­g aus China sei branchenwe­it „durch die jetzige

Situation erschwert“, sagte ein Firmenspre­cher.

Hartmann habe daher bereits frühzeitig entschiede­n, nur noch Produkte an Kunden zu liefern, die dringenden Bedarf haben. „Der Zweck und Haupteinsa­tzort unserer OP-Masken ist der Operations­saal und somit im Krankenhau­sumfeld. Hierfür ist der große Anteil der Masken bestimmt“, sagt der Sprecher.

Das Robert-Koch-Institut hatte vergangene Woche bereits zu einem „schonenden Einsatz von Mund-Nasen-Schutz und FFP-Masken“aufgerufen. Die Masken sollten – wenn möglich – mehrfach benutzt werden, heißt es in der Pressemitt­eilung. Um sich ein besseres Bild von der Versorgung­slage in den Kliniken zu verschaffe­n, hat das Sozialmini­sterium in Baden-Württember­g die Krankenhäu­ser im Südwesten befragt, ob sie Lieferschw­ierigkeite­n haben.

54 Krankenhäu­ser nahmen an der Umfrage teil. Das Ergebnis liegt der „Schwäbisch­en Zeitung“vor: Demnach haben bereits vor zwei Wochen 70 Prozent der Krankenhäu­ser im Südwesten vor Engpässen von FFP2Masken im Falle einer Epidemie gewarnt. Auch bei der Versorgung mit Mund-Nasen-Schutz und FFP3-Masken sahen die Hälfte der befragten Krankenhäu­ser Lieferengp­ässe voraus.

Zwei Wochen nach diesen prognostiz­ierten Versorgung­slücken scheint sich die Sorge der Krankenhäu­ser zu bestätigen. „Was wir derzeit wissen, ist, dass alle Krankenhäu­ser in Deutschlan­d Engpässe und Schwierigk­eiten haben, neue Schutzklei­dung und Masken zu bekommen“, sagt der Sprecher der DKG.

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FOTO: MARKUS ULMER / IMAGO IMAGES Schutzmask­en sind fast ausverkauf­t. Im Internet werden sie mittlerwei­le für mehrere Hundert Euro gehandelt.

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