Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Von der tiefen Trauer der Passion
Ein hervorragendes Solistenensemble trägt in Mimmenhausen und Fischbach Werke der Renaissance vor
Von Christel Voith
GSALEM/FRIEDRICHSHAFEN - Zu einem frühen Passionskonzert hat Chorleiter Nikolaus Henseler am Freitagabend in die Kirche Unserer Lieben Frau in Salem-Mimmenhausen und am Sonntagabend in die St. Magnuskirche in FriedrichshafenFischbach eingeladen.
Zwar war das Vokalensemble Camerata Serena als Ausführende genannt, doch wie schon im vergangenen Herbst für Orlando di Lassos Madrigalzyklus „Lagrime di San Pietro“hat Henseler für dieses besondere Solistenkonzert mit reinem A-cappella-Gesang seine Sängerinnen und Sänger handverlesen: Constanze Gellissen (Sopran), Filippa MöresBusch und Julia Werner (Alt), Philipp Nicklaus (Tenor), Malte Fial und Nikolaus Fluck (Bariton) und Marius Sauter (Bass), alle bereits erfolgreich als Lied- oder Opernsänger, Stimmbildner, Chordirigenten oder Dozenten tätig. Jede Stimme für sich wunderbar solistisch tragend und zugleich in intensiver Probenarbeit zusammengewachsen zu gemeinsamem, tief berührendem Gesang.
„Tristis est anima mea“, traurig ist meine Seele, war das Konzert überschrieben. Trauer und Klage bestimmten die Musik: die „Lamentations of Jeremiah“, die Klagelieder des Propheten Jeremias in der Vertonung von Thomas Tallis (1505-1585), und eine Auswahl der Responsorien zur Karwoche von Carlo Gesualdo (1566-1613).
Bewusst hatte Henseler diesmal auf den Abdruck der Texte verzichtet, um die Aufmerksamkeit der Zuhörer ganz auf den Gesang zu lenken, aber dennoch die Texte zu den Responsorien jeweils vorausgeschickt. Tief tauchte man ein in die Stimmungen, auch in ihre Widersprüche.
Thomas Tallis’ Spätwerk steht auf der Schwelle zur Reformation. Schwebend und durchsichtig war das komplexe fünfstimmige Klanggebäude zu erfahren, jene erschütternde biblische Klage des Propheten
um die Zerstörung Jerusalems und des Tempels im Jahr 586 vor Christus, die in der katholischen Liturgie in der Karwoche vorgetragen wird. Eindringlich enden die Klagelieder jeweils mit der Mahnung „Jerusalem, bekehre dich zu deinem Herrn und Gott“. Neben den Klageliedern des Thomas Tallis standen die Responsorien zur Karwoche von dem etwas jüngeren Carlo Gesualdo. Als Principe di Venosa hatte er in Raserei
seine beim Ehebruch ertappte erste Frau, ihren Liebhaber und die Tochter getötet. Man sieht daher in seinen Responsorien auch eine späte Beichte. Die tiefe Trauer der Passion bestimmt diese „Musik der Dunkelheit“, zu der Henseler auch die Lichter in der Kirche löschen ließ. Im Wechsel mit der Klage des Jeremiah erklang die Klage Jesu, seine Verlassenheit am Ölberg, seine tiefe Enttäuschung und seine Angst. Deutlich wird in der tonmalerischen Musik der Kontrast von tiefer Einsamkeit und schmerzenden Dissonanzen, wenn Jesus seine Opferung beklagt. Gesualdo steht bereits am Übergang der Renaissance zum Barock, bleibt aber noch der Vokalpolyphonie des 16. Jahrhunderts verpflichtet. Nur zögernd kam nach solch tiefem Erleben der Applaus. In die Stille führte daher der Choral „O Haupt voll Blut und Wunden“als Zugabe zurück.