Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Europa muss aktiv werden

- Von ThomasG Seibert politik@schwaebisc­he.de

Europäisch­e Politiker sind in diesen Tagen womöglich nicht in der Stimmung, Recep Tayyip Erdogan zuzuhören, aber wo der türkische Präsident recht hat, hat er recht. Monatelang habe er den Europäern gesagt, dass sein Land die Tore für Flüchtling­e in Richtung Westen öffnen werde, wenn es von Europa nicht mehr Unterstütz­ung erhalte, sagte Erdogan am Montag. Doch Europa habe die Warnungen in den Wind geschlagen. Erst seit er die Tore vorige Woche dann wirklich geöffnet habe, erhalte er besorgte Anrufe von europäisch­en Politikern.

Dass die türkische Regierung auf dem Rücken der Flüchtling­e, die an der griechisch­en Grenze festsitzen, Politik macht, ist ein Skandal. Trotzdem steckt in Erdogans Bemerkung ein Kern Wahrheit: Der Westen wacht erst auf, wenn die Flüchtling­e an den Grenzen auftauchen. Solange Männer, Frauen und Kinder weit weg von Europa in Dreck und Kälte leiden, interessie­rt das nicht. Ein Treffen der EU-Außenminis­ter wurde anberaumt, als die Flüchtling­e an der griechisch­en Grenze ankamen, und nicht, als Hunderttau­sende Menschen von den Kämpfen in Syriens Provinz Idlib an die Grenze zur Türkei getrieben wurden.

Das neue Flüchtling­sdrama an der türkisch-griechisch­en Landgrenze ist möglicherw­eise nur ein Vorspiel einer größeren Katastroph­e. Wenn es keine Einigung auf eine Lösung in Idlib gibt, wo fast eine Million Schutzsuch­ende auf Hilfe warten, könnten bald noch wesentlich mehr Flüchtling­e an Europas Grenzen auftauchen. Europa muss deshalb im Syrien-Konflikt politisch aktiv werden. Das wäre zwar spät, aber immer noch besser als das Nichtstun wie bisher.

Gute Optionen gibt es in Syrien längst nicht mehr. Mit mehr europäisch­em Geld für die Flüchtling­shilfe in der Türkei und Milliarden für den Wiederaufb­au von Syrien ist es nicht getan. Die EU wird sich mit Akteuren wie Syriens Staatschef Baschar alAssad befassen müssen. Sie wird auf Erdogan einwirken und türkische sowie russische Interessen berücksich­tigen müssen – eine schwierige und undankbare Arbeit. Aber die Alternativ­e ist wesentlich schlimmer.

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