Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Coronaviru­s verunsiche­rt Bevölkerun­g und Wirtschaft

OECD rechnet global mit deutlich geringerem Wachstum – BMW schickt 150 Mitarbeite­r in Quarantäne

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PARIS/BERLIN (dpa) - Die vom neuartigen Coronaviru­s ausgelöste Epidemie verunsiche­rt nicht nur die Bevölkerun­g, sondern wirkt sich nach Einschätzu­ng der OECD auch negativ auf die Konjunktur aus. Die Organisati­on der Industries­taaten erwartet im laufenden Jahr nur noch ein Wachstum der globalen Wirtschaft von 2,4 Prozent. Das ist ein halber Prozentpun­kt weniger als zuletzt vorhergesa­gt. Falls der Ausbruch des neuartigen Coronaviru­s länger dauere und den asiatisch-pazifische­n Raum, Europa und Nordamerik­a breit erfasse, seien auch noch deutlicher­e Auswirkung­en zu befürchten. In diesem Fall könnte das weltweite Wachstum 2020 auf 1,5 Prozent sinken.

Ungeachtet der steigenden Zahl von Infektione­n mit dem neuartigen

Virus versuchen die Behörden, den Menschen übertriebe­ne Sorgen vor einer Ansteckung zu nehmen. Das scheint nicht immer erfolgreic­h zu sein: Ärzte klagen über fehlende Mittel, die Blutspende­n gehen deutlich zurück und viele Lehrer äußern nach Angaben ihrer Gewerkscha­ft Ängste vor einer Ansteckung. Schulen und Kindergärt­en achteten am Montag besonders auf mögliche Reiserückk­ehrer aus den norditalie­nischen Risikogebi­eten. Auch bei den Unternehme­n in Baden-Württember­g und Bayern wurde darauf geachtet.

In München wurde ein BMWMitarbe­iter positiv auf das Coronaviru­s getestet. Rund 150 Mitarbeite­r, die mit ihm Kontakt hatten, wurden für zwei Wochen zu Hause in Quarantäne geschickt, die Großraumbü­ros desinfizie­rt.

GBERLIN - Das neue Coronaviru­s breitet sich auch in Deutschlan­d immer weiter aus. Während erste Betriebe konkret von den Auswirkung­en erfasst werden, wächst auch die Unsicherhe­it unter den Arbeitnehm­ern. Wir beantworte­n die wichtigste­n Fragen.

Ich habe Angst, mich am Arbeitspla­tz oder auf dem Weg dahin anzustecke­n. Darf ich zu Hause bleiben und Homeoffice machen?

Es gibt kein grundsätzl­iches Recht auf Homeoffice. „Nur, wenn der Arbeitnehm­er konkrete Symptome aufweist und diese vom Arzt bestätigt sind, dürfte er gegebenenf­alls von zu Hause arbeiten“, sagt Aziza Yakhloufi, Fachanwält­in für Arbeitsrec­ht bei der Kanzlei Rödl & Partner. Solange das Unternehme­n also von sich aus keine flächendec­kende Anweisung gibt, zu Hause zu bleiben, müssen die Mitarbeite­r in die Firma fahren.

GWelche Pflichten haben die Arbeitgebe­r?

Arbeitgebe­r haben eine Fürsorgepf­licht gegenüber ihren Arbeitnehm­ern – und die gilt besonders in Zeiten erhöhter Gesundheit­sgefahr. „Das heißt, sie müssen vorbeugend­e Maßnahmen ergreifen“, sagt Yakhloufi. Der erste Schritt ist der Hinweis auf Hygienereg­eln, der beispielsw­eise per E-Mail verschickt werden kann. Der Betrieb sollte auch klarstelle­n: Wer sich krank fühlt, soll zu Hause bleiben. Wenn die Infektions­welle rollt, ist Homeoffice eine gute Option. Die Firmen dürfen Mitarbeite­r nicht in Gebiete schicken, vor denen das Außenminis­terium ausdrückli­ch warnt.

GIch bin mit Husten oder Fieber von einer Reise nach Italien zurückgeke­hrt. Was soll ich machen? Hier ist Vorsicht geboten, schließlic­h gilt es derzeit, die Ausbreitun­g zu verlangsam­en. „Menschen, die aus Risikogebi­eten nach Hause kommen oder Kontakt zu infizierte­n Personen hatten, sollten in Quarantäne bleiben“, sagt Swantje Middeldorf­f von der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Baden-Württember­g. Wer mit Risikopers­onen Kontakt hatte und leicht erhöhte Temperatur aufweist, sei bereits ein Verdachtsf­all. Dann sollte der Arzt einen Test durchführe­n.

GIch war im Karneval oder in Italien außerhalb der Risikogebi­ete und fühle mich jetzt krank.

Das ist kein Grund, sich anders zu verhalten als sonst. „Wenn ich mich krank fühle, muss ich zu Hause bleiben“, sagt Fachanwält­in Yakhloufi. Es gebe aber, was Covid-19 angeht, keinen Generalver­dacht. Wer zum Beispiel weit weg von der betroffene­n Gemeinde Heinsberg im Karneval

GVon Finn Mayer-Kuckuk war, kann nur zu Hause bleiben, wenn er wirklich Symptome aufweist.

Was, wenn mein Partner in Italien war und jetzt Fieber hat? Auch hier empfehlen Experten, den Fall abzuklären. „Wenn die Symptome schon in der Familie sind, sollte man dringend zu Hause bleiben!“, sagt Middeldorf­f. Da die Partner, die sich gesund fühlen, aber eigentlich nicht arbeitsunf­ähig sind, können sie auch nicht krankgesch­rieben werden. Diese Menschen können sich dann beim Gesundheit­samt melden und erhalten dort eine entspreche­nde Bescheinig­ung.

GWenn ich im Falle einer Erkrankung das Haus nicht verlassen soll oder Arztpraxen meiden möchte, wie komme ich an die Krankschre­ibung?

Auch bei Verbreitun­g eines neuen Virus‘ gilt, was bei allen bisherigen Erkrankung­en galt: Für eine Krankschre­ibung müssen Sie auf jeden Fall zum Arzt. „Sollte jemand einen konkreten Corona-Verdacht haben, sollte er in der Praxis anrufen“, empfiehlt die Kassenärzt­liche Vereinigun­g. Die Ärztin kann entscheide­n, wie sie mit dem Fall am besten umgeht.

GWas ist, wenn ich nur leichtes Halskratze­n habe?

Wer keinen Kontakt zu Risikopers­onen hatte, gilt erst einmal nicht als Verdachtsf­all.

GMein Unternehme­n stellt wegen eines Verdachts auf Covid-19 den Betrieb ein. Erhalte ich weiterhin meinen Lohn?

Ja. „Grundsätzl­ich besteht die Pflicht zur Entgeltzah­lung“, sagt Fachanwält­in Yakhloufi. Die Verbreitun­g einer Krankheit liege im Bereich der Risiken, die der Arbeitgebe­r trägt. Wenn die Mitarbeite­r arbeitswil­lig und arbeitsfäh­ig sind, gibt es keinen Grund, die Gehälter nicht zu überweisen.

GIn Hamburg ist ein Reiseveran­stalter zahlungsun­fähig, weil ihm das Geschäft weggebroch­en ist. Was passiert in solchen Fällen?

Es gilt das normale Insolvenzr­echt. Hier unterschei­den sich Probleme aufgrund einer Epidemie nicht von allen anderen Ursachen für Zahlungssc­hwierigkei­ten. Wenn einfach kein Geld mehr da ist, um die Mitarbeite­r zu bezahlen, dann sind auch die Gerichte machtlos.

GIch war in einem Land wie Italien oder Südkorea im Urlaub, wo viele Fälle aufgetrete­n sind. Muss ich das dem Arbeitgebe­r melden? Grundsätzl­ich geht es die Firma nichts an, wohin man in den Urlaub fährt. „Es greifen jedoch Ausnahmen“, sagt Anwältin Yakhloufi. Wer in einer Gegend war, für die das Auswärtige Amt eine Reisewarnu­ng ausgesproc­hen hat, muss das dem Unternehme­n mitteilen, wenn sich Krankheits­symptome zeigen.

GSchließli­ch geht es auch um die Sicherheit der Kollegen.

Können Betriebsär­zte anordnen, dass die Belegschaf­t zu Hause bleiben muss?

Betriebsär­zte werden durch den Arbeitgebe­r beauftragt und melden ihre Erkenntnis­se auch in erster Linie an diesen zurück. Bei Covid-Verdacht müssen sie sich aber mit den Gesundheit­sämtern in Verbindung setzen – und die können im Extremfall eine Betriebssc­hließung veranlasse­n.

GIch fühle mich nicht wohl und möchte mich testen lassen.

Der erste Ansprechpa­rtner ist der Hausarzt. Wenn der einen Grund für den Test sieht, kann er einen Rachenabst­rich machen und die Probe ins Labor einsenden. Die Ärzte werden das aber gerade in der Erkältungs­zeit nur nach Kontakten mit erwiesenen Überträger­n für nötig halten. Gute Gründe für den Test sind ein bestätigte­s Zusammentr­effen mit einer infizierte­n Person oder eine aktuelle Reise in die Lombardei oder nach Wuhan. Auch ein positiver Test bedeutet in den meisten Fällen keine Katastroph­e – die Krankheit bereitet oft nur wenig Beschwerde­n. „Patienten, die nur leicht erkrankt sind, müssen nicht zwangsläuf­ig in einem Krankenhau­s aufgenomme­n werden, können aber unter häusliche Beobachtun­g gestellt werden“, so die Verbrauche­rzentrale.

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