Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Ernesto Cardenal Trauer um den politische­n Poeten aus Nicaragua

Ernesto Cardenal trotzte Somoza, den Sandiniste­n und der Katholisch­en Kirche – Ein Nachruf

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EVon Klaus Ehringfeld r war ein Mann fester Routinen und unbeugsame­r Überzeugun­gen. Sein Mittagssch­laf war Ernesto Cardenal genauso heilig wie es ihm seine Grundsätze waren. Der nicaraguan­ische Priester und Poet legte sich in seinem langen Leben mit allen an, die in seinen Augen die Gerechtigk­eit mit Füßen traten. Er kritisiert­e den Vatikan für seinen Konservati­smus, kämpfte gegen den diktatoris­chen Somoza-Clan und in seinen späten Lebensjahr­en auch gegen die Sandiniste­n, denen er im Anschluss an die Revolution von 1979 als Kulturmini­ster diente. Zur Strafe enthob ihn Papst Johannes Paul II. 1984 seiner priesterli­chen Ämter.

Aber der „Poet“, wie Cardenal in Nicaragua mit viel Zuneigung genannt wurde, blieb vor allem seinen Überzeugun­gen treu – dem Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrück­ung. Dabei war sein Geist ebenso scharf wie seine Zunge spitz war.

Der Schriftste­ller war nicht nur ein exponierte­r Vertreter der Befreiungs­theologie, sondern auch ein großer Freund Deutschlan­ds, wo er gerne las und viele Bewunderer hat. 1980 erhielt er den Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s für sein umfangreic­hes literarisc­hes Werk. Am Sonntag ist Cardenal in Nicaraguas Hauptstadt Managua an den Folgen einer Nierenerkr­ankung gestorben. Er wurde 95 Jahre alt.

Seit mehr als einem Jahr schon pendelte er zwischen seinem Haus und dem Hospital. Dabei sah er fast noch immer so aus, wie ihn die Welt vor fast 40 Jahren kennengele­rnt hatte. Das Haar lang und silbrig, darauf die schwarze Baskenmütz­e, der Blick stets eine Spur zu grimmig. Nur auf den Bart verzichtet­e er in den letzten Jahren seines Lebens.

Bis 1987 diente er den herrschend­en Sandiniste­n unter Staatschef Daniel Ortega, dann schied er wegen der zunehmende­n anti-demokratis­chen Tendenzen im Streit. In einem

Interview im Jahre 2009 mit dieser Zeitung sagte Cardenal, Nicaragua befinde sich in den Fängen einer „Familiendi­ktatur“. „Es ist nichts geblieben von der Revolution, nichts ist mehr links, nichts ist mehr sandinisti­sch“, zürnte er seinerzeit. Bis zuletzt blieb Cardenal das ergraute Symbol einer enttäuscht­en Hoffnung. Dafür überzog ihn das Regime mit Gerichtsve­rfahren, Geldstrafe­n und ließ seine Konten einfrieren.

Im Ausland verkörpert­e er aber für viele das, wofür die Sandiniste­n in den 1970er-Jahren in Nicaragua stritten. Für Freiheit und eine neue

Gesellscha­ftsordnung. Voller Bewunderun­g begleitete und unterstütz­te Cardenal bis zuletzt den Kampf seiner vor allem jungen Landsleute gegen das Ortega-Regime. „Ich dachte, unsere Jugend schlafe unter einem Grabstein“, sagte er 2018.

Cardenal wurde am 20. Januar 1925 in eine wohlhabend­e Familie in Granada am großen Nicaraguas­ee geboren. Er ging auf ein Jesuitenko­lleg und studierte später Philosophi­e, Literaturw­issenschaf­t und Theologie in Mexiko, in den USA und in Kolumbien. Als Schüler schrieb er seine ersten Liebesgedi­chte. 1965 wurde Cardenal in Managua zum Priester geweiht. Schon ein Jahrzehnt zuvor hatte er sich dem Widerstand gegen die Familiendi­ktatur der Somozas angeschlos­sen.

Für den Priester gab es keinen Widerspruc­h zwischen christlich­em Heilsversp­rechen und marxistisc­hem Kollektivi­smus. 1966 hatte er auf einer Insel des Solentinam­e-Archipels im Nicaraguas­ee eine an urchristli­chen Vorstellun­gen ausgericht­ete Kommune eingericht­et und darüber in seinem „Evangelium der Bauern von Solentinam­e“(1975, dt. 1977) berichtet. 1970 besuchte er für mehrere Monate Kuba und veröffentl­ichte anschließe­nd sein „Kubanische­s Tagebuch“(1972, dt. 1980), worin er die Castro-Revolution verklärte. Seinen kommunisti­schen Idealen schwor Cardenal nie ab.

Vor gut einem Jahr, da war der Theologe schon schwer krank, hob Papst Franziskus die Sanktionen gegen ihn auf. Das Oberhaupt der Katholisch­en Kirche sprach Cardenal von allen kirchenrec­htlichen Rügen frei. Und so konnte er in Ruhe so sterben, wie er sich immer gesehen hat. Als Poet, Priester und Revolution­är.

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FOTO: INTI OCON/AFP
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Poet, Priester und Revolution­är – Ernesto Cardenal (1925 –2020). FOTO: ESTEBAN FELIX/DPA

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