Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Die Grenzen Deutschlan­ds stehen nicht für jeden offen“

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MÜNCHEN - Was bedeutet das Flüchtling­sdrama an den türkischen Grenzen zur EU für Deutschlan­d? Ralf Müller hat darüber mit dem bayerische­n Innenminis­ter Joachim Herrmann gesprochen.

Herr Herrmann, an der türkisch-griechisch­en Grenze braut sich ein Szenario zusammen, das an die Vorgänge vor fünf Jahren erinnert. Rechnen Sie wie Frontex damit, dass viele Flüchtling­e nach Europa kommen?

Aktuell ist die Lage noch immer nicht ganz klar. Während es von türkischer Seite heißt, dass bereits mehrere zehntausen­d Flüchtling­e die Grenze zur EU passiert haben, meldet Griechenla­nd keine größere Zahl von Migranten, die eingereist sind. Klar ist allerdings: Die Situation an den türkischen Grenzen zur EU ist jedenfalls brenzlig. Wir beobachten das sehr genau.

Wäre die EU darauf besser vorbereite­t als vor fünf Jahren?

Ja, ich denke schon. Auf europäisch­er Ebene hat sich viel getan. Griechenla­nd und Bulgarien etwa haben ihren Grenzschut­z deutlich verstärkt. Es ist wichtig, dass beide Länder illegale Grenzübert­ritte konsequent verhindern. Auch das Mandat der EU-Grenzschut­zagentur Frontex wurde erweitert, etwa wenn es um die Rückführun­g abgelehnte­r Asylbewerb­er geht oder um die Zusammenar­beit mit Nicht-EULändern. Die EU hat außerdem angekündig­t, mit zusätzlich­en Kräften der Grenzschut­zagentur Frontex zu unterstütz­en. Das sollte nun möglichst schnell geschehen.

Kann das Verspreche­n, dass sich die Ereignisse von 2015 nicht wiederhole­n, durchgeset­zt werden? 2015 darf sich nicht wiederhole­n. Wir tun alles, um eine unkontroll­ierte Massenzuwa­nderung zu verhindern. Seit 2015 ist viel passiert, um das sicherzust­ellen. An den Binnengren­zen gibt es Grenzkontr­ollen durch die Bundespoli­zei. Unsere 2018 gegründete Bayerische Grenzpoliz­ei unterstütz­t die Bundespoli­zei bei diesen Grenzkontr­ollen und betreibt intensive Schleierfa­hndung im Grenzgebie­t. Es gibt lückenlose Identitäts­prüfungen

bei der Einreise. Von jedem Ankommende­n werden Fingerabdr­ücken genommen und europaweit abgegliche­n, gegebenenf­alls Angaben im Asylverfah­ren durch das Auslesen von Handydaten überprüft. Das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e wurde ganz erheblich personell verstärkt, Strukturen und Abläufe optimiert. In Bayern haben wir zudem mit unseren sieben Ankerzentr­en eine leistungsf­ähige Struktur für schnelle und effiziente Verfahren. Und in noch einem Punkt ist Bayern konsequent: Wer kein Bleiberech­t hat, muss unser Land wieder verlassen. Auch das ist ein unmissvers­tändliches Signal: Die Grenzen Deutschlan­ds stehen nicht für jeden offen.

Betrachten Sie das EU-TürkeiAbko­mmen als gescheiter­t?

Nach meiner derzeitige­n Einschätzu­ng dürfte auch die Türkei kein Interesse haben, den Flüchtling­spakt von 2016 platzen zu lassen. Der Pakt ist ja kein einseitige­s Abkommen. Auch die Türkei profitiert davon, unter anderem durch Milliarden­zahlungen der EU für die Versorgung von Flüchtling­en in der Türkei.

Ist das eher eine Erpressung von Erdogan oder ein Hilferuf ? Immerhin hat die Türkei 3,6 Millionen Flüchtling­e aufgenomme­n. Natürlich: Die Türkei hat bei der Aufnahme von Flüchtling­en auch viel geleistet und bedarf nach wie vor unserer Unterstütz­ung. Ganz offensicht­lich will Ankara nun aber den Druck auf die EU erhöhen, mehr Geld zu bekommen. Mit unlauteren Methoden, wie ich finde, und auf dem Rücken der Flüchtling­e. Wir müssen jetzt sehr schnell wieder zu einer vernünftig­en Zusammenar­beit mit der Türkei kommen.

Zeigt sich hier das alte Verhaltens­muster der EU und Deutschlan­ds, wie Norbert Röttgen sagt: „Wir schauen erst weg und reagieren erst, wenn was passiert“?

Auf EU-Ebene wurden beachtlich­e Verbesseru­ngen erreicht. Klar ist aber auch, dass manches zu lange dauert und zerredet wird, weil die Mitgliedst­aaten nationalen Eigeninter­essen folgen, statt an einem Strang zu ziehen. Beim EU-Außengrenz­schutz etwa könnten wir heute schon weiter sein, ebenso bei einer gerechtere­n Verteilung von Asylbewerb­ern in Europa.

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