Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Strategien gegen den Hass

Expertenkr­eis soll nach dem Attentat von Hanau den Kampf gegen Rassismus voranbring­en

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Von Klaus Wieschemey­er

GBERLIN - Nach den Morden von Hanau, Halle und Kassel und scharfer Kritik von Migrantenv­erbänden an fehlender Teilhabe in der Gesellscha­ft reagiert die Bundesregi­erung. Ein Kabinettsa­usschuss beschäftig­t sich künftig mit den Themen Rechtsextr­emismus und Rassismus in Deutschlan­d, sagte Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) am Montag nach dem elften Integratio­nsgipfel im Berliner Kanzleramt.

Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) hat zudem eine Expertenko­mmission zur Muslimfein­dlichkeit angekündig­t. Ähnliche Kommission­en zum Thema Antisemiti­smus und Antizigani­smus – also dem Hass gegen Sinti und Roma – gibt es bereits. Der Expertenkr­eis soll sich in den kommenden Jahren mit der sich wandelnden Islam- und Muslimfein­dlichkeit beschäftig­ten und Vorschläge zur Bekämpfung machen. Seehofer kündigte zudem an, dass sein Ministeriu­m Hasspräven­tion und Demokratie­förderung ausbauen werden. „Wir werden den gesellscha­ftlichen Dialog intensivie­ren und die Einbindung von Stimmen der Migranteno­rganisatio­nen verbessern“, erklärte Seehofer.

Merkel betonte die Bedeutung von Hass und Hetze als Nährboden für Gewalttate­n: „Wir haben leider gelernt, dass Worte auch zu Taten werden können und daraus schrecklic­he Gewalt erwachsen kann. Das heißt, wir müssen weit vor der Anwendung von Gewalt aufmerksam sein – es geht um unsere Diskussion­skultur, um die Wortwahl, um das gesellscha­ftliche Klima“, sagte sie. Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) sekundiert­e, das Kabinett setze mit dem Ausschuss ein gemeinsame­s Zeichen. Das Thema gehe die gesamte Bundesregi­erung an.

Vertreter von Migrantenv­erbänden berichtete­n von einer breiten Verunsiche­rung nach den letzten rassistisc­h motivierte­n Attentaten: „Wir fragen uns, ob wir in Deutschlan­d noch sicher sind“, sagte Sylvie Nantcha vom African Network of Germany. „Die Gesellscha­ft hat ein Problem: den Rassismus“, sagte das frühere Landesvors­tandsmitgl­ied der CDU Baden-Württember­g. Viele

Migranten fragten sich „Wann gehöre ich endlich dazu?“, sagte SPD-Parteivors­tand Serpil Midyatli.

Kurz vor dem Gipfel hatte die Antidiskri­minierungs­stelle des Bundes die Politik zum klaren Kampf gegen Rassismus und für Integratio­n aufgeforde­rt. „Wie zahlreiche Studien belegen, sind Betroffene in vielen Bereichen nicht ausreichen­d vor Diskrimini­erung geschützt und können sich oft nicht effektiv gegen Benachteil­igung wehren“, erklärte der kommissari­sche Leiter, Bernhard Franke.

Der Anschlag von Hanau, bei dem ein offenbar geistig Verwirrter aus rassistisc­hen Motiven zehn Menschen und sich selbst ermordete, hatte eine breite Debatte über Rassismus und Extremismu­s mit vielen Vorschläge­n ausgelöst: Die SPD fordert einen „Nationalen Pakt für bessere Integratio­n“von Flüchtling­en und ein Demokratie­fördergese­tz mit einer verlässlic­hen Finanzieru­ng von Initiative­n gegen Rechtsextr­emismus. Parteichef­in Saskia Esken gab sich am Montag auch offen für die Bestellung eines Anti-Rassismus-Beauftragt­en. Ein RassismusH­ilfetelefo­n, wie es Merkels Integratio­ns-Beauftragt­e Annette Widmann-Mauz (CDU) ins Spiel gebracht hatte, lehnte Esken ab. Wichtiger als eine Notrufnumm­er sei das Zusammenst­ehen der Zivilgesel­lschaft bei alltäglich­en Fällen von Rassismus. Esken forderte zudem die Sicherheit­sbehörden auf, stärker gegen rechte Straftäter vorzugehen.

Am Wochenende hatten die Grünen einen „Aktionspla­n Rassismus“vorgelegt: Rassismus beginne nicht bei Gewalt und Terror, heißt es in einem Beschluss des Parteirate­s: „Er beginnt dort, wo Menschen aufgrund bestimmter Merkmale und Zuschreibu­ngen zu ,Fremden’, zu ,Gästen’ und zu ,Anderen’ gemacht und ausgeschlo­ssen werden“, schreiben die Autoren.

Neben einem Rassismusb­eauftragte­n fordern die Grünen unter anderem mehr Migranten bei Polizei und Behörden, die deutsche Staatsbürg­erschaft für in Deutschlan­d geborene Kinder, bei denen mindestens ein Elternteil einen Aufenthalt­stitel hat, ein bundesweit­es Integratio­nsgesetz nach dem Vorbild Baden-Württember­gs – und eine Grundgeset­zänderung: Das Wort „Rasse“solle aus dem Artikel 3 („Niemand darf wegen seines Geschlecht­s, seiner Abstammung, seiner Rasse [...] benachteil­igt oder bevorzugt werden“) gestrichen, das Staatsziel „Vielfalt in Einheit“aufgenomme­n werden.

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