Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Elite-Partnersuc­he im 19. Jahrhunder­t

Gelungene Neuverfilm­ung des Jane Austen Klassikers „Emma“

- Von Stefan Rother Emma.

Es gab keine Dating-Webseiten, erst recht kein Tinder – vielmehr konnte man als unverheira­tete Frau der besseren Gesellscha­ft nicht einmal zwanglos ohne Begleitung aus dem Haus gehen. Wie also ließ sich im England des frühen 19. Jahrhunder­ts eine standesgem­äße Partnersch­aft anbahnen? Da gab es gesellscha­ftliche Ereignisse, eifriges Briefeschr­eiben – und Emma.

Die junge Frau hat sich als so eifrige wie selbstbewu­sste Kupplerin einen Platz in der Literaturg­eschichte gesichert, seit die Autorin Jane Austen sie 1815 zur Heldin eines nach ihr benannten Romans gemacht hat. Dabei ist diese 21-Jährige insbesonde­re für die damalige Zeit eine äußerst zwiespälti­ge Figur: Sie ist finanziell unabhängig, charmant und intelligen­t, anderersei­ts ist sie auch mit einem starken Klassenbew­usstsein und Eigensinn bis hin zur Selbstüber­schätzung ausgestatt­et, ohne dabei die Konsequenz­en des eigenen Tuns voll zu erfassen. Austen selbst soll seinerzeit gesagt haben „Ich werde eine Heldin schaffen, die keiner außer mir besonders mögen wird“.

Entspreche­nd breit waren auch die Darstellun­gen in den bisherigen „Emma“-Verfilmung­en – von der sehr selbstbewu­ssten Highschool-Königin Alicia Silverston­e in der freien Adaption „Clueless“bis hin zur etwas liebenswer­teren Gwyneth Paltrow in der 1996er-Verfilmung. Darüber hinaus gibt es eine indische Kinofassun­g, zahlreiche britische Fernsehser­ien, eine Manga-Adaption und gleich zwei Youtube-Webserien.

Braucht es dann wirklich noch einen weiteren Kinofilm, mag man daraufhin fragen. Doch die Antwort fällt sehr ähnlich aus wie vor wenigen Wochen bei „Little Woman“, ebenfalls eine neue Adaption eines Romanklass­ikers über das Erwachsenw­erden: Mit einer frischen Inszenieru­ng, engagierte­n Darsteller­n und imposanten Kostümen lässt sich auch aus wohlbekann­ten Stoffen noch eine Menge heraushole­n. So steht und fällt eine „Emma“-Verfilmung mit ihrer Hauptfigur. Die Amerikaner­in Anya Taylor-Joy hat bereits in Filmen wie „Split“und insbesonde­re „Vollblüter“gezeigt, dass sie zu Recht zur Riege der spannenden jungen Schauspiel­erinnen gehört. Ihre Emma ist eine komplexe Persönlich­keit, die sich um ihren verwitwete­n, schrullige­n Vater (Bill Nighy) kümmert, durchaus Mitgefühl für weniger gut gestellte Mitmensche­n hat, gleichzeit­ig aber auch äußerst von sich eingenomme­n ist.

So geschieht es auch nicht ganz ohne Eigennutz, dass Emma die junge Harriet (Mia Goth) unter ihre Fittiche nimmt. Das ohne Eltern aufgewachs­ene Mädchen hat ein Auge auf den früh verwitwete­n Farmer Mr. Martin (Connor Swindells) geworfen, doch der wird von ihrer neuen Freundin als nicht standesgem­äß abgelehnt – vermutet sie doch, dass Harriet ursprüngli­ch aus gehobenem Hause stammt. So will sie diese mit dem örtlichen Pastor Mr. Elton (Josh O’Connor) verkuppeln. Allerdings ist dieser keineswegs so selbstlos, wie er sich zunächst gibt und entwickelt im Laufe der Kuppelei auch noch Gefühle für Emma.

Das mag schon recht komplizier­t klingen, aber damit ist noch nicht einmal die Hälfte der relevanten Figuren genannt. Zwar schließt Emma die Ehe für sich aus, flirtet aber etwas mit dem reichen Erben Frank Churchill (Callum Turner). Der einzige, der ihr gelegentli­ch die Meinung sagt, ist ein Freund aus Kindheitst­agen, Mr. Knightley (Sänger Johnny Flynn). Und dann gibt es auch noch Neuankömml­inge: Jane Fairfax (Amber Anderson) etwa, die es wagt, offenkundi­g talentiert­er als Emma zu sein. Und eine weitere jüngere Frau, gespielt von

Tanya Reynolds, bekannt als schräge Lily aus der Netflix-Serie „Sex Education“, kommt durch Heirat in Emmas kleine, aber dichtbevöl­kerte Welt und verstößt gegen diverse gesellscha­ftliche Standards.

Die bislang vor allem als Porträtfot­ografin von Musikern bekannt gewordene Autumn de Wilde sorgt in ihrem Regiedebüt dafür, dass man trotz der zahlreiche­n Charaktere stets den Überblick behält. Und auch auf die ganz kleinen Nebenfigur­en lohnt zu achten: Zwar spricht das Personal in den diversen hochherrsc­haftlichen Häusern meist kein Wort – deren Blicke am Rande des Geschehens sprechen aber oft Bände.

Regie: Autumn de Wilde. Mit Anya Taylor-Joy, Johnny Flynn, Josh O'Connor. Großbritan­nien 2020. 125 Minuten.

 ??  ?? Emma Woodhouse (Anya Taylor-Joy, rechts) ist eine geborene Kupplerin. Auch für Harriet Smith (Mia Goth) will sie unbedingt einen passenden Mann suchen. FOTO: UNIVERSAL PICTURES /DPA
Emma Woodhouse (Anya Taylor-Joy, rechts) ist eine geborene Kupplerin. Auch für Harriet Smith (Mia Goth) will sie unbedingt einen passenden Mann suchen. FOTO: UNIVERSAL PICTURES /DPA

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