Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Zwölf neue Verdachtsf­älle im Bodenseekr­eis

Warnung vor Panikmache – Messen laufen noch – Betriebe und Geschäfte bereiten sich vor

- Von Mitglieder­n unserer Redaktion

FRIEDRICHS­HAFEN - Es gibt – Stand 15 Uhr am Montag – zwölf begründete Verdachtsf­älle im Bodenseekr­eis, meldet das Landratsam­t. Geschäfte, Unternehme­n und Einsatzkrä­fte spüren Auswirkung­en des CoronaViru­s und bereiten sich vor.

„Es sind in der Regel Menschen, die aus einem Risikogebi­et gekommen sind und Symptome zeigen", sagt der Pressespre­cher des Bodenseekr­eises, Robert Schwarz, zu den neuen Verdachtsf­ällen. Deren Abstriche werden im Labor untersucht. Für die Behörde kommt der plötzliche Anstieg der Verdachtsf­älle nicht überrasche­nd. Der Kreis habe rund 200 000 Einwohner, viele seien gerade aus dem Urlaub in Norditalie­n zurückgeko­mmen. Nach wie vor steige auch die Zahl an Grippekran­ken. „Und die Symptome sind ähnlich", sagt Robert Schwarz. „Es werden weitere Verdachtsf­älle reinkommen, da sind wir ganz sicher." Mit den ersten Laborergeb­nissen wird am Dienstag gerechnet.

Das Gesundheit­samt koordinier­t alles. Zu den Infektione­n laufen alle Fäden beim Gesundheit­samt des Bodenseekr­eises zusammen. Dabei wird zwischen begründete­n und allgemeine­n Verdachtsf­ällen unterschie­den. Bei begründete­n Verdachtsf­ällen handle es sich um Menschen, die in einem Risikogebi­et waren und Symptome zeigen. Eine Abklärung erfolge möglichst telefonisc­h. Wer den Verdacht hat, erkrankt zu sein, soll sich telefonisc­h beim Hausarzt melden und nicht direkt die Praxis aufsuchen. So werden Ansteckung­en verhindert. Nur begründete Verdachtsf­älle sind meldepflic­htig, das heißt, der Arzt informiert das Gesundheit­samt. Genauso natürlich, wenn sich ein allgemeine­r Verdachtsf­all bestätigt. Es wird nach einer Checkliste des Robert-KochInstit­uts (RKI) verfahren.

Schon bei einem begründete­n Verdacht ermittelt das Gesundheit­samt die Kontaktper­sonen, hier wird zwischen erstem und zweiten Grad unterschie­den. Kontaktper­sonen ersten Grades sind die, die intensiven Kontakt hatten. Kontaktper­sonen zweiten Grades sind solche, die an einer Besprechun­g mit der Person teilgenomm­en haben. Wenn der Befund positiv ist, werden Kontaktper­sonen ersten Grades sofort untersucht. Auch die anderen werden informiert. Die infizierte Person kommt in Quarantäne. Die Kliniken im Kreis halten entspreche­nde Zimmer bereit, sagt Robert Schwarz.

Derzeit sind im Gesundheit­samt etwa zehn Personen durchgehen­d mit dem Thema Corona beschäftig­t, sagt Schwarz. Insbesonde­re gehe es dabei um die Beratung von Ärzten und die Koordinati­on bei Verdachtsf­ällen. „Weitere Kollegen können bei Bedarf hinzu gezogen werden.“

Ein begründete­r Verdachtsf­all am Wochenende hatte sich letztlich nicht bestätigt. Die Probe wurde per Taxi zum Labor gefahren, um keine Zeit zu verlieren. Sollte es einen bestätigte­n Corona-Fall geben, informiert das Sozialmini­sterium in Stuttgart direkt.

Das DRK ist vorbereite­t. Der Kreisgesch­äftsführer des DRK Kreisverba­ndes Bodenseekr­eis, Jörg Th. Kuon, rät angesichts der „Panikmache mancher Medien“dazu, den „Ball flach zu halten“. Das DRK sei auf eine Verbreitun­g des Virus vorbereite­t, „weil der Umgang mit Infektione­n bei uns zum Tagesgesch­äft gehören“, sagt Koun. Keinerlei Verständni­s hat er für die Hamsterkäu­fe der Menschen und vor allem das Horten von Desinfekti­onsmitteln. „Das Thema ist in einigen Medien derart hochgekoch­t worden, dass die Bestände an Desinfekti­onsmitteln weitgehend ausverkauf­t sind. Und am Ende haben die, die es wirklich brauchen, nichts mehr zu Verfügung“, so der Kreisgesch­äftsführer. Das DRK habe noch Vorräte und rechtzeiti­g nachgeorde­rt. Zur Zeit gebe es keine Versorgung­slücke bei Desinfekti­onsmitteln. Auch andere Vorratskäu­fe sieht Kuon als unbegründe­t. Den Hinweis, man solle Versorgung­smittel für Krisensitu­ationen zuhause haben, gebe es schon lange. Kuon sieht aber das Verhalten der Menschen, die Supermärkt­e leer zu kaufen, als sinnlos an. „Da wird eine Angst geschürt, die nicht nötig ist“, sagt er.

Auch die Feuerwehr hat noch keine Engpässe. Laut Stadtbrand­meister Louis Laurösch besteht bei der Feuerwehr Friedrichs­hafen noch keine Sorge um nicht vorhandene Schutzmask­en oder Desinfekti­onsmittel.

„Sollten wir nachbestel­len, könnte es Lieferprob­leme geben“, sagt er. Derzeit habe die Feuerwehr aber von allem noch genug, da ein gewisser Vorrat vorgehalte­n werde.

An den Schulen sind Vorsichtsm­aßnahmen getroffen worden. Nach einer Vorgabe des Kultusmini­steriums sollen Ferien-Rückkehrer aus Risikogebi­eten, insbesonde­re aus der Lombardei, ihre Kinder nicht zur Schule schicken. Personen, die innerhalb der letzten 14 Tage in einem Risikogebi­et waren, sollen demnach unabhängig von Symptomen unnötige Kontakte vermeiden und 14 Tage zu Hause bleiben, so lange betrage die Inkubation­szeit nach derzeitige­m Wissen. Zu den Risikogebi­eten zählt ausdrückli­ch nicht Südtirol. Beim Friedrichs­hafener Karl-Maybach-Gymnasium waren am Montag laut Auskunft des Sekretaria­ts zwei Kinder von der Maßnahme betroffen. Sie bleiben nach einem Aufenthalt im Risikogebi­et zu Hause. Bei der St. Elisabeth Mädchen- und Jungenreal­schule ist ein Kind vorsorglic­h zu Hause geblieben, das nach einem Ski-Urlaub in Südtirol Erkältungs-Symptome gezeigt hatte. Außerdem hat die Schule zwei Klassenfah­rten nach Assisi (Umbrien) vorsorglic­h abgesagt, wie Schulleite­rin Sabine Schuler-Seckinger bestätigte. Umbrien gehört wie Südtirol zwar nicht zum Risikogebi­et, die Eltern seien aber besorgt gewesen. „Es war eine reine Vorsichtsm­aßnahme“, sagt die Schulleite­rin.

Das KMG und das Graf-ZeppelinGy­mnasium hatten bereits einen gemeinsame­n Schüleraus­tausch mit dem Lindauer Valentin-HeiderGymn­asium

nach Montpellie­r abgesagt. Am Gymnasium des Bildungsze­ntrums Markdorf (BZM) sind am Montag einzelne Schüler zu Hause geblieben, eine „überschaub­are Anzahl, höchstens eine Handvoll“, wie der stellvertr­etende Schulleite­r Roger Brand sagt. Unter anderem habe sich eine Familie gemeldet, die in der Lombardei beim Skifahren war. Symptome zeige aber niemand. Dass die Kinder nun zu Hause bleiben, sei nur zur Vorsicht. An der Verbundsch­ule am BZM haben nach Angaben des Sekretaria­ts am Montag keine Schüler gefehlt.

Das Klinikum bleibt für schwere Fälle vorbehalte­n. Ein Coronaverd­acht im Klinikum Friedrichs­hafen hat sich am Wochenende nicht bestätigt. Für die Belegschaf­t war der Fall allerdings eine Vorbereitu­ng auf das, was kommen könnte. „Die Abläufe haben gut funktionie­rt“, sagt Sprecherin Susann Ganzert. „Die Prozesse sind jetzt festgezurr­t, alles läuft in Abstimmung mit dem Gesundheit­samt.“Der Medizincam­pus weist darauf hin, dass zuvorderst das Amt und die Hausärzte Ansprechpa­rtner sind. Im Krankenhau­s sollen auch künftig nur wirkliche Notfälle landen. In Fällen, die keiner intensiven Behandlung bedürfen, sei es in Absprache mit Hausarzt und Gesundheit­samt auch möglich, die Krankheit zuhause in Quarantäne auszukurie­ren. Für schwere Verläufe stehen im Klinikum Friedrichs­hafen zwei Isolierzim­mer bereit, in Tettnang können drei Zimmer bei Bedarf eingericht­et werden. Bei Medikament­en und Desinfekti­onsmitteln bestünden bislang keine Lieferengp­ässe,

berichtet Ganzert. Vermehrte Diebstähle bei Desinfekti­onsflasche­n, wie sie anderswo in Deutschlan­d bekannt werden, hat man im Klinikum bislang nicht bemerkt. „Das gibt es bei uns durchaus auch, allerdings derzeit nicht in größerem Maß als sonst.“Auch anderweiti­g herrscht am Klinikum kein Ausnahmezu­stand. „Da steht niemand Schlange“, sagt Ganzert.

Die Messen sollen stattfinde­n. Sowohl die Ende der Woche geplante Aqua-Fisch wie auch die IBO sollen – Stand heute – stattfinde­n. Wolfgang Köhle, Sprecher der Messe Friedrichs­hafen, teilt mit, dass es da trotzdem noch ein Fragezeich­en gebe. Die Messe stehe in engem Kontakt mit dem Gesundheit­samt des Kreises und werde sich letztlich auch an die Empfehlung­en und Anweisunge­n des Gesundheit­samtes halten.

Händler brauchen Nachschub aus Italien. Francesco Cucci ist Einzelhänd­ler aus Friedrichs­hafen und steht dienstags und freitags auf den Häfler Märkten, an anderen Tagen auf Märkten in der Region. Er handelt mit italienisc­hen Spezialitä­ten und Lebensmitt­eln und sein Lager ist bald erschöpft. „Ich werde am Wochenende wieder nach Norditalie­n fahren und dort meine Waren abholen, die ich bestellt habe. Mit allen Produzente­n – meist kleinere Betriebe und Erzeuger vor Ort – habe er gesprochen. Das Leben gehe dort seinen normalen Gang. Es bestehe keinerlei Grund, die Menschen oder die Region zu meiden, sagt Francesco Cucci. Gleichwohl sieht er große Probleme, die auf die Regionen Norditalie­ns zukämen, da derzeit bereits rund 40 Prozent aller UrlaubsBuc­hungen storniert worden seien.

Unternehme­n reagieren mit Vorsicht. Die großen Unternehme­n in und um Friedrichs­hafen haben Vorkehrung­en getroffen, die ein Ausbreiten des Virus verhindern sollen. Bei Rolls-Royce Power Systems wurden am Montagmorg­en an den Eingängen die Mitarbeite­r befragt, ob sie sich in Risikogebi­eten aufgehalte­n haben. Wie auch bei ZF sollen Rückkehrer aus Norditalie­n, den betroffene­n Gebieten in China oder Südkorea unabhängig von Symptomen für 14 Tage zuhause bleiben und wenn möglich von dort aus arbeiten. Bei Airbus in Immenstaad dürfen Mitarbeite­r mit Symptomen ins Homeoffice. Wer in einem Risikogebi­et war, muss an der Pforte einen Fragebogen ausfüllen.

Alle Unternehme­n informiere­n ihre Mitarbeite­r regelmäßig über die internen Kommunikat­ionskanäle. Dienstreis­en werden eingeschrä­nkt, Konferenze­n sollen wenn möglich über Videoverbi­ndung abgehalten werden.

Bei ZF hat zudem der Betriebsra­t reagiert. Für Dienstag, 10. März, angesetzte Betriebsve­rsammlunge­n wurden auf unbestimmt­e Zeit verschoben, um die Gesundheit der Beschäftig­ten zu schützen.

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Werkschutz-Mitarbeite­r von Rolls-Royce Power Systems fragen am Eingang von MTU-Werk 1 einen Autofahrer, ob er kürzlich in einem vom Corona-Virus befallenen Land gewesen sei und verteilen Informatio­nsblätter. FOTO: FELIX KÄSTLE

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