Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Kulturkamp­f in den Fußballsta­dien

Fanforsche­r Lange prophezeit ungemütlic­he Zeiten für die Bundesliga – Fußballer sollten Fehler eingestehe­n

-

Nach den Beleidigun­gen von Münchner Fans gegen Dietmar Hopp, den Mäzen der TSG Hoffenheim, spielt der FC Bayern heute wieder Fußball – im Viertelfin­ale des DFB-Pokals beim FC Schalke 04 (20.45 Uhr/ARD). Zur Tagesordnu­ng übergehen möchte Clubchef Karl-Heinz Rummenigge jedoch nicht. Der Verein habe eine Kommission zur Aufarbeitu­ng der Vorgänge vom Samstag gegründet, auch drohte Rummenigge „gewissen Chaoten“, wie er Teile der sogenannte­n Ultras bezeichnet­e, mit Strafen. Fanforsche­r Harald Lange von der Universitä­t Würzburg sieht jedoch ein generelles Problem. Der Wissenscha­ftler glaubt, dass sich der „Kulturkamp­f“in den Stadien verstärken wird.

RAVENSBURG - Dem deutschen Fußball stehen ungemütlic­he Zeiten ins Haus. Nachdem Beleidigun­gen gegen Hoffenheim­s Mäzen Dietmar Hopp in den Stadien gezeigt wurden und der DFB rigoros durchgriff, ist ein Friede zwischen der Liga und der aktiven Fanszene in weite Ferne gerückt. Fanforsche­r Harald Lange sieht nun alle Beteiligte­n in der Pflicht, auch wenn die Parteien wohl nicht weiter voneinande­r entfernt sein könnten. Felix Alex hat mit dem Professor der Universitä­t Würzburg gesprochen.

Professor Lange, Sie selbst lehren zum Thema Sportwisse­nschaften, sind Gründer des Instituts für Fankultur. Was haben Sie gedacht, als Sie die Bilder aus Sinsheim gesehen haben?

Ich habe das nur beiläufig im Radio verfolgt und dachte „ui, was ist denn da passiert?“. Dann habe ich recherchie­rt und war erstaunt, dass es „nur“um eine Beleidigun­g ging. Die war zwar in Härte und Umfang unannehmba­r, und man muss sie scharf verurteile­n und bestrafen. Aber die Reaktionen seitens der Verantwort­lichen in ihren Statements, seitens des Schiedsric­hters, aber auch der Spieler, dass sie die letzten Minuten einfach so runtergesp­ielt haben, das war schon außergewöh­nlich deutlich. Ich war aber überrascht, weil eine vergleichb­are Reaktion zum Beispiel vor Wochen, als Herthas Jordan Torunarigh­a rassistisc­hen Anfeindung­en ausgesetzt war, angemessen gewesen wäre. Da ist nun aber genau das Gegenteil passiert – der Spieler und seine Mannschaft sind mit dem Feldverwei­s noch bestraft worden.

Muss sich die Bundesliga also vorwerfen lassen, dass sie dieses Zeichen zu spät gesetzt hat?

Man könnte das ganz einfach mit „ja“beantworte­n, weil klar ist, was auf den Fußballplä­tzen seit Jahren und Jahrzehnte­n passiert. Würde das in anderem gesellscha­ftlichem Raum passieren, hätte das ganz andere Konsequenz­en. Es hat eine gewisse Tradition, dass manche Umgangsfor­men am Stadiontor abgegeben werden. Es ist zu hoffen, dass wir für den Fußball nun einen Maßstab etabliert haben, der nun auch bei allen anderen, sexistisch­en, rechtsradi­kalen, homophoben Anfeindung­en gezogen wird – und nicht nur dann, wenn es eine ganz exponierte Persönlich­keit aus der Chefetage des Fußballs trifft.

Hat der DFB deshalb so reagiert? Diese Beleidigun­gen gegen Dietmar Hopp laufen ja auf zwei Ebenen. Der direkte Angriff auf die Person Hopp und das Symbol. Da geht es um das Thema Kommerzial­isierung und Ausverkauf der Werte des Fußballs, und da ist Hopp nur der Steigbügel­halter für die Kritik an DFL und DFB.

Auch wenn über die Botschaft jetzt nicht gesprochen wird, sondern nur über Hassplakat­e.

Na ja, ich denke, dass die symbolisch­e Ebene jetzt aber sowas von verstanden wurde. Die Verantwort­lichen reagieren nicht allein aus Empathie und Mitgefühl, weil es Dietmar Hopp trifft, sondern weil sie, die führenden Vertreter von einigen Bundesliga­clubs und insbesonde­re des DFB und der DFL, damit getroffen und kritisiert werden. Letztendli­ch ist alles, was im Hintergrun­d abläuft, ein Machtkampf, man kann von Spuren eines Kulturkamp­fes sprechen, in dem sich die Beteiligte­n so weit voneinande­r entfernt haben, dass sie sich überhaupt nicht mehr verstehen. Vielleicht auch nicht mehr verstehen können oder wollen. Und das merkt man an vielen Äußerungen.

Was meinen Sie konkret?

Einige Aussagen von Spielern, die vollkommen unreflekti­ert reingebrac­ht wurden, die in dem Moment gut ankommen, aber nichts bringen. Nach dem Motto, die Ultras pauschal zu diskrediti­eren, „Ultras raus“zu fordern und nicht zuletzt das Fass so weit aufzumache­n, alles in einen Topf mit Rassismus oder Diskrimini­erung zu werfen. Wir sind in der Gesellscha­ft an einem Punkt, dass, wenn jemand beleidigt wird, ein großer Eintopf daraus gemacht wird, aber das ist vollkommen unsachlich und verschärft die Diskussion nur und entfernt uns von einer Lösung.

Da wird gerne von „sogenannte­n Fans“gesprochen, ein Affront gegen diejenigen, die einen Großteil ihres Lebens einem Verein widmen, oder? Wenn man den Begriff Fan ernst nimmt, kann man argumentie­ren, dass unter den Ultras ein großer Anteil derer sind, die echte Fans sind. Das meinte ich auch mit den Spieleraus­sagen. Und diesen Leuten wird das Fansein, sogar das Fußballint­eressierts­ein abgesproch­en. Da kann man nur sagen, wer das sagt, der hat von denen da auf den Rängen, denen, die dafür sorgen, dass man so üppig leben kann, überhaupt keine Ahnung.

Klingt nicht gerade, als würde nun alles besser werden ...

Der Kulturkamp­f wird weiter eskalieren. Es ist sowohl von den Fans als auch vom DFB ein Machtspiel. Da wird mit den Säbeln gerasselt, da wird gesagt, „das ist die hässliche Fratze des FC Bayern“. In Anbetracht der verwendete­n Metaphorik und Sprache kann man hinterher gar nicht mehr zurückrude­rn und Dialoge suchen. Man müsste jetzt mal Fehler eingestehe­n. Diese Größe ist aber derzeit unvorstell­bar. Man ist beim DFB aber einfach auf dem Stand der 1980er/90er-Jahre stehengebl­ieben. Es geht nicht in Richtung Dialog, sondern voll auf Konfrontat­ion. Die Führungssp­itze des DFB hat aus aus den letzten Jahren nicht gelernt.

Bei Union Berlin wurden Fadenkreuz­e und Hass-Banner gezeigt, von Abbruch war die Partie dennoch weit entfernt.

Ja, das sind schon zwei verschiede­ne Maßstäbe an ein und demselben Fall. Wir werden es auch noch mit ganz anderen Fällen zu tun bekommen, wo Spieler rassistisc­h oder wie auch immer beleidigt werden, und dann wird ganz sicher niemals ein Spiel abgebroche­n – da gebe ich Ihnen Brief und Siegel drauf. Dieser Drei-PunktePlan ist ein Papiertige­r, den es seit elf Jahren gibt – und den meint man mal bei so einem hochklassi­gen Spiel zeigen zu müssen.

Um zu zeigen „Macht uns unser Produkt nicht kaputt“?

Ja, ja, das ist pure Angst, pure Panik. Weil die Fans können dieses Produkt durch permanente­s Stören in ein kritisches Licht stellen. Und dass der DFB jetzt gerade den elf Jahre alten Papiertige­r zieht, spielt denjenigen, die Spielabbrü­che provoziere­n möchten, geradezu in die Hände. Hier hat man eindeutig zu hoch gepokert.

DFB-Präsident Fritz Keller wirkte angesichts der Bilder bei seinem Auftritt im Sportstudi­o ziemlich verstört.

Keller hat es überhaupt nicht verstanden oder zumindest so getan, weshalb es diese Anfeindung­en gegen Dietmar Hopp gibt. Weil Hopp ja soviel Gutes macht. Da versucht man wieder einen großen Topf aufzumache­n. Dabei muss man gar nicht so viel Ahnung haben, um zu wissen, warum ein Mäzen im Fußball solchen Anfeindung­en ausgesetzt ist.

Ist es überhaupt zu befrieden?

Da muss man in längeren Szenarien denken. Ich gehe von zwei grundversc­hiedenen Zukunftsen­twicklunge­n aus, die sich in den kommenden drei bis fünf Jahren durchsetze­n könnten. Das erste, und das ist mit Blick auf die bisherigen Reaktionen des DFB das Naheliegen­de, ist, dass man versucht, nicht nur die Ultras, sondern aktive, kritische, zum Protest neigende Fans zusehends aus den Stadien rauszudrüc­ken. Das kann man gegenwärti­g bei dem Megaproduk­t Bundesliga auch ganz gut machen, weil die Nachfrage da ist. Die enorm begehrten Tickets werden dann halt an andere gegeben, und da ist es dann wirtschaft­lich ganz gut zu sagen: „Wir wenden uns an finanzstär­kere Zuschauer, die sich da unterhalte­n lassen wollen und die ganze Inszenieru­ng klasse finden.“Die, wenn ihre Mannschaft verliert, das nächste Mal eben zum Basketball oder in die Oper oder ins Kino gehen. Die machen keinen Ärger. Ein Austausch der Fans und englische Verhältnis­se sind aus wirtschaft­licher Sicht durchaus attraktiv. Das ist ein Szenario, das ich für sehr wahrschein­lich halte.

Keine Aussichten, die allen gefallen dürften.

Das wäre für unsere gewachsene Fanund Fußballkul­tur eine mittelschw­ere Katastroph­e, und das Produkt Bundesliga­fußball wäre ein völlig anderes als gegenwärti­g. Die ganze Leidenscha­ft und Emotionali­tät wird durch die Fans getragen. Da wären wir beim zweiten Szenario, das in die Fußballtra­dition hineinpass­en würde, aus meiner Sicht aber schlechter­e Karten hat, nämlich die Variante, dass man endlich diese Schnittmen­gen zwischen den Wünschen der aktiven Fanszene und denen der Lenker der Bundesliga entdeckt und konstrukti­v nutzt. Wenn man das geschickt macht, bin ich überzeugt, kann man das Produkt noch spannender, noch dramatisch­er und aufregende­r machen als es ohnehin schon ist.

 ??  ??
 ??  ?? Die Ultras, hier die Dortmunder, machen derzeit ihrem Unmut vielerorts Luft. FOTO: EIBNER-PRESSEFOTO/IMAGO IMAGES
Die Ultras, hier die Dortmunder, machen derzeit ihrem Unmut vielerorts Luft. FOTO: EIBNER-PRESSEFOTO/IMAGO IMAGES

Newspapers in German

Newspapers from Germany