Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Glaubwürdigkeit zurückgewinnen
Das Weiheamt für Frauen, die Lockerung des Zölibats, der Kampf gegen Klerikalismus, der Reformprozess des Synodalen Wegs: Schon am Dienstag, direkt nach der Wahl, häuften sich Forderungen, Erwartungen und Anfragen an Georg Bätzing, den neuen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz.
Bei allem Respekt vor der Dringlichkeit, diese Fragen zu beantworten, an denen die katholische Kirche sich seit Jahren meist erfolglos abarbeitet: Bätzing sollte zunächst eine großzügige und schnelle Entschädigungsregelung für die Opfer des Missbrauchsskandals, die noch aussteht, umsetzen. Er gehört zu den wichtigsten Aufklärern im Missbrauchsskandal: Nun kann er seinen Ansatz in der Praxis beweisen.
Und dann sollte er den Blick der Verantwortlichen, die sich gerne in Strukturen verlieben und darin oft verlieren, darauf richten, dass die Kirche rasant an Relevanz und noch schneller an Glaubwürdigkeit verliert. Der Glaube verdunstet wie Wasser in der Wüste. Denn viel zu selten gibt die Kirche Antworten aus dem Evangelium heraus auf die existenziell drängenden Fragen der Zeit: Klimawandel, Sterbehilfe, Digitalisierung, Vereinsamung ganzer Altersgruppen, Überalterung der Gesellschaft. Die Liste ließe sich locker fortsetzen.
Genau diese Kritik an der deutschen Kirche übt auch Papst Franziskus, der den Bischöfen ausrichten ließ, die Evangelisierung bitte ernster zu nehmen: Sie sei ein Recht der Menschen, die Jesus Christus und sein Evangelium noch nicht oder nicht ausreichend kennen: „Der Verkündigung des Evangeliums folgen Werke der Nächstenliebe und Caritas und die ganzheitliche Förderung der menschlichen Person.“
Bätzing ist also gut beraten, wenn er aufs Fundament der Kirche schaut und sich an seine ersten Tage als Bischof von Limburg erinnert; „Ich brauche kein Konzept, mein Programm ist das Evangelium“, rief er 2016 unter dem Applaus des Publikums aus. Kirche als Erfahrungsraum des Evangeliums: Programm genug für die nächsten sechs Jahre.