Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Sieger Netanjahu ohne Mehrheit
Der Premier siegt bei der dritten Wahl innerhalb eines Jahres in Israel – Ob er eine Regierung bilden kann, ist unklar
JERUSALEM (dpa) - Zwei Wochen vor Beginn des Korruptionsprozesses gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu hat dessen Likud-Partei die dritte Wahl innerhalb eines Jahres gewonnen. Nach Auszählung von gut 90 Prozent der Stimmen kam der rechtskonservative Likud auf 36 Mandate. Das MitteBündnis Blau-Weiß von Benny Gantz erhielt 32 Sitze. Der rechts-religiöse Block käme auf 59 Sitze, der MitteLinks-Block auf 54. Für eine Mehrheit sind 61 Sitze nötig.
TEL AVIV (dpa) - Als Benjamin Netanjahu in der Wahlnacht mit Ehefrau Sara strahlend vor seine Anhänger tritt, bricht Jubel aus. Überraschend hat der 70-Jährige seinem Likud das bisher beste Wahlergebnis beschert, seit er an der Spitze der rechtskonservativen Partei steht. Und dies, obwohl in zwei Wochen ein Korruptionsprozess gegen ihn beginnen soll. Die Anklage in drei Fällen hat Netanjahu bei Israels drittem Urnengang binnen eines Jahres nicht beschädigt – im Gegenteil, er wirkt stärker denn je. Das Mitte-Bündnis Blau-Weiß des Ex-Militärchefs Benny Gantz, bis vor Kurzem ein Hoffnungsträger, kommt nur auf Platz zwei nach Netanjahus Likud.
Für viele mag der Personenkult um Netanjahu befremdlich wirken. Der britisch-israelische Journalist Anshel Pfeffer, der eine Biografie Netanjahus geschrieben hat, sagt: „Es ist Netanjahu über Jahre immer wieder gelungen, die Wut großer Teile der israelischen Bevölkerung auf die ,alten Eliten’ für seine eigenen politischen Ziele zu nutzen.“Das Justizsystem werde von Netanjahus Anhängern als Teil der Elite europäischstämmiger Juden angesehen, so Pfeffer. Daher schenkten sie auch Netanjahus Darstellung
Glauben, er werde vom Gerichtssystem verfolgt. Es gebe auch Likud-Anhänger, die Netanjahu „einfach als talentierteren und besseren Anführer als Gantz ansehen, deshalb sind sie bereit, für ihn zu stimmen, obwohl sie der Anklageschrift glauben“.
Der israelische Politologe Maoz Rosenthal sagt: „Der Likud hat einen riesigen Sieg erzielt.“Gleichzeitig sei aber ungewiss, ob Netanjahu sich mit seinem Block rechter und religiöser Parteien eine Mehrheit von mindestens 61 der 120 Sitze im Parlament sichern kann. „Wir haben hier zwei widersprüchliche Resultate.“
Zwei Wahlen in 2019 endeten mit einem Patt zwischen Netanjahus rechts-religiösem Block und dem Mitte-Links-Lager von Gantz. Beide scheiterten bei der Regierungsbildung.
Rosenthal sieht als Möglichkeit, Abtrünnige aus dem Gantz-Lager könnten zu Netanjahu überlaufen. Dessen Berater Jonathan Urich sagte am Dienstag: „Es ist nur eine Frage weniger Tage, bis wir eine Regierung haben.“Diese werde sich auch auf Abgeordnete der anderen Seite stützen – „vier bis sechs Knesset-Mitglieder, die wissen, dass es nur eine Regierung unter Führung des Likud und des Ministerpräsidenten geben kann“.
Auch eine große Koalition mit Gantz ist denkbar, obwohl der dies wegen der Korruptionsanklage gegen Netanjahu abgelehnt hatte. Netanjahus ultrarechter Rivale Avigdor Lieberman machte deutlich, er werde sich keiner Regierung unter Führung Netanjahus mit den strengreligiösen Parteien anschließen. Seine Partei Israel Beitenu (Unser Haus Israel) ist wieder Zünglein an der Waage.
Der Prozess gegen Netanjahu, der am 17. März beginnen soll, könnte die Verhandlungen erschweren. „Wir haben dann einen amtierenden Regierungschef, der als Angeklagter in einem Strafverfahren vor Gericht stehen wird“, sagt Rosenthal. Netanjahus Gegner befürchten, er könnte im Falle einer Mehrheit versuchen, das Justizsystem auszuhöhlen, um einer Strafverfolgung zu entgehen.