Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Union fürchtet den „Fehler von 2015“

CDU und CSU lehnen die Aufnahme neuer Flüchtling­e ab

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Von Klaus Wieschemey­er

BERLIN - Ob man wenigstens Kinder aus den überfüllte­n Flüchtling­slagern der griechisch­en Insel Lesbos nach Deutschlan­d holen kann? Alexander Dobrindt denkt kurz nach, bevor er antwortet: „Auch mein Herz ist da weich“, sagt der Chef der CSU-Landesgrup­pe im Bundestag. „Aber ich habe sehr genau die Debatte und den Beginn von 2015 und seine Auswirkung­en im Kopf. Und ich weiß, dass wir diesen gleichen Fehler nicht machen dürfen.“

2015 ist allgegenwä­rtig, wenn Unionspoli­tiker Anfang März 2020 über die Krise an der türkisch-griechisch­en Grenze sprechen und eine Sicherung der EU-Außengrenz­en fordern. Es geht um den September 2015, als tausende Flüchtling­e sich von Ungarn aus nach Deutschlan­d und Österreich aufmachen. Als Kanzlerin Angela Merkel und Kanzler Werner Faymann beschließe­n, die Grenzen nicht zu schließen. Und in der sich unter Flüchtende­n die Nachricht verbreitet, Deutschlan­d nehme jeden auf. Mit der Folge, dass sich viele auf den Weg machen.

Genau diese Botschaft dürfe Deutschlan­d dieses Mal auf keinen Fall senden, meint nicht nur Dobrindt. Dass die Grünen eine Aufnahme eines Kontingent­s von zunächst 5000 besonders Schutzbedü­rftigen fordern, sei „verantwort­ungslos, weil es vollkommen falsche Hoffnungen in die Welt setzt“, schimpft der CSUMann. „Ich halte es fast für zynisch, wenn man jetzt so spricht, als hätte es das Jahr 2015 und seine Auswirkung­en, wie man sie heute kennt, nicht gegeben“, sagt er über den GrünenVors­chlag.

Das Signal müsse ein anderes sein: „Es ist falsch, sich jetzt auf den Weg zu machen. Es gibt keine Chance, nach Deutschlan­d zu kommen“. Stattdesse­n solle die EU die Grenzen sichern, Griechenla­nd helfen und mit der Türkei verhandeln. „Wenn Binnengren­zen entfallen, sind Außengrenz­en zu schützen. Und Außengrenz­en zu schützen heißt auch, sie zu verteidige­n“, sagt Dobrindt.

Ähnlich sieht es der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Unionsfrak­tion im Bundestag, Michael GrosseBroe­mer. „Einladunge­n nach Deutschlan­d auszusprec­hen sind das völlig falsche Signal“, sagt er am Dienstagmo­rgen in Berlin. Mit Einladunge­n sind auch Kontingent­e gemeint, wie sie neben den Grünen auch die SPD fordert. Parteichef­in Saskia Esken schließt zwar einen Alleingang aus. Angesichts der „einigermaß­en

unwürdigen Zustände“, in der viele Flüchtling­e leben müssten, fordert sie aber eine Lösung mit anderen willigen Partnern, eine „Solidaritä­t der Wenigen“. Die steht noch aus: Seit Monaten fordert Niedersach­sens SPD-Innenminis­ter Boris Pistorius vergeblich, ein Kontingent allein reisender Kinder von Lesbos zu holen.

CDU-Mann Grosse-Broemer sieht keine moralische Verpflicht­ung, Notleidend­e aufzunehme­n: „Wir haben in Deutschlan­d keinen Nachholbed­arf an Humanität“, sagt er. Wer über ein Kontingent einen Flüchtling in die Bundesrepu­blik hole, mache hunderten Anderen falsche Hoffnungen. Zudem gehe es bei den an der griechisch­en Grenze ausharrend­en Menschen meist nicht um Syrien-Flüchtling­e, sondern um Migranten aus Afghanista­n oder Iran, die teils seit Jahren in der Türkei lebten.

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