Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Wenn Kinder den Eltern die Leviten lesen
Familien sollten über Umweltthemen diskutieren, ohne sich zu streiten
Von Claudia Wittke-Gaida
GFÜRTH/FRANKFURT (dpa) - Egal ob Urlaub in der Ferne, das dicke Auto, Fleischkonsum oder Plastikboxen – wenn Kinder ihre Eltern an den Umweltpranger stellen, ist der Familienfrieden dahin. Wie kann man ihn retten?
Wandern zwei Avocados in den Einkaufswagen, zischt die TeenieTochter die Mutter an: „Du weißt schon, dass dafür 1000 Liter Wasser draufgegangen sind?“Beim Griff zur Sushi-Box tönt es: „Das ist doch nicht etwa Plastik?“Und schwupps hat Mama mit der Fischpackung auch noch schwere Schuld an der Verschmutzung der Weltmeere auf sich geladen. Noch bevor die Einkäufe im Auto verstaut sind, steht für die Jugendliche wieder einmal fest: „Du zerstörst meine Zukunft!“
Das sind Szenen, die vielen Eltern inzwischen vertraut sein dürften. Mit drastischen Vorwürfen stehen sie am Umweltpranger. Oft reichen schon kleinere Anlässe, als einen dicken SUV zu fahren. Da ist es bereits zu viel, die Wohnung wohlig warm zu heizen oder Fleisch zu essen.
Ulric Ritzer-Sachs von der Onlineberatung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung rät Eltern, den Kindern erst mal Anerkennung dafür zu zollen, dass sie sich mit Umweltthemen beschäftigen. Er kann sich zudem vorstellen, einen Familienplan aufzustellen. Was kann jeder im Kleinen leisten? Was lässt sich im Haushalt ändern? Statt Plastikflaschen zu kaufen, könnte man etwa einen Wassersprudler anschaffen.
Aber einen geplanten oder gar gebuchten Urlaub müsse man nicht aufgrund von Protesten des Kindes absagen. Dann sollte man allerdings auch dazu stehen, rät der Experte. Formulieren könne man es so: „Ja, mein Kind, du hast recht. Ökologisch ist das nicht vernünftig, aber diesmal ist mir die Erholung wichtiger. Ich brauche dringend Urlaub und der wird gemacht.“Man könne ja anbieten, dass der nächste Familienurlaub mit dem Fahrrad gemacht werde. Die Ermahnungen der Kinder haben allerdings Grenzen, findet RitzerSachs und stellt klar: „Was gar nicht geht, sind wüste Beschimpfungen.“
An einen Krieg der Generationen beim Thema Umwelt glaubt TV-Moderatorin und Schriftstellerin Susanne Fröhlich nicht. Aber sie findet es gut, wenn die Kinder immer mal wieder fragen: Muss das sein? „Solche Gespräche regen schon zum Nachdenken an. Und das ist doch schon was“, sagt die Autorin, die mit ihrer Familie nahe Frankfurt am Main lebt.
Als Folge eines dieser Gespräche drehte Fröhlich am Heizungsrädchen. Und zwar um drei, vier Grad nach unten. Doch dicker Pulli und Socken halfen auch nicht weiter, als sie für ihr aktuelles Buch „Weltretten für Anfänger“auf mehreren Portalen ihren ökologischen Fußabdruck ausrechnen ließ. „Mit einem katastrophalen Ergebnis“, gesteht sie.
Obwohl sie seit vier Jahren kein Fleisch mehr esse und penibel auf Mülltrennung und Plastikvermeidung achte, hätten Flug- und Autokilometer ihren Fußabdruck regelrecht versaut. „Ich wohne auf dem Land und bin auf das Auto angewiesen“, sagt Fröhlich. Und Carsharing-Wagen stünden dort kaum zur Verfügung.
Mahne ein Kind immer wieder, dass die Eltern ein zu dickes Auto fahren, könne man ihm empfehlen, schon mal den Busfahrplan herauszusuchen – um zum Kampfsporttraining oder in den Lieblingsclub zu kommen.
Eine gewisse Schlagfertigkeit bringe Eltern weiter. „Man muss nicht gleich Veganerin werden, nur weil die Tochter eine vegane Phase hat“, findet Fröhlich. Sie hält es für legitim, einen Kompromiss vorzuschlagen: „Okay, ab sofort gibt es zweimal die Woche Veganes. Du kochst und du machst uns deine Welt schmackhaft.“Mit einem solchen Vorschlag sei die Sache dann in vielen Fällen im wahrsten Sinne des Wortes gegessen.
Verlag Gräfe und Unzer, 208 Seiten, 17,99 Euro.