Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Es stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, eine Umkehrisolation zu machen.“
Rainer Röver glaubt an hohe Dunkelziffer und rät zur Umkehrisolation – 14 offene Verdachtsfälle im Kreis
Allgemeinmediziner Dr. Rainer Röver über die geeignete Strategie zur Bekämpfung des Corona-Virus.
GFRIEDRICHSHAFEN - Drei weitere begründete Verdachtsfälle auf Corona-Virus hat das Gesundheitsamt des Bodenseekreises am Dienstag vermeldet. Von den zwölf Fällen vom Montag gibt es laut der Behörde erst ein Laborergebnis, es war negativ. In den Arztpraxen im Kreis ist das medizinische Personal derweil stark gefordert. Der Allgemeinmediziner Dr. Rainer Röver aus Überlingen stellt im Gespräch mit der SZ den hohen Aufwand, der angesichts einer seiner Meinung nach grippeartigen Erkrankung betrieben wird, infrage. Die Ausstattung mit Schutzkleidung reiche ohnehin nur noch diese Woche.
„Wir haben jetzt noch 14 Fälle offen“, sagt Robert Schwarz, der Sprecher des Landratsamts. Mit den drei neuen Fällen gebe es somit keinen wesentlichen Anstieg mehr. Stand Dienstagnachmittag macht das Gesundheitsamt auch noch keine Empfehlung, was die Durchführung von Großveranstaltungen, wie etwa der IBO angeht. „Aber wir bewerten die weitere Entwicklung zusammen mit der Stadt“, sagt Schwarz. Letztlich müsse die Ortspolizeibehörde entscheiden oder gegebenenfalls der Veranstalter selbst.
„Die Belastung entsteht durch die Maßnahmen, die wir ergreifen müssen, nicht unbedingt durch das Virus selbst“, sagt der Überlinger Arzt Rainer Röver, der sich am Montagabend auch mit einem Facebook-Post zu Wort gemeldet hat. Man habe momentan ohnehin eine Grippewelle, wie immer nach der Fasnet. Während der Erkältungswelle jetzt noch die Corona-Maßnahmen ergreifen zu müssen, bedeute eine starke Belastung. Allein am Montag hat er rund 60
Patienten nur mit Atemwegsinfektionen behandelt, sagt Röver, darunter waren drei begründete Corona-Verdachtsfälle.
Alle Patienten mit Atemwegserkrankungen müssen in einem speziellen Wartezimmer untergebracht werden. Wenn sie denn überhaupt in die Praxis kommen, vieles versuchen die Ärzte derzeit telefonisch abzuklären. Wenn sie da sind, bekommen sie laut Röver einen Mundschutz und werden in einem separaten Sprechzimmer behandelt. Auch das medizinische
Personal muss mit Mundschutz, Schutzbrille und spezieller Kleidung arbeiten, falls es sich um einen begründeten Corona-Verdachtsfall handelt. Die Ausstattung mit Mundschutz und Kittel reiche in seiner Praxis höchstens noch bis Ende dieser Woche, sagt Röver. Man habe bei den Lieferanten bereits Material angefordert und im Internet recherchiert, aber momentan habe man keine Chance, etwas zu bekommen. Desinfektionsmittel hat Röver noch auf Vorrat.
Röver fragt sich, ob „dieser Aufwand wirklich gerechtfertigt ist, wenn man bedenkt, dass es sich hier um eine Erkrankung handelt, die letzten Endes mit der Grippe vergleichbar ist“, sagt er - „eine Erkrankung mit zigtausend Fällen allein in Deutschland und zwar jedes Jahr.“Röver stellt infrage, ob die Strategie der Infektionskettenunterbrechung haltbar ist. Der Arzt glaubt, dass es bereits eine sehr hohe Dunkelziffer an Infizierten in der Bevölkerung gibt. Das CoronaVirus werde ohnehin mit der Zeit durchschlagen. „Es stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, eine Umkehrisolation zu machen.“Man solle also die Patienten, für die das Virus ein Problem darstellt, also etwa chronisch Kranke oder solche mit HerzKreislaufund Atemwegserkrankungen, durch Schutzmaßnahmen isolieren. „Das ist langfristig der praktikablere Weg“. Das Problem sei eben, dass Risikopatienten gegen Corona noch nicht geimpft werden könnten.
„Die Patienten sollen, wenn sie sich krank fühlen, zu Hause bleiben“, empfiehlt Röver. Arbeitgeber verlangten teilweise gar keine Krankmeldung mehr. Ansonsten sollen sie sich telefonisch melden bei den Ärzten. Tests seien nur sinnvoll, wenn man aus einem Risikogebiet komme oder Kontakt mit einem Corona-Patienten gehabt habe. „Was mich aber besonders nachdenklich macht, ist wie schnell und konsequent wir Industrienationen reagieren können, wenn es um unsere eigenen Erkältungskrankheiten geht“, sagt Röver, „während anderswo auf der Welt weiterhin Menschen verhungern, an Malaria oder AIDS sterben.“Dabei gehe es um viel wichtigere Dinge, von denen mehr Leute betroffen seien.