Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Es stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, eine Umkehrisol­ation zu machen.“

Rainer Röver glaubt an hohe Dunkelziff­er und rät zur Umkehrisol­ation – 14 offene Verdachtsf­älle im Kreis

- Von Alexander Tutschner

Allgemeinm­ediziner Dr. Rainer Röver über die geeignete Strategie zur Bekämpfung des Corona-Virus.

GFRIEDRICH­SHAFEN - Drei weitere begründete Verdachtsf­älle auf Corona-Virus hat das Gesundheit­samt des Bodenseekr­eises am Dienstag vermeldet. Von den zwölf Fällen vom Montag gibt es laut der Behörde erst ein Laborergeb­nis, es war negativ. In den Arztpraxen im Kreis ist das medizinisc­he Personal derweil stark gefordert. Der Allgemeinm­ediziner Dr. Rainer Röver aus Überlingen stellt im Gespräch mit der SZ den hohen Aufwand, der angesichts einer seiner Meinung nach grippearti­gen Erkrankung betrieben wird, infrage. Die Ausstattun­g mit Schutzklei­dung reiche ohnehin nur noch diese Woche.

„Wir haben jetzt noch 14 Fälle offen“, sagt Robert Schwarz, der Sprecher des Landratsam­ts. Mit den drei neuen Fällen gebe es somit keinen wesentlich­en Anstieg mehr. Stand Dienstagna­chmittag macht das Gesundheit­samt auch noch keine Empfehlung, was die Durchführu­ng von Großverans­taltungen, wie etwa der IBO angeht. „Aber wir bewerten die weitere Entwicklun­g zusammen mit der Stadt“, sagt Schwarz. Letztlich müsse die Ortspolize­ibehörde entscheide­n oder gegebenenf­alls der Veranstalt­er selbst.

„Die Belastung entsteht durch die Maßnahmen, die wir ergreifen müssen, nicht unbedingt durch das Virus selbst“, sagt der Überlinger Arzt Rainer Röver, der sich am Montagaben­d auch mit einem Facebook-Post zu Wort gemeldet hat. Man habe momentan ohnehin eine Grippewell­e, wie immer nach der Fasnet. Während der Erkältungs­welle jetzt noch die Corona-Maßnahmen ergreifen zu müssen, bedeute eine starke Belastung. Allein am Montag hat er rund 60

Patienten nur mit Atemwegsin­fektionen behandelt, sagt Röver, darunter waren drei begründete Corona-Verdachtsf­älle.

Alle Patienten mit Atemwegser­krankungen müssen in einem speziellen Wartezimme­r untergebra­cht werden. Wenn sie denn überhaupt in die Praxis kommen, vieles versuchen die Ärzte derzeit telefonisc­h abzuklären. Wenn sie da sind, bekommen sie laut Röver einen Mundschutz und werden in einem separaten Sprechzimm­er behandelt. Auch das medizinisc­he

Personal muss mit Mundschutz, Schutzbril­le und spezieller Kleidung arbeiten, falls es sich um einen begründete­n Corona-Verdachtsf­all handelt. Die Ausstattun­g mit Mundschutz und Kittel reiche in seiner Praxis höchstens noch bis Ende dieser Woche, sagt Röver. Man habe bei den Lieferante­n bereits Material angeforder­t und im Internet recherchie­rt, aber momentan habe man keine Chance, etwas zu bekommen. Desinfekti­onsmittel hat Röver noch auf Vorrat.

Röver fragt sich, ob „dieser Aufwand wirklich gerechtfer­tigt ist, wenn man bedenkt, dass es sich hier um eine Erkrankung handelt, die letzten Endes mit der Grippe vergleichb­ar ist“, sagt er - „eine Erkrankung mit zigtausend Fällen allein in Deutschlan­d und zwar jedes Jahr.“Röver stellt infrage, ob die Strategie der Infektions­kettenunte­rbrechung haltbar ist. Der Arzt glaubt, dass es bereits eine sehr hohe Dunkelziff­er an Infizierte­n in der Bevölkerun­g gibt. Das CoronaViru­s werde ohnehin mit der Zeit durchschla­gen. „Es stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, eine Umkehrisol­ation zu machen.“Man solle also die Patienten, für die das Virus ein Problem darstellt, also etwa chronisch Kranke oder solche mit HerzKreisl­aufund Atemwegser­krankungen, durch Schutzmaßn­ahmen isolieren. „Das ist langfristi­g der praktikabl­ere Weg“. Das Problem sei eben, dass Risikopati­enten gegen Corona noch nicht geimpft werden könnten.

„Die Patienten sollen, wenn sie sich krank fühlen, zu Hause bleiben“, empfiehlt Röver. Arbeitgebe­r verlangten teilweise gar keine Krankmeldu­ng mehr. Ansonsten sollen sie sich telefonisc­h melden bei den Ärzten. Tests seien nur sinnvoll, wenn man aus einem Risikogebi­et komme oder Kontakt mit einem Corona-Patienten gehabt habe. „Was mich aber besonders nachdenkli­ch macht, ist wie schnell und konsequent wir Industrien­ationen reagieren können, wenn es um unsere eigenen Erkältungs­krankheite­n geht“, sagt Röver, „während anderswo auf der Welt weiterhin Menschen verhungern, an Malaria oder AIDS sterben.“Dabei gehe es um viel wichtigere Dinge, von denen mehr Leute betroffen seien.

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FOTO: IMAGO 14 offene Verdachtsf­älle auf eine Coronaviru­s-Erkrankung gibt es Stand Dienstagna­chmittag im Bodenseekr­eis.

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