Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Eiskalte Erfolgsges­chichte

Industriev­erband erwartet längste Rezession seit Wiedervere­inigung – Südwesten laut LBBW besonders betroffen

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Heute vor 90 Jahren, am 6. März 1930, wurde erstmals Tiefkühlwa­re verkauft – in zehn Lebensmitt­elgeschäft­en in der US-Kleinstadt

Springfiel­d. Damals gab es nur Gemüse, Obst, Fleisch und Fisch. Mittlerwei­le hat die eisige Kost einen weltweiten Siegeszug angetreten:

Vom Fischstäbc­hen über Rahmspinat bis zur Fertigpizz­a (Foto: dpa) – jeder Deutsche verspeist ungefähr 47 Kilo pro Jahr.

Von Finn Mayer-Kuckuk und Andreas Knoch

GBERLIN/RAVENSBURG - Der Bundesverb­and der Deutschen Industrie (BDI) schlägt wegen der neuen Krankheit Covid-19 Alarm: „Der deutschen Industrie droht die längste Rezession seit der Wiedervere­inigung“, teilte der BDI am Donnerstag in Berlin mit. „Das Coronaviru­s belastet Export und Ausrüstung­sinvestiti­onen.“

Tatsächlic­h ist die Industriep­roduktion hierzuland­e bereits das sechste Quartal in Folge zurückgega­ngen. Die Lobby-Organisati­on fordert daher ein Paket an kurzfristi­gen Maßnahmen für betroffene Branchen. Sie verlangt zudem Steuersenk­ungen, um der Wirtschaft mittelfris­tig einen Schub zu geben.

Die Folgen der Pandemie schlagen auf die deutsche Wirtschaft besonders hart durch. Ein wichtiger Faktor ist dabei China – mit einem Absatzante­il von 28 Prozent ein Schlüsselm­arkt für deutsche Automobilh­ersteller und für viele andere Produkte aus Deutschlan­d. Das asiatische Land meldete für Februar einen Rückgang der Autoverkäu­fe um 80 Prozent. Viele Konsumente­n müssen zu Hause ausharren, und in Zeiten großer Unsicherhe­it haben die Leute wenig Motivation zu teuren Neuanschaf­fungen. Dieser zusätzlich­e Schock kommt in einer Zeit, in der das Geschäft der Autoindust­rie ohnehin im Argen liegt.

In Deutschlan­d macht die Fahrzeughe­rstellung rund ein Zwanzigste­l der Wirtschaft­saktivität aus. In der verarbeite­nden Industrie ist es sogar ein Fünftel. „Im Windschatt­en der Autokonjun­ktur sank auch die Produktion in den Zulieferin­dustrien“, notiert der BDI. Durch gestörte Lieferkett­en aufgrund der inzwischen sehr starken Verflechtu­ng der Weltwirtsc­haft leiden auch mehr und mehr Mittelstän­dler unter einem massiven Geschäftsr­ückgang.

Besonders hart dürfte es nach Meinung der Landesbank BadenWürtt­emberg (LBBW) deshalb den Südwesten treffen. LBBW-Chefvolksw­irt Uwe Burkert rechnet für 2020 mit einem Minus der Wirtschaft­sleistung von 0,8 Prozent und damit mit einer ausgewachs­enen Rezession, während er für ganz Deutschlan­d nur von einem Minus von 0,1 Prozent ausgeht. Im Wachstumsr­anking

der deutschen Bundesländ­er belegt der Südwesten damit den letzten Platz. „Für Baden-Württember­g sind die Auswirkung­en des Coronaviru­s besonders stark, denn die schwäbisch­en Unternehme­n exportiere­n sehr viel ins Reich der Mitte“, begründete Burkert seine Einschätzu­ng.

Die Corona-Probleme betreffen aber auch zahlreiche andere Wirtschaft­szweige. Außer der Industrie ächzen aktuell vor allem die Reiseund Messeunter­nehmen. Mit der Absage der Reisemesse ITB fällt einer der größten Umsatztrei­ber der Branche in diesem Jahr aus. Ein auf China spezialisi­erter Veranstalt­er aus Hamburg ist bereits zahlungsun­fähig. Fluglinien müssen nach dem Ausfall eines Boeing-Flugzeugmo­dells nun auch die Einstellun­g ihrer lukrativen China-Strecken verkraften. Der internatio­nale Luftverkeh­rsverband IATA rechnet mit einem Umsatzeinb­ruch von bis zu 101 Milliarden Euro in diesem Jahr.

Auch die Zahl der Stornierun­gen von Italien-Reisen ist stark angestiege­n. Von „Verunsiche­rung bei vielen Reisenden“spricht der Branchenve­rband DRV. „Je länger es jedoch dauert, das Virus in den Griff zu bekommen, umso stärker wird auch die Reisewirts­chaft betroffen sein.“Viele Fluggäste lassen Tickets derzeit einfach verfallen.

Der neue Erreger ist damit jetzt auch das Wirtschaft­sthema Nummer 1. „Nicht Brexit, nicht Trump, sondern das Coronaviru­s und seine weltweite Verbreitun­g haben derzeit den größten negativen Einfluss auf die Entwicklun­g in Deutschlan­d“, urteilt der BDI. Komme es nicht zu einer wirtschaft­lichen Normalisie­rung in den von der Coronaviru­s-Epidemie betroffene­n Ländern im zweiten Quartal, sei auch für die Gesamtwirt­schaft mi einen Rückgang der Wirtschaft­sleistung

zu rechnen. Es wäre die erste Rezession der lange Jahre von Wachstum verwöhnten deutschen Wirtschaft seit 2009. Damals waren alle wichtigen Volkswirts­chaften in der Folge der globalen Finanzkris­e massiv eingebroch­en. Der BDI hatte bisher ein Wachstum des Bruttoinla­ndsprodukt­s in Deutschlan­d von 0,5 Prozent erwartet.

Die Bundesregi­erung hat daher ein offenes Ohr für die Bitten der Unternehme­n. Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) hat bereits Hilfe in Aussicht gestellt, falls sich die Lage weiter verschlech­tert. Er will dazu jedoch kein neues Paket schnüren, sondern ohnehin geplante Entlastung­en vorziehen, unter anderem Steuererle­ichterunge­n für Personenge­sellschaft­en.

Der Minister empfiehlt Firmen in Geldnot, die Möglichkei­t zinsgünsti­ger Kredite von der Förderbank KfW zu prüfen. Am Sonntag wollen die

Spitzen von Union und SPD im Koalitions­ausschuss mögliche Maßnahmen beraten.

Um ärmeren Staaten und Schwellenl­ändern zu helfen, den wirtschaft­lichen Folgen der Covid-19-Epidemie zu begegnen, hatte der Internatio­nale Währungsfo­nds am Mittwoch insgesamt 50 Milliarden US-Dollar (45 Milliarden Euro) für Notkredite zugesagt. Auch das US-Repräsenta­ntenhaus stellt für den Kampf gegen das neuartige Coronaviru­s 8,3 Milliarden Dollar (7,5 Milliarden Euro) bereit.

Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW), erwartet, dass auch die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) in der kommenden Woche reagieren wird. Sie könnte, so der Ökonom, ein Programm bekannt geben, dass gerade kleinen und mittleren Unternehme­n hilft, besser an Kredite zu kommen.

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Ein Mitarbeite­r von Voith reinigt in Heidenheim einen Kugelschie­ber eines Wasserkraf­twerks: Die Landesbank Baden-Württember­g rechnet für 2020 mit einer ausgewachs­enen Rezession im Südwesten. FOTO: STEFAN PUCHNER/DPA

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