Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Wieder eine Chance verpasst
Die Opfer des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche fühlen sich weiterhin nicht ernst genommen. Sie beklagen, immer noch als Bittsteller behandelt zu werden. Nach zehn Jahren und zwei Monaten haben die deutschen katholischen Bischöfe es nicht geschafft, die durch 1670 Kleriker missbrauchten 3677 Kinder und Jugendlichen als Menschen wahrzunehmen, denen unendliches, ihr ganzes Leben prägendes Leid widerfahren ist. Und auch bei ihrer Vollversammlung in Mainz wollten die Oberhirten das E-Wort nicht aussprechen: Entschädigungen soll es nicht geben, sondern nur Schmerzensgeld als Anerkennung des Leids.
Freilich sind die Bischöfe mit den am Donnerstag veröffentlichten Leitsätzen für ihre Verhältnisse schon weit gegangen, bisher waren 5000 Euro gezahlt worden. Ein unabhängiges Gremium soll jetzt Zahlungen bis zu 50 000 Euro und im Einzelfall auch mehr festlegen, man verzichtet auf den konkreten Nachweis der Einzeltaten. Auch orientieren sich die Bischöfe mit der Höhe der Geldleistungen am Niveau gerichtlicher Schmerzensgeldentscheidungen.
Doch die Missbrauchsopfer fordern zu Recht, dass die Kirche sich zu ihrer vollen Verantwortung bekennt und Entschädigungen für entstandenen seelischen und materiellen Schaden gezahlt werden. Viele berufliche und private Biografien haben Schaden genommen. Die Institution Kirche sollte sich hierzu bekennen. Auf dieser Grundlage hatte eine Kommission im Herbst vergangenen Jahres Summen von bis zu 400 000 Euro pro Opfer zur Diskussion gestellt.
Die Bischöfe hätten in Mainz die Chance gehabt, für entstandenen Schaden einzustehen, im Dialog mit den Opfern einen Kompromiss zu finden, Glaubwürdigkeit wiederherzustellen und der Öffentlichkeit zu signalisieren, dass sie den eigenen Ansprüchen an den Umgang mit Schuld und Sühne gerecht werden wollen. Nun aber geht die für die Kirche schädliche und die Opfer unerträgliche Diskussion weiter bis zum nächsten kleinen Schritt.