Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Lüge, Liebe und Ekel auf der Bühne
Theaterfreunde erleben Tennessee Williams „Die Katze auf dem heißen Blechdach“
Von Gudrun Schäfer-Burmeister
GFRIEDRICHSHAFEN - Die halbrund gebogene Fensterfront einer mondänen Villa mit Seezugang füllt die Bühne im Graf-Zeppelin-Haus. Hinter den Scheiben ein großzügiges Wohnzimmer, im Vordergrund eine Terrasse, begrenzt von einem Schilfgürtel im Orchestergraben, über den ein Badesteg führt.
Am linken Bühnenrand sitzt ein unglücklich wirkender, zerzauster Typ im Unterhemd, angelehnt an eine Ziegelwand, ein Bein geschient, in der einen Hand ein halbvolles Whiskyglas, den Kopf in die andere gestützt. Joachim Hamster Damm, vom Hans-Otto-Theater aus Potsdam, hat das Bühnenbild für das Gastspiel in Friedrichshafen als gläserne Drehbühne gestaltet, sodass je nach Szene der Zuschauerblick entweder auf die Terrasse gerichtet oder in das häusliche Geschehen gelenkt wird. Die großen Scheiben erlauben permanente Durchsicht, nichts bleibt verborgen. Eine weit geschwungene Treppe verbindet das Wohnzimmer mit einer begehbaren Empore, die die Form des Halbrondells aufnimmt.
Regisseurin Steffi Kühnert hat die Handlung des Fünfzigerjahre-Familiendramas von Tennessee Williams aus den Südstaaten der USA und die Texte in der deutschen Übersetzung von Jörn van Dyck von 1986 unverändert gelassen. „Big Daddy“(großartig stur und eigenwillig: Jörg Dathe), der Patriarch und millionenschwere Plantagenbesitzer ist todkrank, was alle Familienmitglieder außer ihm und seiner Frau „Big Mama“(zwischen Hoffnung und Verzweiflung: Bettina Riebesel) wissen.
Sein 65. Geburtstag soll gefeiert werden, der ungeliebte Sohn Gooper (beflissen, solide: Jan Hallmann), und seine Ehefrau Mae (herrlich intrigant ihre Interessen vertretend: Elzemarieke de Vos) sind mit ihrer großen, nervigen Kinderschar anwesend. Ebenso der vergötterte jüngere Sohn Brick (resigniert, jungenhaft: Hannes Schumacher) und dessen
Frau Maggie (kraftvoll, dynamisch: Nadine Nollau), die unter ihrer Kinderlosigkeit leidet. Weitere Gäste sind Doktor Baugh (David Hörning) und Reverend Tooker (Jon-Kaare Koppe). Am Geburtstag soll dem Jubilar die Wahrheit über seinen Gesundheitszustand gesagt werden, dass sein gesamter Körper vom Krebs zerfressen ist und er sehr bald sterben wird. Big Daddy selbst glaubt an die Lüge, er habe nur Dickdarmkrämpfe.
Er möchte sich mit seinem alkoholkranken Sohn Brick aussprechen, der mit dem Saufen aufhören und seiner Frau ein Kind machen soll. Brick ist der Typ, der zu Beginn an der Ziegelmauer sitzt. Betrunken hat er sich beim nächtlichen Hürdenlauf auf dem Sportgelände den Knöchel gebrochen. Drink um Drink wartet er auf den Klick, um nichts mehr zu spüren. Er will weder sich selbst noch seiner Frau oder seinem Vater eingestehen, dass er sich schuldig am Suizid seines Freundes Skipper fühlt.
Obwohl alle wissen, dass er diesen Freund geliebt hat, weigert er sich, seine Homosexualität zu erkennen. Er hasst Maggie, würde sie am liebsten umbringen. Diese jedoch hält an ihrer Liebe zu Brick fest, denn sie weiß, dass nur ein Kind ihr einen materiell sicheren Platz in der Familie schaffen wird, in der es bald viel zu erben gibt, wonach bereits Mae für ihre Nachkommen giert. Big Daddy wiederum ist ein ordinärer alter
Sack, der lediglich zu Brick Zuneigung empfindet. Um Wahrheit, Lüge, Liebe, Ekel, Heuchelei, Habsucht, Gier und Neid kreist die feine psychologische Studie über den Zerfall einer von Selbsttäuschung durchdrungenen Familie.
Die Katze auf dem heißen Blechdach ist Maggie. Das amerikanische Sprichwort besagt, dass eine Katze erst dann springt, wenn die Hitze übergroß wird, dass sie dies aber dann mit größter Entschlossenheit und Krallen zeigend macht. Maggies Sprung aus der existenziellen Gefahrenzone ist die Lüge, von Brick schwanger zu sein. Und sie wird dafür sorgen, dass diese Lüge zur Wahrheit wird. Gleich in der nächsten Nacht.