Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Diabetiker müssen intensiv auf ihre Mundhygiene achten
Pflegetipps für Zuckerkranke – Wie Kontrollen beim Arzt und die richtige Pflege Zähne und Organismus gesund halten
Von Kathrin Schwarze-Reiter
ZGwei Mal täglich zwei bis drei Minuten Zähne putzen – dieses Mantra kennt jedes Kind. Noch eindringlicher sollten es sich Diabetiker vorbeten. Denn ihre Zähne sind gefährdeter als die von Stoffwechselgesunden.
Erhöhte Blutzuckerwerte und Insulinmangel beeinträchtigen die Gesundheit des Mundraums: „Der Diabetes schädigt die kleinen Gefäße im Zahnfleisch, daher haben die Betroffenen häufiger mit Zahnfleischentzündungen, Wundheilungsstörungen und sogar Zahnverlust zu kämpfen“, erklärt Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer. „Der vermehrte Zucker im Speichel greift zudem die Zähne an, Bakterien werden durch die schwelenden Entzündungsprozesse im Körper nicht so leicht abgewehrt wie bei Nicht-Diabetikern.“Karies, Parodontitis, Irritationen der Mundwinkel und der Schleimhäute sind nur einige der Auswirkungen. Zahnprobleme werden durch den Diabetes befeuert. Umgekehrt lässt sich auch ein Diabetes mit unbehandelten Zahnbetterkrankungen schwerer behandeln.
Die Erkrankungen bedingen sich laut Zahnarzt Oesterreich also gegenseitig: Je schlechter der Diabetes eines Patienten eingestellt ist, desto schwerwiegender verläuft die Parodontitis-Erkrankung.
Eigentlich wäre es so leicht: Eine regelmäßige und gründliche Zahnpflege könnte viele Erkrankungen verhindern. Doch die meisten schrubben falsch, zu selten oder zu kurz. Nur 46 Sekunden verwenden die Deutschen im Schnitt zum Reinigen der Zähne – viel zu wenig. Lediglich 14 Prozent benutzen Zahnseide. Fatal, denn die Plaque, also der Zahnbelag aus Bakterien, bildet sich immer wieder neu, besonders nach einer ungenügenden Reinigung.
Nach 24 Stunden hat sie den Zahn bedeckt. Lässt man die Bakterien gewähren, bilden sich Toxine und verstärken ihr zerstörerisches Werk. Die Parodontitis (landläufig auch Parodontose genannt) ist im Vormarsch. Die Hälfte der Deutschen über 35 leidet an dieser Schädigung des Zahnhalteapparats, die im schlimmsten Fall zum Zahnverlust führt. Diabetiker haben sogar ein dreifach erhöhtes Risiko.
Die Parodontitis ist eine Volkskrankheit mit bedrohlichen Folgen. Sie ist weltweit eine der häufigsten Infektionskrankheiten in den Industrieländern. Meist bemerken Patienten sie erst, wenn der Zahnhalteapparat stark angegriffen ist. Erster Hinweis auf eine Parodontitis ist Zahnfleischbluten.
Spätestens jetzt sollte man zum Zahnarzt gehen. Weitere Alarmzeichen: Das Zahnfleisch ist an einigen Stellen zurückgegangen, der Zahnfleischrand eher rötlich als rosa. Im fortgeschrittenen Stadium fühlen sich die Zähne etwas locker an oder verändern sogar ihre Position. Mitunter tritt gelbliche, eiterähnliche Flüssigkeit am Zahnfleischsaum aus, wenn das Zahnfleisch massiert wird.
Der Zahnfleischabbau beginnt schleichend. Zunächst bilden sich Zahnbeläge durch mangelnde Mundhygiene – eine genetische Neigung zu schnelleren Anhaftungen an Zähnen kann dies noch verstärken. Auf den Belägen vermehren sich Bakterien aus Speichel und Nahrungsresten und bilden einen Biofilm, der sich vom Zahnfleischrand entlang der Zahnwurzeloberfläche ausbreitet. „Die Bakterien scheiden Säuren und Gifte aus, das Zahnfleisch entzündet sich“, erklärt Oesterreich. „Löst sich dieses von der Zahnoberfläche, entsteht eine Zahnfleischtasche. Nun haben die Bakterien freie Bahn. Sie bauen den Zahn tragenden Faserapparat und den umgebenden Knochen ab.“
Das Fatale: Weil die Bakterien durch den gesamten Körper wandern, können sie schlimme Schäden anrichten. Die Keime bilden Giftstoffe, die das Immunsystem bekämpfen will. Daher schüttet der Körper Fresszellen und entzündungshemmende Botenstoffe aus – eine Infektion entsteht. Diese kann etwa in Blutgefäßen oder Gelenken auftreten. Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder einen Schlaganfall steigt.
Regelmäßige Kontrollen beim Zahnarzt und vorbeugende Behandlungen wie die professionelle Zahnreinigung können den Teufelskreis stoppen.
Allerdings müssen Patienten diese Therapie zu großen Teilen selbst bezahlen. Wie weit die Entzündung fortgeschritten ist, verrät der prodontale Screening Index (PSI). „Mit einer speziellen Sonde misst der Zahnarzt am Zahnfleischrand die Taschentiefen und registriert Blutungen sowie vorhandene Anlagerungen“, so Oesterreich. „Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen diesen Test alle zwei Jahre.“Ist die Zahnfleischtasche weniger als 3,5 Millimeter tief, besteht noch kein Grund zur Sorge.
Alles, was tiefer geht, muss behandelt werden.
Haben sich schon größere Zahnfleischtaschen gebildet, hilft mitunter nur ein chirurgischer Eingriff, bei dem das entzündete Gewebe entfernt wird. „Meist regeneriert sich das Zahnfleisch selbst, wenn Patienten regelmäßig zur professionellen Zahnreinigung gehen“, sagt Oesterreich.
Die Parodontitis-Vorsorge beginnt mit einer gründlichen Reinigung der Zähne und den richtigen Hilfsmitteln. Mindestens zwei Mal am Tag sollten Diabetiker für drei Minuten Zähneputzen. „66 Prozent der Deutschen reinigen ihre Zähne mit der Handzahnbürste“, sagt Oesterreich. „Kein Problem, wenn man alles richtig macht.“Häufig wird aber zu kurz geputzt und zu kraftvoll aufgedrückt.
Mehr als 200 Gramm Druck sollten nicht entstehen. Bei empfindlichen Zähnen, Parodontose und bereits geschädigten Gefäßen – wie bei Diabetikern oft der Fall – dürfen nur 100 bis 150 Gramm walten.
Wer mehr Kraft einsetzt, schrubbt die Schmelzschicht an den Zahnhälsen weg oder schädigt sein Zahnfleisch. Einige elektrische Zahnbürsten leuchten rot auf, wenn zu stark gepresst wird. „Ob Diabetiker lieber eine manuelle oder eine elektrische Bürste verwenden, darf Geschmackssache bleiben – allerdings fällt vielen älteren Menschen das gründliche und ausdauernde Putzen mit einer elektrischen Bürste leichter“, erklärt Dietmar Oesterreich. Mindestens alle drei Monate sollte die Zahnbürste gewechselt werden. Doch viele Diabetiker drücken dabei zu kraftvoll zu. Sie sollten fluoridhaltige, milde Zahnpasta verwenden, um das geschädigte Zahnfleisch nicht zusätzlich zu reizen. Die Zahnpasta sollte außerdem nicht zu viele abrasive Schmirgelstoffe enthalten.
Mundspüllösungen mit Chlorhexidin, die Bakterien abtöten, sollten nur als Kurzzeitlösung verwendet werden: „Sie reduzieren zwar Entzündungsreaktionen, sollten aber nur unter ärztlicher Kontrolle verwendet werden und sind keine Dauerlösung“, sagt Oesterreich.
Zahnseide und Interdentalbürstchen hingegen müssen dagegen täglich zum Einsatz kommen, um den Bakterienteppich erst gar nicht wachsen zu lassen. So gibt man den Zähnen lange Halt.