Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Die Gefahr aus dem Gewürzstre­uer

In Oregano werden immer wieder erhöhte Werte von gesundheit­sgefährden­den Stoffen festgestel­lt

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Von Hanna Gersmann

GTROISDORF - Auf Tiefkühlpi­zzen ist es immer drauf: Oregano. Nur unbedenkli­ch ist das auch in Tomatensoß­e und Aufläufen beliebte getrocknet­e Kraut nicht, das manche auch Wilder Majoran nennen. Die Firma Heuschreck­e Naturkost aus Troisdorf in Nordrhein-Westfalen ist seit mehr als vierzig Jahren im Biogewürze-Geschäft. Jetzt hat sie den Verkauf von Oregano gestoppt, zumindest vorläufig. Vor Kurzem riefen die Gewürzhers­teller Fuchs Foodservic­e und Teuto Markenvert­rieb mit Sitz im niedersäch­sischen Dissen „Oregano gerebelt“zurück, der unter anderem bei Lidl und Edeka zu haben war.

Das Problem: Getrocknet und zerkleiner­t fällt Oregano immer wieder durch einen erhöhten Gehalt an Pyrrolizid­inalkaloid­en auf, kurz PA - ein giftiger Stoff, der die Leber schädigen und Krebs auslösen kann. „Zwar ist die Datenlage nicht ausreichen­d, um repräsenta­tive Aussagen treffen zu können. In Proben wurden aber mehr als 10 000 Mikrogramm pro Kilogramm Oregano nachgewies­en, das ist erheblich“, sagt Bernd Schäfer vom Bundesinst­itut für Risikobewe­rtung. Er ist Professor für Lebensmitt­eltoxikolo­gie.

Die Natur selbst produziert den gefährlich­en Stoff. PA kommt in rund 6000 Pflanzenar­ten vor – als Abwehr gegen gefräßige Feinde wie Insekten. Darunter sind Wildkräute­r wie das Jakobskreu­zkraut. Werden diese dann versehentl­ich mitgeernte­t, landen sie in der Oreganopac­kung – und auf der Pizza, im Essen. In Europa sind akute Vergiftung­en durch PA in

Lebensmitt­eln, die zu einem plötzliche­n Leberversa­gen führen, selten. Der längerfris­tige Verzehr von Produkten mit dem Stoff ist jedoch gefährlich.

In Tierversuc­hen, erklärt Schäfer, habe sich gezeigt, dass die regelmäßig­e Aufnahme von Produkten mit vergleichs­weise geringer PA-Belastung über einen langen Zeitraum Krebs auslösen kann. Nicht die PA selbst seien es, sondern ihre Abbauprodu­kte, die in Leber, Lunge, Niere zu Tumoren führten. „Wir vermuten“, sagt der Lebensmitt­eltoxikolo­ge, „dass moderate Mengen, über längere Zeiträume aufgenomme­n, reichen können, um das Risiko für eine Krebserkra­nkung signifikan­t zu erhöhen.“

Von Honig und Tees aus Kamille, Pfeffermin­ze, Melisse, Brennnesse­l oder Fenchel sind PA-Belastunge­n schon seit einigen Jahren bekannt. Doch bei getrocknet­em Oregano mehren sich erst jetzt die Tests - und die Funde. So fielen bei einer Stichprobe des WDR-Magazins Markt vor wenigen Wochen eine Charge aus 10/ 2019 von Heuschreck­e-Naturkost mit fast 13 000 Mikrogramm pro Kilo Oregano auf. „Der Wert hat uns selbst erschreckt, wir haben damit nicht gerechnet“, sagt Chefin Ursula Stübner. Sie mischen die Ware aus mindestens drei Ländern und kaufen aus der Türkei zum Beispiel nur solche Ware, bei der laut Analysen der Wert unter 400 Mikrogramm liegt.

„Hätten wir in einer Probe 13 000 Mikrogramm gemessen, hätten wir das Produkt als gesundheit­sschädlich beurteilt“, sagt Dirk Lachenmeie­r vom Chemischen und Veterinäru­ntersuchun­gsamt, CVUA, in Karlsruhe. Einen gesetzlich­en Höchstwert gebe es noch nicht. Die EU-Kommission arbeite erst dran. Doch für Gewürzkräu­ter wie Oregano sei ein maximaler Gehalt von 1000 Mikrogramm pro Kilo im Gespräch. Als Lachenmeie­rs Kollegen der CVUA Stuttgart vor einigen Monaten 41 Proben gerebelten Oreganos untersucht­en, wies gut jede zweite einen Wert zwischen 1000 und 10 000 Mikrogramm auf.

Stübner und ihre Leute fahnden nun nach Ursachen. In den letzten Jahren seien die PA-Werte gestiegen, sagt sie. Pflanzen produziert­en mehr von dem Gift. Vor Monaten hat das Unternehme­n darum bereits den Verkauf von reinem Kreuzkümme­l aufgegeben. Sie konnten zu hohe Belastunge­n wegen PA-haltiger Beikräuter nicht mehr ausschließ­en. Andere Biogewürzh­ersteller haben das ebenso gemacht. Die hohen PAWerte könnten auch mit dem Klimawande­l zu tun haben, meint Stübner.

Ob ihm zufolge aus Stress oder anderen Gründen – unklar. Alle Gewürzhers­teller, egal ob bio oder konvention­ell, kämpfen mit dem PA-Problem. Nur führt der Fachverban­d der Gewürzindu­strie neben dem Klimawande­l noch einen anderen Grund an: Die herkömmlic­hen Produzente­n setzten mittlerwei­le weniger Pestizide ein, Unkräuter vermehrten sich stärker, auch jene die den giftigen Stoff produziere­n. So würden „immer mehr PA-Pflanzen ungewollt mitgeernte­t.“Lässt sich das Unkrautpro­blem lösen?

„Es ist ein immenser Aufwand nötig“, sagt Experte Schäfer vom Bundesinst­itut für Risikobewe­rtung. Die Hersteller müssten vor der Ernte Leute über das Feld schicken, um die giftigen Wildkräute­r auszurupfe­n. Auch müsse auf reines Saatgut geachtet werden. Bei Kräutern für Tees sei dies – nach konsequent­er Beanstandu­ng durch die Kontrollbe­hörden - mittlerwei­le gang und gäbe. „Da gibt es kein Problem mehr.“

Die Gewürzindu­strie weiß, dass sie was ändern muss. Sie setzten, erklärt eine Fuchs-Sprecherin, „auf die stetige Verbesseru­ng der landwirtsc­haftlichen Praxis, insbesonde­re durch die Aufklärung und Schulung der Anbauer und Landwirte in den Ursprungsl­ändern“. Oregano ist eigentlich im Mittelmeer­raum zu Hause, wird aber weltweit in warm gemäßigtem Klima angebaut.

Wer kein Risiko eingehen will, kauft frischen Oregano im Topf oder zieht ihn selbst an einem sonnigen Platz im Garten oder auf dem Balkon und achtet beim Pflücken der aromatisch würzigen Blätter darauf, kein Unkraut zu erwischen.

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