Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Beethoven ist nicht Michael Jackson“
Der Geiger Christian Tetzlaff über mediale Abstinenz und die Grenzen von Crossover in der Klassik
Christian Tetzlaff gehört seit Jahrzehnten zu den Geigern, die wirklich etwas zu sagen haben, kommt aber medial kaum vor. Über diese Diskrepanz hat Georg Rudiger mit ihm gesprochen. Und über tägliches Üben, die Veränderungen im Klassikgeschäft und das Besondere der Berliner Philharmoniker.
Mischa Maisky hat einmal gesagt, er spiele auf seinem Cello jeden Morgen eine Bach-Suite. Was machen Sie am Morgen?
Das wäre schön. Was für ein Luxusleben! Ich stehe am Morgen mit dem ältesten von den Kleinen auf und fahre ihn zur Schule. Dann bringe ich eine Stunde später mit meiner Frau zusammen die anderen beiden Kinder zur Kita. Danach stehen viele Erledigungen an. Mit Bach-Suiten hat mein Leben zu Hause nicht viel zu tun. Da bin ich Vater und Ehemann.
Stimmt es, dass Sie nur eine Stunde Geige üben am Tag?
Ja, aber höchstens. Wenn ich zu Hause bin, meistens gar nicht. Unterwegs habe ich mehr Zeit dafür.
Und was üben Sie da?
Immer das, was gerade ansteht. Ich habe jede Saison mindestens zwanzig verschiedene Violinkonzerte zu spielen.
Sie gehören zu den wichtigsten Geigern überhaupt, kommen aber medial kaum vor. Haben Sie sich das bewusst so ausgesucht?
Ich bin nicht in sozialen Netzwerken vertreten. Ich habe auch keinerlei Attribute, die mich interessant machen über das hinaus, was ich abends spiele. Mit dieser Rolle bin ich sehr zufrieden. Alles, was heutzutage um einen Klassikkünstler aufgebaut wird, halte ich für vollkommenen Quatsch. Auch der äußerliche Auftritt ist eigentlich unwichtig im Verhältnis zu dem, was wir eigentlich zu erzählen haben.
Seit rund drei Jahrzehnten bewegen Sie sich im Klassikgeschäft. Wie hat sich diese Szene Ihrer Meinung nach verändert?
Für mich als Geiger wird es immer schöner. Ich fühle mich noch freier und spiele, glaube ich, besser als früher. Auch in den Orchesterlandschaften ist viel passiert. Zu Beginn meiner Karriere standen noch Maestros wie Sergiu Celibidache, Lorin Maazel oder Kurt Masur vor den Orben. chestern. Das waren ja ganz andere, viel dominantere Dirigententypen als heute, manches Mal auch kleine Diktatoren. Heutzutage gibt es so viele wunderbare Dirigenten, die es gar nicht nötig haben, Wert auf Hierarchie zu legen. Man kann einen Dreierbund bilden aus Orchester, Dirigent und Solist. Wir arbeiten heute auf Augenhöhe zusammen.
Sehen Sie auch negative Veränderungen?
Die Vermarktung. Aber die ist nur dann ärgerlich, wenn ein Künstler sehr gepusht wird, der eigentlich musikalisch nichts zu sagen hat. Ich sehe den Interpreten als Vermittler zwischen dem Komponisten und dem Publikum. Zusammen möchten wir ein großes emotionales Ereignis erle
Wenn allein vom Äußeren her ein Solist auftritt, der so tut, als hätte er das Rad neu erfunden und sich als Heilsbringer inszeniert, dann fehlt mir dafür jedes Verständnis.
Beim Konzert mit den Berliner Philharmonikern im Rahmen der Osterfestspiele Baden-Baden spielen Sie das Violinkonzert in e-Moll von Felix Mendelssohn Bartholdy, das zu den meistgespielten Violinkonzerten überhaupt zählt. Haben Sie sich das Werk ausgesucht? Nein, da bin ich gefragt worden. Ich spiele dieses Konzert mit nicht endendem Vergnügen. Manche dieser sogenannten Schlachtrösser haben im Lauf der Interpretationsgeschichte einen Ikonenstatus erhalten, der ihnen nicht gut bekommt. Das Mendelssohn-Konzert
ist für mich ein ganz zerrissenes Stück im wilden eMoll, molto appassionato und con fuoco. Das hat mit dem Bild des Gefälligen überhaupt nichts zu tun. Das zweite Thema des Kopfsatzes ist für mich ein Gegenentwurf zu dieser aufgewühlten Welt – wie in einer Mahler-Symphonie.
Die Berliner Philharmoniker kennen Sie gut. In der Saison 2014/15 waren Sie dort Artist in Residence. Was ist für Sie das Besondere an diesem Orchester?
Neben der individuellen Klasse ihrer Mitglieder ist für mich wesentlich, dass alle im Konzert wirklich alles geben. Dienst nach Vorschrift existiert hier nicht. Das Orchester hat einen enormen Mitteilungsdrang.
Es gibt in den letzten Jahren viele Bemühungen, neue Publikumsschichten zu erreichen. Neue Konzertformate werden ausprobiert, andere Locations gewählt. Man möchte mehr Zugänglichkeit schaffen und Hemmschwellen senken. Was halten Sie davon? Davon halte ich sehr viel. Von dem Schema Ouvertüre-Konzert-Symphonie abzuweichen, wenn es dafür gute Gründe gibt, ist immer wichtig und schön. Andere Räume können auch diese Offenheit und Neugier befördern. Die Versuche, die klassische Musik mit der Popmusik gleichzusetzen, finde ich allerdings kontraproduktiv. In dem Moment, in dem man durch den CrossoverGedanken das Persönliche, manchmal Komplizierte, das Tiefe und Seelische der klassischen Musik vernachlässigt, verlieren wir das, was uns unentbehrlich macht. Da bin ich sehr empfindlich. Wenn man den langsamen Satz aus dem Beethoven-Konzert einzeln verkauft mit Verstärkung und blauem Licht, damit das einer Ballade von Michael Jackson ähnlicher wird, dann ist man auf dem Holzweg. Jede Musik hat ihren Platz und ist wichtig. Sie habe aber auch ihren inneren Raum, den ich nicht verletzen möchte.
spielt am 24. März mit dem dem Londoner Philharmonia Orchestra in Freiburg (www.konzerthaus.freiburg.de), am 5. April mit den Berliner Philharmonikern im Festspielhaus Baden-Baden (www.festspielhaus.de).