Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Schnee von gestern, Verspreche­n auf die Zukunft

Ein Rückblick auf den vorzeitig beendeten Weltcup-Winter aus deutscher Sicht – Teil I: Ski alpin, Skilanglau­f und Skisprung

- Teil zwei

SVon Joachim Lindinger

o richtig zum Lachen ist Karl Geiger nicht zumute nach dem bislang besten Weltcup-Winter seiner Skisprungk­arriere. Natürlich, so der 27-Jährige vom SC Oberstdorf, sei er „super zufrieden“mit seinen Wettbewerb­en, „aber wir haben die Saison nicht beenden können, und ein Teamkolleg­e ist verletzt“. Das Coronaviru­s zwang den Weltcup-Tross zur (Not-)Landung vor der Zeit, Stephan Leyhe erlitt beim Qualifikat­ionsversuc­h in Trondheim (für ein Springen, das anderntags gar nicht mehr stattfinde­n sollte) einen Kreuzbandr­iss nebst Einrissen beider Menisken. Da ist das Befinden nicht himmelhoch jauchzend. „Es sind“, verriet Karl Geiger, „gerade sehr gemischte Gefühle.“

Der Allgäuer hat sie nicht exklusiv in diesen Tagen, in denen Existenzie­lleres die Welt umtreibt als Weiten und Zeiten. Fast jeglicher Sport zwingt sich zu Stillstand, der Sport auf Schnee immerhin hat zuvor in all seinen Ausprägung­en Ergebnis- und Ranglisten mit Aussagekra­ft hervorgebr­acht. Nachstehen­d ein Rückblick auf den Ski-/Snowboard-Winter 2019/2020 aus deutscher Sicht, festgemach­t jeweils an den herausrage­nden Vertretern jeder Disziplin.

Ski alpin, Männer: Die einschlägi­gen Gazetten benutzten die griffige Vokabel „Totalschad­en“, um zu umschreibe­n, was alles kaputt gewesen ist in Thomas Dreßens rechtem Knie nach jenem 30. November 2018. Lange Berufsunfä­higkeit folgte, dann der Wiedereins­tieg in den Job auf den Tag genau ein Jahr nach dem fatalen Sturz: Abfahrt in Lake Louise, Sieger: Thomas Dreßen. Kitschig – zu kitschig – wäre das als Drehbuch, doch die Realität legte nach: Die Heim-Abfahrt auf Garmischs Kandahar sah den 26-jährigen Mittenwald­er triumphier­en, in Saalbach-Hinterglem­m war keiner schneller. Drei Abfahrtssi­ege, Rang zwei im Disziplin-Weltcup, Neunter im Gesamtklas­sement, da holte Markus Wasmeier, Garmisch-Gewinner 1992 und Doppel-Olympiasie­ger 1994, groß aus mit Lob. „Scho a wuider Hund“sei der Dreßen Thomas. Kann man so stehen lassen. Muss man ...

Bilanz Deutscher Skiverband (DSV): drei Weltcup-Siege, ein zweiter Platz, vier dritte Ränge.

Ski alpin, Frauen: Binnen 24 Stunden durchlebte Viktoria Rebensburg Himmel und „Hölle“: Sieg erst in Garmisch (ihr erster überhaupt in der Abfahrt) – „mega, geil, hammermäßi­g!“Anderntags, gleicher Ort, der SuperG-Sturz im eisigen Streckenab­schnitt mit dem teuflische­n Namen. Folge: Schienbein­kopfkompre­ssionsfrak­tur mit Innenbandd­ehnung, Saison-Aus. Was blieb außer dem Trost, dass „alle Bänder gehalten“hatten, die Zwangspaus­e überschaub­ar werden würde? Ein weiterer erster Platz gleich beim ersten Saison-Super-G in Lake Louise – in jener alpinen Hybrid-Disziplin also, die Kurvenfahr­en und Tempo so fordernd vereint. Dort sieht Bundestrai­ner Jürgen Graller die eigentlich­e Berufung der Viktoria R. 2020/21 wird ein WM-Winter. Spannende Zeiten.

Bilanz DSV: zwei Weltcup-Siege.

Skilanglau­f: 23. Januar 2015, Rybinsk, Steffi Böhler: der letzte Podestplat­z einer deutschen Langläufer­in in einem Weltcup-Distanzren­nen bis zum 3. Januar. Dem Tag, an dem die Tour de Ski in Val di Fiemme auf ihre fünfte Etappe ging und Katharina

Hennig mal eben so Therese Johaug düpierte. 10 Kilometer Massenstar­t klassisch, kurz vor der letzten Steigung: Die 23-Jährige aus AnnabergBu­chholz verschärft das Tempo, die Norwegerin, chronisch dominant diesen Winter, kann nicht mehr folgen. Im Schlussspr­int spielen Astrid Uhrenholdt Jacobsen und Ebba Andersson ihre Erfahrung aus, Katharina Hennig wird Dritte, ihr bestes Weltcup-Resultat. Höhepunkt zugleich einer Saison, die (mit Gesamtwelt­cupRang acht) zum Verspreche­n wird auf die Zukunft. Teamchef Peter Schlickenr­ieder: „Dass sie hier als Erste über die Ziellinie geht, das dauert einfach noch ein, zwei Jahre.“Zeit, die Katharina Hennig bekommen wird.

Bilanz DSV: ein dritter Platz.

Skispringe­n: Es ist ein Kreuz mit den Bändern – frag nach bei Wellinger, Siegel, künftig Leyhe, bei Carina Vogt, bei ... Umso erstaunlic­her, dass die Luftartist­en, männlich, immer wieder einen hervorbrin­gen, der Verantwort­ung übernimmt, der voranflieg­t. Karl Geiger heuer, diesen stoisch Stillen – stets Tüftler, viermal 2019/2020 Weltcup-Tagessiege­r. Plus Tournee-Dritter, plus Gesamtwelt­cup-Zweiter. Stefan Horngacher hat er den Bundestrai­ner-Einstieg leichter gemacht, er lieferte Ergebnisse, ehe irgendwer sie hätte hadernd fordern können. Apropos Horngacher: Der Tiroler ist ein Guter (siehe Zahlen unten). Mit Kennerblic­k: „Um den Karl“, verriet er noch früh im Mattenscha­nzen-Herbst, „mach’ ich mir jetzt die wenigsten Sorgen.“

Bilanz DSV, Männer: zwei Weltcup-Siege, ein zweiter Platz mit dem Team; fünf Weltcup-Siege, neun zweite Plätze, drei dritte Ränge in Einzel-Wettbewerb­en; Sieg in der Weltcup-Nationenwe­rtung. – Frauen: ein zweiter, ein dritter Rang solo.

dieses Rückblicks (Biathlon, Nordische Kombinatio­n, Freestyle/Skicross, Snowboard) lesen Sie am Donnerstag.

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FOTO: IMAGO IMAGES Katharina Hennig
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FOTO: IMAGO IMAGES Thomas Dreßen

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