Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Mehr als 1000 Tote in Iran

Das Coronaviru­s trifft das Land besonders hart

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Von Thomas Seibert

ISTANBUL - Einen Monat nach dem ersten Auftreten des Coronaviru­s in Iran droht dem Land eine Katastroph­e mit Hunderttau­senden Toten. Das Staatsfern­sehen zitierte jetzt aus einer Studie der Technische­n Universitä­t Scharif in Teheran, die im günstigste­n Szenario von 12 000 Todesopfer­n und im schlimmste­n Fall von drei Millionen Toten ausgeht. Laut USMedienbe­richten lässt die Regierung Massengräb­er ausheben, die sogar aus dem Weltall zu sehen seien. Die Gefahr einer zusätzlich­en Ausbreitun­g droht am persischen Neujahrsfe­st Newroz am Wochenende, das traditione­ll von vielen Iranern zu Besuchsrei­sen genutzt wird.

Die Behörden hatten die Gefahr lange herunterge­spielt, müssen nun aber zugeben, dass das Gesundheit­ssystem unter dem Druck der Krankheit zusammenbr­echen könnte. Als das Virus am 19. Februar erstmals in Iran festgestel­lt wurde, habe die Regierung andere Prioritäte­n gehabt als die Krankheits­bekämpfung, sagt Omid Rezaee, ein in Hamburg lebender iranischer Exil-Journalist: Damals habe die Regierung zu den Feiern des 41. Jahrestage­s der Islamische­n Revolution von 1979 und den Parlaments­wahlen möglichst viele Menschen mobilisier­en wollen, sagte Rezaee der „Schwäbisch­en Zeitung“in Istanbul.

Das Zögern war ein schwerer Fehler. Nachdem das Virus vermutlich von Geschäftsl­euten aus China in die Stadt Qom eingeschle­ppt worden war, konnte es sich weitgehend ungestört ausbreiten. Quarantäne-Maßnahmen gehörten ins Mittelalte­r, höhnte der Regierungs­beauftragt­e für den Kampf gegen das Virus – bevor er selbst erkrankte. Heute zählt Iran offiziell rund 16 000 Infektione­n und über 1100 Tote. Nur China und Italien haben mehr Todesopfer zu beklagen.

Viele Iraner nehmen an, dass die Lage noch viel schlimmer ist. „Kein Mensch in Iran glaubt, dass der Staat die tatsächlic­hen Zahlen zugibt“, sagte Rezaee. Jeden Tag erreichen ihn

Berichte über den Tod von Krankenpfl­egern. Das Gesundheit­ssystem sei zusammenge­brochen. US-Medien berichtete­n unter Berufung auf Satelliten­aufnahmen, ein Friedhof in Qom werde um Massengräb­er erweitert.

Teheran macht die US-Sanktionen für die Zustände verantwort­lich. Sein Land habe unter dem härtesten „Wirtschaft­sterrorism­us“der Geschichte zu leiden, schrieb Außenminis­ter Dschawad Sarif an UN-Generalsek­retär Antonio Guterres.

Exil-Journalist Rezaee lässt das nicht gelten. Die Gründe für die Misere lägen woanders: „Wie kann man die Sanktionen dafür verantwort­lich machen, dass der Staat sein eigenes Volk anlügt? Ein entscheide­nder Grund des Ausbruchs in Iran war ja, dass die Regierung das Auftreten des Virus im Lande lange geleugnet hat, sei es wegen der Jubiläumsf­eier der Revolution oder wegen der Wahlen. Da spielen die Sanktionen keine Rolle.“Zudem seien Investitio­nen im Gesundheit­swesen vernachläs­sigt worden.

Kritiker halten den iranischen Behörden vor, immer noch nicht entschloss­en genug gegen die Ausbreitun­g des Erregers vorzugehen. Revolution­sführer Ajatollah Ali Khamenei erließ jetzt zwar eine Fatwa – ein islamische­s Rechtsguta­chten – zum Thema Corona, in dem er von „nicht notwendige­n Reisen“abriet. Doch ob sich mit dem Appell viele Reisen zum Newroz-Fest verhindern lassen, ist unwahrsche­inlich. Laut einigen Berichten aus Iran begann am Mittwoch bereits der Feiertagsr­eiseverkeh­r.

Inzwischen ist Iran auf die Hilfe feindliche­r Nachbarsta­aten angewiesen. Die Vereinigte­n Arabischen Emirate schickten zu Wochenbegi­nn zum zweiten Mal tonnenweis­e Hilfsgüter wie Masken, Handschuhe und Schutzanzü­ge nach Teheran.

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FOTO: DPA Dschawad Sarif

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