Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Eine beispiellose Talfahrt
Turbulenzen erfassen auch den vermeintlich sicheren Anleihemarkt – Hedgefonds spekulieren gegen Dax-Firmen
Von Finn Mayer-Kuckuk
BERLIN - Die Pandemie verbreitet weiter Angst und Schrecken an den Börsen. An den Märkten für Unternehmensanleihen finden sich kaum noch Käufer, weil alle nur verkaufen wollen. Die Aktienbarometer in Europa sind derweil am Mittwoch erneut heftig gefallen, ebenso wie die Märkte in Amerika und Fernost. „Wir erwarten eine scharfe globale Rezession mit Einschlagraten, die wir in der Geschichte so noch nicht gesehen haben“, sagt Chris-Oliver Schickentanz, Chef-Anlagestratege bei der Commerzbank. Das Handelsgeschehen sei außerdem nicht von verantwortungsvollen Privatinvestoren bestimmt, sondern zu einem guten Teil von Computerprogrammen gesteuert. Und die sehen derzeit vor allem Signale zum Verkaufen.
Den deutschen Aktienmarkt belasten zusätzlich Attacken von USHedgefonds. Einer der größten dieser Investoren ist die Firma Bridgewater Associates. Bridgewater ist bereits in der zweiten Märzwoche zahlreiche Wetten auf fallende Kurse europäischer Titel eingegangen und hat dafür 14 Milliarden Euro eingesetzt, berichtet der Wirtschaftsdienst Bloomberg. Solche Leerverkäufe drücken die Bewertungen, denn im ersten Schritt verkaufen die Händler große Mengen Aktien. Sie hoffen, sie später günstiger zurückkaufen zu können. Damit tragen sie zu Ausschlägen in beiden Richtungen bei. Bridgewater hat allein eine Milliarde Dollar auf fallende Kurse der SAP-Aktie gesetzt.
Privatanleger sehen unterdessen ihren Depotwert dahinschmelzen. Auch wer sich in den vermeintlich sicheren Hafen von Anleihen geflüchtet hat, wird jetzt von dem Sturm erreicht. Anleihen des Fußballvereins FC Schalke 04 werden verramscht, und auch der Marktwert der Schuldpapiere von bekannten Großunternehmen geht in den Keller. Die Anleger stoßen sogar Staatsanleihen ab. „Vermögensverwalter verkaufen alles, was noch einigermaßen liquide und nicht unter Wasser ist“, urteilen Analysten der Commerzbank. Damit folgt der Anleihe- dem Aktienmarkt in den coronabedingten Ausverkauf. Die Handelsplattformen berichten von Wellen von Verkaufsaufträgen, für die sie keine Käufer finden. Milliardenpakete der US-Notenbank Fed für den Anleihemarkt verpuffen derweil ohne größere Wirkung.
Generell sind Anleihen mit solchen Verhalten in der Krise als sichere Alternative uninteressanter geworden. „Für Privatanleger wird es zunehmend schwierig, Anleihen als konservatives Investment zu sehen“, sagt Schickentanz. Zugleich biete sich aber keine andere Anlageklasse als Ersatz an. Wer bereits einen Anleihefonds im Depot hat, sollte ihn aber nicht gleich dem Herdentrieb folgend verkaufen. „Wer langfristig in Anleihen anlegt, kann kaufen und halten. Dann gilt es lediglich, die Ausfallraten zu kontrollieren“, sagt Schickentanz. Wer genau nachsieht und feststellt, dass sein Fonds viele riskante Papiere enthält, der kann jetzt immer noch die Reißleine ziehen und einen Verkaufsauftrag eingeben.
Als gefährlich gelten derzeit beispielsweise amerikanische Hochzinsanleihen. Sie waren in den vergangenen Jahren sehr gefragt, so dass sich hier hohe Positionen aufgetürmt haben. Zudem standen sie schon vor Corona durch den niedrigen Ölpreis unter Druck. „Jetzt wollen alle durch die enge Tür, und es kommt zu Stau, weil nicht alle durchkommen“, so Schickentanz.
Der Markt für Unternehmensanleihen ist deshalb wichtig, weil er einerseits für die Finanzierung der Wirtschaft eine große Rolle spielt und andererseits die Erwartung des Marktes an ihre Gesundheit widerspiegelt. Mit der aktuellen Situation sagen die Händler: Wir erwarten eine riesige Pleitewelle, die selbst Firmen mit guten Namen erfassen wird. Denn wenn ein Unternehmen zahlungsunfähig wird, dann bedient es in der Regel auch seine Schulden nicht mehr. Diese Schulden sind aber meist nichts anderes als Anleihen.
Anleihen sind so etwas wie Kredite ihrer Käufer an die Organisationen, die sie ausgeben. Sie sind am Ende der Laufzeit in ihrem vollen Wert zurückzuzahlen. Währenddessen zahlt das Unternehmen darüber hinaus Zinsen. Da die Papiere zudem an der Börse gehandelt werden, haben sie außerdem einen Tageskurs. Diese Kurse sind gerade besonders niedrig, weil alle nur verkaufen wollen.
Sogar deutsche Staatsanleihen verloren am Mittwoch an Wert: Die riesigen Schutzschirme und Rettungsprogramme, die die Regierungen planen, kosten Geld. Und das wollen sie sich mit Anleihen leihen. Es kommen also noch viel mehr davon auf den Markt. Das, wovon es viel gibt, wird jedoch billiger.
Es ist also letztlich der Kampf gegen die Pandemie, die den Ausverkauf ausgelöst hat. Wenn die Wirtschaft stillsteht, haben viele Firmen keine Einnahmen. Wer keine riesigen Rücklagen hat, gerät da schnell in Probleme. Es sind längst nicht nur Fluglinien, Hotels oder Messebauer betroffen. Unter dem Ausbleiben der Kunden und von Lieferungen leiden alle Branchen. Auch die großen Autohersteller fahren die Produktion herunter. Auch der größte Schutzschirm der Regierung kann das nicht alles auffangen.