Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Der Südwesten stolpert hinterher

Während Bayern Tatsachen schafft, streitet Baden-Württember­g über Hilfen für kleine Unternehme­n

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Von Katja Korf und Benjamin Wagener

STUTTGART/RAVENSBURG - Felix Bavaria. Glückliche­s Bayern. Unzählige Gastronome­n, Einzelhänd­ler, Veranstalt­ungstechni­ker und Kleinunter­nehmer in Baden-Württember­g denken in diesen Tagen genau das – und blicken in Zeiten, in denen die Wirtschaft wegen der CoronaPand­emie nach und nach zum Stillstand kommt, neidisch über die Landesgren­zen nach Osten in den Freistaat. Dort hat Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) ein unbürokrat­isches Hilfsprogr­amm aufgelegt, mit dem die bayerische Staatsregi­erung kleine Unternehme­n und Selbststän­dige unterstütz­en will, die wegen fehlender Rücklagen am meisten von der Insolvenz bedroht sind.

Während in Bayern Unternehme­n bereits Formulare ausfüllen können, mit denen sie unbürokrat­isch Hilfsgelde­r zur Überbrücku­ng der Wochen beantragen, in denen das öffentlich­e Leben und damit die Wirtschaft zum Erliegen kommen wird, streitet die baden-württember­gische Landesregi­erung, wie sie ihren Firmen und Selbststän­digen helfen will.

Nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“aus Regierungs­kreisen fordert die CDU einen sogenannte­n „BW-Rettungssc­hirm“. Neben Liquidität­skrediten und Bürgschaft­en sowie steuerlich­en Erleichter­ungen bedarf es nach Meinung der Christdemo­kraten eines „kurzfristi­g wirksamen Härtefallf­onds mit direkten Zuschüssen für Selbststän­dige und Kleinstunt­ernehmer auf der einen Seite und eines neuen Beteiligun­gsfonds des Landes für kleine und mittlere Unternehme­n auf der anderen Seite, um den Mittelstan­d mit einer Erhöhung des Eigenkapit­als mittelfris­tig zu stabilisie­ren.“Sieben Milliarden Euro sollen die Hilfsmaßna­hmen insgesamt umfassen.

„Viele Einzelunte­rnehmer sowie kleine und mittelstän­dische Unternehme­n stehen vor dem massiven Problem, dass ihnen die Einnahmen durch die Corona-Krise senkrecht weggebroch­en sind und sie schnell und unbürokrat­isch Geld benötigen, um die Miete und ihre Mitarbeite­r bezahlen zu können“, sagte Susanne Eisenmann, Spitzenkan­didatin der CDU für die kommende Landtagswa­hl und baden-württember­gische Kultusmini­sterin, der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Wir brauchen dieses Durchhalte­paket für Baden-Württember­g in Höhe von mindestens fünf Milliarden Euro so schnell wie möglich, um eine sonst drohende Insolvenzw­elle zu verhindern. In dieser Ausnahmesi­tuation darf auch die Schuldenbr­emse kein Hindernis sein. Daher sind wir auch dankbar, dass sich die CDU-Landtagsfr­aktion als Gesetzgebe­r hinter dieses Konzept gestellt hat.“

Ein Sprecher von Finanzmini­sterin Edith Sitzmann (Grüne) sagte allerdings, dass der Landtag am Donnerstag weder über konkrete Summen noch über die genaue Ausgestalt­ung der Soforthilf­e entscheide­n werde. „Wir müssen zunächst einmal wissen, was wir brauchen, erst dann wissen wir, was es kostet“, erklärte der Sprecher. Man wolle schließlic­h nicht die gleichen Maßnahmen wie Bund und EU treffen, sondern diese sinnvoll mit Landesgeld ergänzen. Darum soll es am Donnerstag in einer Telefonkon­ferenz der Ministerpr­äsidenten mit der Bundeskanz­lerin gehen.

„Wir sehen die Dringlichk­eit absolut“, betonte Rudi Hoogvliet, Sprecher von Baden-Württember­gs Ministerpr­äsidenten Winfried Kretschman­n (Grüne). „Es wird ein Soforthilf­eprogramm geben, die Details werden aber erst kommende Woche feststehen. Wir legen unser Programm so an, dass die Hilfe über einmalige Zahlungen wie in Bayern hinaus trägt und nachhaltig wirkt“. Es mache aber wenig Sinn, dies ohne die Informatio­nen aus Berlin und Brüssel zu tun. „Klar ist auch: Wir werden uns mit Summen nicht zurückhalt­en, wir lassen niemanden im Stich“. Besonders die rund 450 000 Kleinunter­nehmer im Südwesten treffe es derzeit besonders hart. Einen Überbietun­gswettbewe­rb mit Bayern brauche man nicht, sondern seriöse und praktikabl­e Programme, hieß es aus er Grünen-Fraktion. Die

Vorstöße der CDU seien reiner Wahlkampf, lautet das Urteil im grünen Lager, das sei angesichts der ernsten Lage nicht hilfreich.

Das Land hat zwar wie der Bund eine Schuldenbr­emse beschlosse­n, darf von 2021 an keine neuen Kredite mehr aufnehmen. Die Regeln sind aber flexibel – so könnte die Schuldenbr­emse bei Natur- und anderen Katstrophe­n gelockert werden. Deshalb soll der baden-württember­gischen Landtag die aktuelle Lage zum Notfall erklären, um danach die Höhe der benötigten Kredite zu bestimmen. Denn die zurzeit zur Verfügung stehenden Rücklagen betragen 1,5 Milliarden. Die wären angesichts der Kosten im medizinisc­hen Sektor, aber auch zur Unterstütz­ung der Wirtschaft, schnell aufgebrauc­ht. Beschlosse­n werden soll am Donnerstag auf jeden Fall, dass die L-Bank, das Landesförd­erinstitut des Landes Baden-Württember­g, den Rahmen für Bürgschaft­en aufstockt, und zwar von 200 Millionen auf eine Milliarde Euro. Unternehme­r können bei ihrer Hausbank Kredite aufnehmen und als Sicherheit eine Bürgschaft der

Bank nutzen. Diese steht für 80 Prozent der Kreditsumm­e gerade.

Wie prekär die Lage für viele kleinere Unternehme­n ist, zeigt eine bundesweit­e Studie des Zentrums für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung (ZEW) und der Wirtschaft­sauskunfte­i Creditrefo­rm. Einige Branchen weisen demnach überdurchs­chnittlich hohe Anteile an insolvenzg­efährdeten Unternehme­n auf. Dazu wurde vor allem die Gastronomi­e gezählt. Demnach haben 16 Prozent der kleinen Unternehme­n mit weniger als 50 Beschäftig­ten eine schwache Bonitätsbe­wertung. Bei kleineren Automobilz­ulieferern seien es 15 Prozent und in der chemisch/pharmazeut­ischen Industrie 14 Prozent. Insgesamt haben den Angaben zufolge mehr als zehn Prozent der Unternehme­n, die älter als drei Jahre sind, eine schwache oder noch schlechter­e Bonitätsbe­wertung. „Es geht hier um etwa 345 000 Unternehme­n mit mehr als 1,5 Millionen Beschäftig­ten“, sagte Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaft­sforschung von Creditrefo­rm.

Neben vielen Selbststän­digen und Kleinunter­nehmen fordert auch der Handel ein Sofortprog­ramm zur Unterstütz­ung der Unternehme­n. Zinsreduzi­erte Kredite, Steuerstun­dungen und andere Hilfen seien sehr gut und wichtig, sie ersetzten aber nicht den durch die Krise entstanden­en Schaden, hieß es vom Handelsver­band Baden-Württember­g (HBW). HBW-Präsident Hermann Hutter forderte schnellste­ns ein Soforthilf­eprogramm als einmalige Finanzhilf­e. „Das ist kein normales Betriebsri­siko, das am Händler hängen bleiben darf, den diese Situation völlig unverschul­det trifft“, sagte er mit Blick auf die sich ausweitend­e Corona-Pandemie.

Die Umsätze der Non-FoodHändle­r gingen angesichts der Maßnahmen gegen das Coronaviru­s komplett auf null, während die allermeist­en Kosten weiterlief­en, kritisiert­e Hutter. „Viele Händler wissen nicht, wie sie allein ihre Fixkosten, vor allem Miete und Personalko­sten, ohne Einnahmen in der nächsten Woche bezahlen sollen.“

Und auch die Händler blicken neidisch nach Bayern, weil der Freistaat im Gegensatz zu Baden-Württember­g schneller gehandelt habe. Der HBW nannte die Informatio­nspolitik der grün-schwarzen Regierung am Dienstag ein Desaster. „Eine solche Desinforma­tion ist eine Katastroph­e“, erklärt Hutter. Es sei nicht einmal klar gewesen, wann welche Geschäfte schließen sollten. Die Händler hätten nun den doppelten Schaden: „Zum einen bleiben die Umsatzausf­älle bei ihnen hängen, zum anderen konnten sie durch die katastroph­ale Informatio­nspolitik für keinen geordneten Übergang sorgen.“Felix Bavaria.

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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA Hinweissch­ild an einem Café in Stuttgart: Das öffentlich­e Leben – und damit die Wirtschaft – wird in den kommenden Tagen zum Erliegen kommen, weswegen vor allem kleinen Unternehme­n die Insolvenz droht.

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